Furcht vor "wettbewerblicher Spaltung des europäischen Finanzmarktes"

Christoph Boschan im Gespräch mit Nana Brink · 14.06.2012
Eine Einführung einer Finanztransaktionssteuer nur in einzelnen Euro-Ländern hätte fatale Folgen, befürchtet der Finanzexperte Christoph Boschan: "Damit geht einher die wettbewerbliche Abkopplung dieser Märkte, die die Steuer einführen, von denjenigen, die sie nicht einführen."
Nana Brink: Nichts ist umsonst, in der Politik schon gar nicht. Und deshalb wurde auch gestern wieder mächtig gedealt um die Zustimmung zum Fiskalpakt. Die Spitzen der Opposition fordern für ihre Zustimmung die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, also quasi die Beteiligung der Finanzmärkte der Börsen an den Kosten der Krise. Im Prinzip will die Regierung sie auch, sagt sie zumindest. Nur: Wann und wie, das ist die Frage, und ob es dazu einen Kabinettsbeschluss geben soll, was die Opposition fordert.

Gestern also lange Gespräche im Kanzleramt zwischen Opposition und Regierung, Ergebnis laut SPD-Fraktionschef Steinmeier: Zumindest bei der Finanztransaktionssteuer sei man sich handelseinig geworden – was auch immer das heißen mag!

Und am Telefon begrüße ich jetzt Christoph Boschan, Geschäftsführer der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse. Er hat als Sachverständiger den Finanzausschuss des Bundestages zu diesem Thema beraten. Schönen guten Morgen, Herr Boschan!

Christoph Boschan: Ja, guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Kommt jetzt die Finanztransaktionssteuer?

Boschan: Ja, es sieht alles danach aus. Der Koalitionsbeschluss ist ja, wenn auch nicht formal, aber er ist gefallen. Sie haben es selber angesprochen, die Opposition hat die Zustimmung zum Fiskalpakt, also, ja, zum festen Bekenntnis der europäischen Mitgliedsstaaten zur Sparpolitik verknüpft mit der zwingenden Einführung einer Finanztransaktionssteuer. Na ja, und damit wird die Einführung extrem wahrscheinlich. Allerdings – und das ist eine große Herausforderung bei einer solchen Steuer –, die technische Ausgestaltung, das ist alles andere als einfach!

Brink: Und darüber wollen wir jetzt mal reden! Die FDP mimt ja den Bedenkenträger nach dem Motto: Diese Steuer trifft auch Kleinanleger. Und dazu hat bei uns im Programm der ehemalige SPD-Bundesfinanzminister Hans Eichel Folgendes gesagt:

Hans Eichel: "Also, ich sehe richtig die Kleinanleger von morgens bis abends vor ihrem Computer sitzen und ständig handeln, und am besten noch mit Hochfrequenzcomputern. Also, das ist großer Unfug, sondern man muss mal in London in die Handelssäle gehen, dann weiß man, was passiert. Da wird den ganzen Tag gehandelt. Und die trifft es. Und die wehren sich mit allem, was sie können, die Lobbyisten, dagegen, zur Kasse gebeten zu werden. Und das darf man ihnen nicht durchgehen lassen."

Brink: Ist seine Einschätzung richtig?

Boschan: Also, ich denke, es ist ganz wichtig, hier an das eigene politische Postulat noch mal zu erinnern. Insbesondere die SPD hat immer proklamiert, dass es bei der Finanztransaktionssteuer darum geht, diejenigen, die die Krise verantwortet haben, dass diejenigen nun auch die Kosten der Krise zu tragen haben. Und ich denke, das gibt eine hervorragende Orientierung bei der Ausgestaltung einer solchen Steuer.

Und wenn man da die Kleinanleger und die Privatanleger in den Blick nimmt, dann ist eins ganz klar: Sie haben diese Krise nicht verursacht. Sie beteiligen sich – und da hat Herr Eichel komplett recht –, die beteiligen sich im Übrigen auch nicht an den hochfrequenten Spekulationen. Sie tragen im Übrigen auch schon die Kapitalertragssteuer und sie bestreiten vor allen Dingen ihre Investitionen aus bereits versteuerten Arbeitseinkommen. Und deswegen sind sie sachgerechterweise hier auszunehmen.

Brink: Kann man das gesetzlich ausschließen, dass Kleinsparer betroffen sind?

Boschan: Ja, das ist nun eben genau diese große Anforderung an die technische Ausgestaltung, die hier alles andere als einfach ist. Ich denke, es gibt verschiedenste Möglichkeiten. Es gibt natürlich ganz naheliegend die Möglichkeit, die Freibeträge im Rahmen der Kapitalertragssteuer zu erhöhen, es gibt sicherlich die Möglichkeit, sich an Haltefristen zu orientieren, es gibt die Möglichkeit, diejenigen komplett von einer solchen Finanztransaktionssteuer auszunehmen, die kapitalertragssteuerpflichtig sind, und eben nur die zu besteuern, die Körperschaftssteuer entrichten, sodass man also nur die professionellen Handelsteilnehmer besteuert mit einer solchen Steuer.
Aber wissen Sie, das ist jetzt den Fachleuten im Bundesministerium der Finanzen zu überlassen.

Brink: Kommen wir doch mal zu den eigentlichen Verdienern, hören wir noch mal den ehemaligen SPD-Bundesfinanzminister Hans Eichel. Er hat nämlich über sie Folgendes gesagt auch:

Eichel: "Die großen Banken mit ihrem Eigenhandel zum Beispiel, die sind den ganzen Tag nur damit beschäftigt, kleine Preisdifferenzen, sagen wir bei Öl, auszunutzen und hin und her über die Welt Transaktionen zu machen. Ein Öl, das auf dem Meer schwimmt, wird vom Einladen auf der einen Seite bis zur Entladung – meinetwegen in Rotterdam – ja zigmal den Besitzer wechseln! – Obwohl keiner das Öl wirklich haben wollte von denen, sondern damit werden nur Geschäfte gemacht. Und die werden teuer."

Brink: Schadet denn eine solche Steuer dann nicht zum Beispiel der Stuttgarter Börse?

Boschan: Ja, also, die Stuttgarter Börse ist in ihrem Charakter vielleicht etwas besonders, denn wir sind eine Privatanlegerbörse. Das heißt, diesen hochfrequenten Handel, den Herr Eichel hier anspricht, den machen wir nun gerade nicht. Ganz im Gegenteil, wir haben sogar Regeln erlassen, diesen Hochfrequenzhandel ... Zu Gunsten übrigens der Privatanleger, denn das ist das große Problem dahinter, wie machen Sie sie denn wieder sichtbar, die Order des Privatanlegers in diesem Bombardement des hochfrequenten, vollelektronischen Orderstroms? Wir haben sogar Regeln erlassen, die den High-Frequency-Handel da etwas einschränken. Und wie gesagt: Es ist schlicht nicht unsere Geschäftsausrichtung, dieses Geschäft, was Herr Eichel hier anspricht, findet bei uns nicht statt.

Brink: Als Sachverständiger haben Sie vor dem Finanzausschuss des Bundestages gesagt: Eine isolierte Einführung nur im Euroraum erscheint daher schlicht undenkbar. Welchen Sinn macht dann also eine Finanzmarkttransaktionssteuer, wenn England, also die Londoner Börse, nicht mitmacht?

Boschan: Ja, in der Tat, das ist einigermaßen dramatisch. Sie müssen hier sich noch mal den Hintergrund des Zusammenwachsens des europäischen Wirtschaftsraums vergegenwärtigen: Wir haben uns alle gemeinsam in Europa einmal darauf geeinigt, dass wir Wertpapieraufträge nach bestimmten Grundsätzen ausführen wollen, und wenn man hier auch wieder die Privatanleger in den Blick nimmt, dann ist das vor allen Dingen der Grundsatz der besten Ausführung, der kundengünstigsten Ausführung.

Das heißt, Wertpapieraufträge sollten stets dort ausgeführt werden, wo sie eben den besten Preis a) und b) die niedrigsten Gebühren erzielen. Und da sind ja ganz offensichtlich in dem Fall nicht mehr die Märkte, die eine Finanztransaktionssteuer einführen. Und es ist in der Tat einigermaßen dramatisch, es droht nichts weniger als die wettbewerbliche Spaltung hier des europäischen Finanzmarktes.

Brink: Aber da sind dann solche Ankündigungen von Bundeskanzlerin Merkel eigentlich reine Lippenbekenntnisse?

Boschan: Gut, die politische Dimension an der Stelle habe ich nicht zu bewerten und es ist natürlich so, dass eine Einführung einer Finanztransaktionssteuer politisch auch in einer Koalition der Willigen möglich ist. Wissen Sie, es geht ja zurzeit – das ist ja der Diskussionsstand – längst nicht mehr nur darum, wenigstens in der Eurozone eine solche Steuer einheitlich einzuführen, sondern es geht ja längst darum, auch isoliert in einigen Mitgliedern der Eurozone allein diese Steuer einzuführen. Aber – und da muss man sich im Klaren sein, was man damit auslöst – damit geht einher die wettbewerbliche Abkopplung dieser Märkte, die die Steuer einführen, von denjenigen, die sie nicht einführen.

Brink: Christoph Boschan, Geschäftsführer der Baden-Württembergischen Wertpapierbörse. Herr Boschan, schönen Dank für das Gespräch!

Boschan: Gern geschehen!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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