Fund im Nachlass

Neu entdeckte Texte von James Joyce

Der irische Schriftsteller James Joyce in einer zeitgenössischen Aufnahme.
Der irische Schriftsteller James Joyce in einer zeitgenössischen Aufnahme. © picture alliance / dpa / DB
Von Helmut Böttiger · 30.12.2014
"Finn's Hotel" ist nicht nur ein Buch für James-Joyce-Liebhaber, sondern auch literaturgeschichtlich relevant: Der bislang unbekannte Text ist ein Bindeglied zwischen Joyces Büchern "Ulysses" und "Finnegans Wake".
Ein unbekannter Text von James Joyce (1882-1942), dem Gründungsvater der englischsprachigen Moderne, ist immer ein Ereignis. Aber was heißt hier "englischsprachig"? Joyce ist mindestens genauso irisch-, gälisch-, keltisch- und globalsprachig.
Und wenn Umberto Eco in einem satirischen Text einen fiktiven Lektor das Manuskript von Joyce's Monumentalwerk "Finnegans Wake" beurteilen und diesen sagen lässt, er sei nur Lektor für englischsprachige Literatur, und das hier sei eine andere Sprache – dann trifft das etwas Richtiges. Joyce liest sich nicht einfach so weg. Seine Sprache ist wie eine Partitur.
1922 ist "Ulysses" erschienen, der bahnbrechende Geniestreich von Joyce. Und alles, was man bisher wusste, ist, dass er unverzüglich an sein nächstes Projekt ging, an dem er wie ein Besessener 17 Jahre lang schrieb und das 1939 als "Finnegans Wake" erschien.
"Ulysses" lässt sich auf Deutsch, dank der großartigen Übersetzungsleistung von Hans Wollschläger, noch sehr gut lesen; "Finnegans Wake" aber ist schlechthin unübersetzbar. Es ist eine Symphonie von Anklängen, Assonanzen, Rhythmen und semantischen Verschiebungen, die so substanziell auf die englische Sprache bezogen ist, dass eine deutsche Übersetzung grundsätzlich scheitern muss.
Zunächst als eigenständiges Werk konzipiert
Der irische Literaturwissenschaftler Danis Rose ist nun in seiner Heimat mit einem interessanten Fund und einer die Fachwelt aufrüttelnden These aufgetreten: er hat ein Zwischenglied zwischen "Ulysses" und "Finnegans Wake" entdeckt, einen Text, der zunächst als eigenständiges Werk konzipiert worden sei und der den literarischen Raum zu "Finnegans Wake" erst eröffnet habe. Rose hat diesen Text, "Finn's Hotel", 2013 in Dublin herausgebracht und die etablierte Joyce-Exegese damit kräftig aufgemischt.
Der Hintergrund ist folgender: Rose hat über "Finnegans Wake" gearbeitet, den umfangreichen, unübersehbaren Nachlass durchforstet und dabei rekonstruiert, dass in einer früheren Nachlassarchivierung ursprünglich zusammengehörende Blätter und Textpassagen des Jahres 1923 getrennt worden sind.
Sie sind als Ansätze zu einem kleinen Roman namens "Finn's Hotel" zu interpretieren. Joyce entfernte sich damit zum erstenmal vom seinem bis dahin ausschließlichen Handlungsort Dublin, weitete das Feld auf ganz Irland, auf seine Geschichte und Traditionen aus. Die irische Unabhängigkeit 1922 drängte sich ihm als Thema wohl zwangsläufig auf.
"Entscheidende Momente der irischen Geschichte"
Die elf kleinen Texte, die nun unter dem Titel "Finn's Hotel" erscheinen, thematisieren "entscheidende Momente der irischen Geschichte", wie Danis Rose formuliert. Es geht – ironisch, sarkastisch, satirisch, wortspielerisch – um den Heiligen Patrick, dem Gründungsvater Irlands, um einen pidginenglisch sprechenden Bischof von Berkeley, um eine urirische Phantasie namens "Kevin" und um Mr. Earwicker, der dann auch zur Schlüsselfigur in "Finnegans Wake" wurde.
In "Finn's Hotel" kann man die Keimzelle zu diesem legendenumwobenen Großwerk sehen, viele Themen sind hier bereits angelegt, und vor allem der "irische Stoff" ist hier sehr suggestiv angerissen. Ein Buch für Joyce-Liebhaber – und literaturgeschichtlich durchaus relevant.

James Joyce: Finn's Hotel. Herausgegeben & eingerichtet von Danis Rose. Mit einer Einführung von Seamus Deane.
Übersetzt von Friedhelm Rathjen
Suhrkamp Verlag, Berlin
101 Seiten, 17,95 Euro

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