Fussball

Ein neues Zuhause für das "Wunder von Bern"

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Der Schauspieler Dominik Hees als Helmut Rahn (r) und weitere Mitglieder des Ensembles des Musicals "Das Wunder von Bern" in Hamburg auf der Bühne des neuen Stage Theaters. © picture alliance / dpa / Christian Charisius
Von Knut Benzner · 23.11.2014
"Das Wunder von Bern" ist ein feststehender Begriff und umschreibt den 4. Juli 1954, als Deutschland zum ersten Mal Fußballweltmeister wurde. Das Skript zum Film von 2003 wurde jetzt zum Musical umgeschrieben. Das Ergebnis ist emotionsgeladen, pompös - und etwas zu lang.
Am Ende wird alles gut. Sonst wäre es kein Musical, Hamburg nicht Hamburg, der Hafen nicht der Hafen und schließlich heißt es "Das Wunder" und nicht "Die Wunde von Bern".
Ein Musical ist ein Adjektiv, ein Singspiel, operettenhaft, hier und da wird gesprochen, und in der Regel von zweiaktiger Form – wie Fußball: erste Halbzeit, zweite Halbzeit. Das war auch 1954 schon so, Fußball beziehungsweise Musical haben sich in ihren Grundstrukturen kaum verändert, der damalige Bundeskanzler Konrad Adenauer:
"Das Werden des neuen Deutschlands hat sich mit großer Schnelligkeit vollzogen."
Der Gründungsakt der Bundesrepublik
Adenauer war, ist und wird es noch eine Weile bleiben: nämlich Regierungschef. In seiner Geisteshaltung der Vorgänger von Helmut Kohl:
"Wir sind wieder wer, das war so sicherlich das Gefühl von Millionen Menschen."
"Für manche war es gar der eigentliche Gründungsakt der Bundesrepublik: Das Wunder von Bern."
Es gibt Begriffe, allesamt fangen sie mit R an, wie Restauration oder restaurativ, restriktiv und Reaktion – aber eben obendrein Rekonstruktion.
Und darum geht's. Alles wird wiederhergestellt und aufgebaut. Das Land sowieso, die Familie, die Verhältnisse, nur die Sprache bleibt. Sepp Herberger, der Bundestrainer, spricht wie jemand, der aus Mannem, Mannheim, kommt, Fritz Walter, der Spielführer, wie jemand aus der Pfalz und Helmut Rahn, der Boss bzw. der Rechtsaußen wie jemand von Rot-Weiß Essen – was er ja tatsächlich war.
Handlung exakt wie im Film
Die Handlung? Wie im Film. Tatsächlich. Unbedingt. Quasi restlos. Kriegsheimkehrer, ob Nationalsozialist oder nicht, bleibt unklar, Mutter, die die zwei Söhne, einer davon kleiner Knabe, der andere halbwüchsig sowie die 20-Jährige Tochter, durchbringt, Vater, Steiger von Beruf, wer mit diesem Berufsbild nichts mehr anzufangen weiß: Bergmann, wir sind immerhin in Essen, Kohlenpott, Vater kommt folglich nicht zurecht, fängt sich, sich aussöhnend.
"So war das früher?"
Naja, zu Tausenden kamen sie nach Hause, jene Kriegsgefangenen in Russland, und obwohl nicht alle Familien wahrscheinlich so groß waren. Manche aber größer. Und letztlich läuft diese Familiengeschichte glimpflich ab. Vater war schließlich, wie erwähnt, nur Steiger und nicht Vollstreckungsbeamter.
Dann, endlich, diese Szene:
"Immer wieder Bozsik, der rechte Läufer der Ungarn am Ball, er hat den Ball verloren diesmal, gegen Schäfer, Schäfer nach innen geflankt, Kopfball, abgewehrt, aus dem Hintergrund müsste Rahn schießen,..."
Manche haben geweint
Wie man auch mehr als 60 Jahre danach noch weiß: Rahn schoss, der westdeutsche Radioreporter, Herbert Zimmermann, brüllte fünf mal relativ emotionsgeladen "Tor" - und sechs Minuten später war Deutschland Weltmeister.
Manche haben geweint:
"Ich hab' tatsächlich geweint, ja, sogar an zwei Stellen. Meine Eltern war'n dabei und mir hat es in der Tat in Auszügen gefallen, ich hätte jetzt nicht zwei Stunden davon gebraucht."
Die erste Halbzeit bis zur Pause dauert ganze 80 Minuten. Dabei hat ein komplettes Spiel, wie wir wissen, 90.
Ab und an pompös, drei, vier unglaubliche Choreographien, mit und ohne Ball, zwei, drei technische Bühnentricks par excellence, Wunder haben ein neues Zuhause, so die Eigenwerbung, der Blick von jenseits der Elbe auf den Hafen lohnt sich immer wieder mal, und wem das alles nicht reicht, kauft sich noch ein T-Shirt mit Aufdruck Boss, eine Kaffeetasse, ein Trikot, ein dies, ein das, das Wunder von Bern, der Ball muss rollen, lieber hoch gewinnen als flach verlieren.
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