Fußball-WM

Gewalt und Korruption in Brasilien

Von Andreas Weiser · 14.04.2014
Schön, sauber, friedlich – so möchten die Veranstalter der Fußball-Weltmeisterschaft ihr Land präsentieren, wenn es im Juni losgeht. Fast alle Mittel sind dafür recht. In den Favelas werden Menschen verschleppt und erschossen.
Rio de Janeiro an einem Sonntag Ende März. Ich bin auf dem Weg in die Nordzone Rios. Ziel: die Passarela 18 im Viertel Brás de Pina an der berühmt berüchtigten Avenida Brasil. Jenes löcherige Strassemonstrum, das sich stinkend und lärmend und teilweise achtspurig durch Rios riesigen dreckigen Hinterhof quält. Gute 40 Minuten mit dem Taxi von der Copacabana aus, an guten Tagen.
Wir passieren den "Complexo do maré". Von der gerade dort stattfinden Invasion von weit über 1000 Polizisten der Policia Militar und Soldaten des regulären Militärs, die eines der größten Favelakomplexe Rios "befrieden" sollen, wie es offiziell so euphemistisch heißt, ist von hier aus nichts zu sehen. Alles ganz normal. Die Panzerfahrzeuge sind schon drin. Das offizielle Rio will sich zur WM friedvoll und "zivilisiert" präsentieren. Logisch. Mein Taxifahrer, als könne er meine Gedanken lesen, wird, plötzlich gesprächig:
Taxifahrer: "Das ist kein Weltcup, das ist eine Weltschande."
Schlecht organisierten Baustellen und Verkehrschaos
Es folgt eine Schimpfkanonade über korrupte Politiker, die zahllosen, schlecht organisierten Baustellen, das Verkehrschaos, das beschissene Gesundheitssystem und ja, die enormen Kosten für diese WM, die rausgeschmissenes Geld seien.
Und schon sind wir am Ziel: Unter einer Brücke an einem stinkenden Abwasserkanal, der Passarela 18, erwartet mich Macarrao: groß, muskulös, zusammengekniffene Augenbrauen, von oben bis unten tätowiert. Seines Zeichens Rapper und Favela-Intelektueller. Ich kenne ihn seit Anfang der Neunziger. Damals ein schmales Bürschen, aufgewachsen in einer 50 Grad heißen Wellblechhütte, ohne Strom und Wasser, am Rande einer Hauptverkehrsstraße im Zentrum Rios, der "Vila Mimosa", damals das Prostituierten Viertel Rios. Seine Brüder ins Drogengeschäft involviert. Er selbst sauber aber voll ohnmächtiger Wut.
Heute, 24 Jahre später, empfängt mich ein 45 Jahre alter Vater von vier Kindern. Mal arbeitslos, mal als freier Drehbuchautor tätig. Seine Leidenschaft: Rap: SEINE Methode soziale Missstände anzuprangern.
Zurzeit arbeitet er für den US-Fernsehsender HBO, für die er für 1000 Real, also ca. 300 Euro im Monat, an einem Pitch zu einem Drehbuch über seine Kinderstube, die "Vila Mimosa" schreibt.
Frei sprechen kann man nur in den eigenen vier Wänden
Nach zehn Minuten Fußweges kommen wir an in seinem Heim. Ich würde ihn am liebsten schon hier auf der recht aufgeräumt wirkenden Straße interviewen, der Atmosphäre wegen. Er winkt ab. Unmöglich. Das hier ist Commando vermelho-, also Drogenhändlerterritorium. Erst muss eine Genehmigung des Chefao, des zuständigen Bosses eingeholt werden. Die Verhältnisse sind komplex. Frei sprechen mit Fremden geht nur in den eigenen vier Wänden. Hier aber ist das Thema des Tages schnell benannt: Die Invasion der "maré" durch die policia Militar und das Militär, die staatlichen "Befriedungsaktionen" also.
Macarrao: "Also lass uns mal verstehen was eine ´Befriedung' sein könnte. Du lebst also in einer Gemeinschaft, einer Comunidade, die 30, 40 Jahre lang mit dem Drogenhandel lebt. Und plötzlich, aus dem Nichts heraus, entscheidet sich die Regierung, dieses Gebiet zurückzuerobern. Aber wie wird dieses Gebiet zurückerobert? Die Stiefel kommen, die Gewehre kommen, aber was NICHT kommt sind Schulen. Was NICHT kommt, ist ein funktionierendes Gesundheitssystem. Tatsächlich zeigt der Staat nur Präsenz, in dem er seine Waffen präsentiert. Er kommt nicht mit sozialen Aktivitäten. Etwas, was der Staat uns eigentlich schuldet.
Wenn er schon hier einfällt und "pazifiziert", sollte er seine Schulden gegenüber der Bevölkerung begleichen. Verstehst du? Was also passiert, ist Folgendes: Du lebst hier in einer gewissen Art von Freiheit und dann dringen plötzlichen Soldaten in deine Gegend ein und Beschneiden deine Freiheiten, verbieten Dir eine Churrasco Party zu machen, weil das nach 22 Uhr zu laut sei. Sie durchsuchen ohne richterlichen Beschluss deine Wohnung, einfach so. Wühlen deine Sachen durch und machen sie kaputt, Dinge für die ich monatelang gearbeitet habe. Widerspruch zwecklos!"
Dabei, so Macarrao, "o chronista de cotidiano" der "Chronist des Alltags", wie er sich als Rapper nennt, sind 99,9 Prozent der Favelabevölkerung einfache Arbeiter, die hart arbeiten, ihre Kinder in die stark unterfinanzierten staatlichen Schulen schicken und mit dem Drogengeschäft rein gar nichts zu tun haben.
"Wahrgenommen werden diese Menschen doch nur, wenn Wahlen anstehen."
Oder aber, wenn sie das Pech haben, in eine Schießerei zwischen Policia Militar, kurz PM, und Drogenhändlern zu geraten, das dann zufällig gefilmt wird und in der Presse landet. Wie vor ein paar Tagen in einer anderen Favela der Nordzone geschehen:
Zwischen den Fronten
Eine Frau gerät beim Verlassen ihres Hauses in einen solchen Schusswechsel. Sie wird in Hals und Brust getroffen. Ihre Verwandten versuchen, ihr zu helfen. Die PM verhindert, das mit der Begründung sie sei eine Drogenhändlerin - eine Schutzbehauptung ohne jegliche Grundlage wie sich später herausstellt - stopfen die schwer verwundete Frau in den Kofferraum ihres Polizeiautos und fahren davon. Der Kofferraum öffnet sich, die Frau fällt heraus und wird gut hundert Meter über den Asphalt geschleift.
Der Wagen hält. Erneut verfrachtet man die Schwerverwundete in den Kofferraum. Und weg ist sie, die PM samt ihrem Opfer. Überlebt hat die Frau diese Art von Polizeiarbeit nicht. Die polizeilichen Täter werden nach Veröffentlichung des zufällig mitgeschnitten Videos zwar auf einer Wache befragt, befinden sich kurze Zeit später aber wieder auf freiem Fuß. "Diese Frau", sagt Macarrao, "das sind WIR. Niemals wirst du erleben, dass Jemand aus der Südzone So behandelt wird."
In gut zwei Monaten beginnt in Brasilien die Fußballweltmeisterschaft. Wird der Fußballtourist etwas vom schmutzigen Krieg im riesigen Hinterhof Rios mitbekommen? Wird er über die Obdachlosen, die ihre Schlafpappen überall im Zentrum Rios über die Bürgersteige legen, stolpern? Ach was, sagt, Macarrao, Nichts von all dem! Und die Obdachlosen werden eingesammelt, verhaftet und erst nach der WM wieder freigelassen.
"Alter, sie werden eine wunderschöne Stadt sehen, wunderbar sauber. Sie werden Fußball sehen. Im Maracaná wird man angeheuerte Models mit rausgestreckten Hintern strategisch im Stadion platzieren. Ein Brasilien mit dem Höschen in der Arschfalte. Das ist doch das Bild, das sie von der brasilianischen Frau verkaufen."
Eins steht fest. Macarrao wird diese WM boykottieren, wie auch der Taxifahrer, der mich zu ihm gebracht hat. Er hofft, dass diese WM für die seleçao das größte Fiasko in der Geschichte des brasilianischen Sports wird, sagt er. Und es denken sehr viele Cariocas so wie Macarrao. Trotz Allem werden wir aber neben den zu erwartenden Strassenprotesten, in den Stadien, Kneipen und auf den Plätzen der Stadt eben auch tanzende und jubelnde Brasilianer sehen. Denn Rio, die geöffnete Büchse der Pandora, ist eben auch immer noch das, die "cidade maravilhosa", die wunderbare Stadt:
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