Fußball als Spiegel der Gesellschaft

07.06.2012
Korrupte Funktionäre, rechtsradikale Hooligans, Gewalt und jede Menge Alkohol. Dazu schwache Ligen, die international kaum konkurrenzfähig sind. Die Fußballwelt des Ostens, die Olaf Sundermeyer auf vielen Reisen hautnah erlebt hat, ist eine äußerst raue.
Warum hat die UEFA ein so bedeutendes Turnier wie die Europameisterschaft bloß an Polen und an die Ukraine vergeben? Weil die Spitzenfunktionäre des Europäischen Fußballverbands mindestens genauso korrupt wie ihre Brüder in Osteuropa sind: Das ist Sundermeyers Kernthese. Weil Michel Platini, der gerne Präsident der UEFA werden wollte, Stimmen aus dem Osten brauchte, hat er die EM als Dankeschön an Warschau und Kiew vergeben. Eine Hand wäscht die andere.

Für Sundermeyer ist Fußball ein Spiegel der Gesellschaft. In Polen sind die Probleme seiner Meinung nach zwar offensichtlicher, doch in der Ukraine, wo die alten Mechanismen aus totalitärer Zeit immer noch greifen, sind sie dafür noch viel gravierender. Nachdem Polen 2004 in die EU aufgenommen wurde und sich das Land auf den Weg in eine demokratische Zivilgesellschaft westlicher Prägung machte, hat sich auch der Fußball freier entwickelt und langsam von der Politik emanzipiert.

Für die Ukraine gilt das seiner Meinung nach nicht. Dort ist Fußball immer noch Politik. Und der größte Flächenstaat Europas ist auch der korrupteste des Kontinents. Daran hat auch die Orangene Revolution von 2004 nichts geändert. Die Presse wird weiter zensiert. Oppositionelle sitzen noch immer (oder wieder) in Gefängnissen.

Ein paar schwerreiche Oligarchen halten die Macht in ihren Händen. Jeder von ihnen besitzt einen Fußballverein. Für sie ist es Spielzeug und Statussymbol zugleich. Sundermeyer hat einige dieser Potentaten, die das gesamte Land unter sich aufgeteilt haben, getroffen. Als sich die Ukraine vor 20 Jahren von der Sowjetunion loslöste, kamen diese Männer wie aus dem Nichts. Auf dubiosen Wegen haben sie riesige Wirtschaftsimperien aufgebaut.

Im Zentrum der Macht, dem Kohlerevier der Ostukraine, dem Donbass, residiert der einflussreichste und mächtigste: Renat Achmetow. Ihm gehört Schachtar Donezk, die neue Nummer Eins im ukrainischen Fußball. Außerdem pflegt der ehemalige Boxer, der mit einem Vermögen von 16 Milliarden Dollar zu den reichsten Männern der Welt zählt, engen Kontakt zu Präsident Janukowitsch.

Sundermeyer, der vor Ort viele Gespräche geführt hat, trägt in seinem Buch nicht nur Fakten zusammen, er analysiert und hat dazu noch einen scharfen Blick für Details, die die Reportagen anreichern und zu einer fast immer gut lesbaren Erzählung abrunden. Er ist sich dabei für nichts zu schade: Er säuft mit Hooligans in Charkow oder steht mit Ultras, die den Hitlergruß zeigen, in der Kurve. Er schildert den Gestank einer polnischen Ausnüchterungszelle ebenso präzise wie den bröckeligen Charme der galizischen Stadt Lwiw.

Im Kontrast zu den harten Zahlen und den Gesprächen auf Funktionärsebene bringen diese ausschweifenden Ausflüge Tiefenschärfe in seinen erschreckenden Zustandsbericht über die Zustände am äußersten Ostrand Europas.

Besprochen von Thomas Jaedicke

Olaf Sundermeyer: Tor zum Osten. Besuch in einer wilden Fußballwelt
Verlag Die Werkstatt
Göttingen 2012
206 Seiten, 12,90 Euro

Über den Autor:
Olaf Sundermeyer, geboren 1973, studierte Journalistik und Jura im Ruhrgebiet, und lebt in Berlin. Als Reporter der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, sowie verschiedener ARD-Magazine, recherchiert er seit Jahren im rechtsextremen Milieu.

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