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Kämpfe in der Ostukraine
"Es fehlt am Willen zur Umsetzung des Friedensvertrags"

Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), rechnet damit, dass in der kommenden Woche in Bonn über eine neue Waffenruhe für die Ost-Ukraine gesprochen wird. Der vor zwei Jahren beschlossene Minsker Friedensvertrag sei völlig vernünftig, sagte Erler im DLF.

Gernot Erler im Gespräch mit Ann-Kathrin Büüsker | 08.02.2017
    Der Russland-Beauftragte der Bundesregierung Gernot Erler (SPD) steht am 06.12.2016 in Hamburg im Rathaus.
    Gernot Erler (SPD), Russland-Beauftragter der Bundesregierung, hier im Hamburger Rathaus (pa / dpa / Daniel Bockwoldt)
    Der SPD-Politiker sagte im Deutschlandfunk, vermutlich würden die Außenminister des Normandie-Quartetts am Rande des G-20-Treffen darüber beraten. Zur Normandie-Kontaktgruppe gehören neben der Ukraine Russland, Deutschland und Frankreich. Leider sei es nicht gelungen, die Waffen zum Schweigen zu bringen und die 13 Punkte des Friedensplans umzusetzen. Es ende immer damit, dass sich beide Seiten gegenseitig für die Verletzungen der Waffenruhe verantwortlich machen.
    Auch seinen die USA bislang immer damit zufrieden gewesen, dass die Europäer das Problem in der Ukraine alleine lösten, so Erler. Das Normandie-Format habe sich in gewisser Weise bewährt. Es sehe nicht so aus, dass sich das unter dem neuen Präsidenten Trump ändern werde.

    Das Interview in voller Länge:
    Ann-Kathrin Büüsker: Seit Ende Januar sind die Kämpfe im Osten der Ukraine wieder aufgeflammt. Oder besser: sie sind schlimmer geworden. Denn Zwischenfälle, die gab es trotz der beiden Waffenstillstandsabkommen Minsk I und II immer wieder. Nun hat sich die Lage verschlimmert; eine 20.000 Einwohner Stadt nahe Donezk war wegen der Kämpfe tagelang ohne Strom. Dutzende Menschen sind bereits in den Kämpfen gestorben, darunter auch Zivilisten. Die ganz genauen Zahlen, die weichen voneinander ab, je nachdem welche Seite des Konflikts man fragt.
    Es ist ernst und das zeigt sich auch daran, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel und Russlands Präsident Wladimir Putin gestern in dieser Sache telefoniert haben. Die beiden haben sich darauf verständigt, dass neue Waffenstillstandsverhandlungen auf jeden Fall nötig sind. Darüber möchte ich nun mit Gernot Erler sprechen, SPD-Bundestagsabgeordneter und Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Guten Morgen, Herr Erler.
    Gernot Erler: Guten Morgen, Frau Büüsker.
    Büüsker: Herr Erler, was bringen neue Waffenstillstandsverhandlungen, wenn die bisherigen Abkommen nicht eingehalten wurden?
    Erler: Das ist wie ein Reflex. Jedes Mal, wenn es zu Schwierigkeiten kommt, wenn es Rückschläge gibt, dann beginnt wieder ein politischer Prozess, der damit anfängt, dass politische Berater von den beteiligten Seiten in diesem sogenannten Normandie-Format zusammenkommen, also zwischen Deutschland, Frankreich, der Ukraine und Russland. Die nächste Stufe ist dann, dass die Außenminister zusammentreten, und am Ende kann es dann auch wieder eine Gipfelbegegnung zwischen den drei Präsidenten und der Bundeskanzlerin geben. Diesen Mechanismus haben wir ja jetzt schon öfter erleben müssen.
    Büüsker: Setzt da bei Ihnen inzwischen auch so eine gewisse Resignation ein?
    Erler: Es ist tatsächlich ja deprimierend, was wir beobachten. Wir haben dieses Minsker Abkommen vom 12. Februar 2015 jetzt schon länger als zwei Jahre und es ist auf dieser Basis bisher nicht gelungen, wirklich die Waffen zum Schweigen zu bringen und die 13 Punkte, aus denen das Abkommen besteht, tatsächlich umzusetzen. Es geht irgendwie immer wieder neu los und es endet dann immer wieder in dem gleichen sogenannten Blame Game, das heißt in dem Vorgang, dass beide Seiten sich gegenseitig für die Verletzung des Abkommens verantwortlich machen.
    Büüsker: Wo sehen Sie denn dann jetzt eine Möglichkeit, dass sich mal etwas vorwärts bewegt?
    Erler: Es gibt da durchaus kreative Ansätze, die auch Ende letzten Jahres schon versucht worden sind. Man hat gesagt, gut, wenn das nicht klappt damit, dass wir an der ganzen Kontrolllinie ein Schweigen der Waffen haben, dann versuchen wir das mit einem sogenannten Entflechtungssystem. Das heißt, es werden kleine Gebiete so ungefähr vom Umfang, vom Durchmesser zwei Kilometer definiert und dort versucht man, eine Kontrolle der Waffenruhe durchzusetzen, und dann fügt man diese inselartigen Gebilde aneinander an. Aber bisher sind nur drei Gebiete, Petriwske, Solize, Stanytsia Luhanska, definiert worden und auch da funktioniert es nicht, weil die Mienenräumung nicht durchgeführt wird. Aber ich bin sicher, dass man weiter versuchen wird, diese Entflechtungsstrategie zu machen. Und das zweite, was unterwegs ist, das ist die Suche nach einer neuen Roadmap. Das Problem ist, dass immer umstritten ist, was eigentlich zu welchem Zeitpunkt nacheinander erfolgen soll. Da gibt es Streit darüber und es gibt Verhandlungen darüber, dass man eine neue Sequenzierung, eine neue Abfolge der einzelnen Schritte von diesen 13 Punkten verabredet. Aber auch hier ist bisher der Durchbruch noch nicht gelungen.
    Büüsker: Das ist ja nun wirklich alles sehr komplex, was Sie da beschreiben. Haben Sie denn generell den Eindruck, dass beide Seiten überhaupt ein Interesse am Frieden haben?
    Erler: Na ja. Wir haben diesen Friedensplan vom Februar 2015, der völlig vernünftig ist. Auch wenn man heute darüber nachdenken würde, wie könnte denn ein Friedensplan aussehen, könnte der eigentlich nicht sensationell was anderes bringen. Wir haben auch fast wöchentlich Bekenntnisse auf der politischen Ebene zu Minsk, wie das immer abgekürzt gesagt wird.
    Büüsker: Und trotzdem vollzieht ja keiner die vereinbarten Dinge. Warum?
    Erler: Und trotzdem vollzieht sich das nicht. Das hat diesen Mechanismus in sich, dass immer wieder neue Kämpfe aufflammen und beide Seiten beschuldigen sich gegenseitig. Das heißt, im Grunde genommen fehlt es sowohl bei der ukrainischen wie bei der russischen Seite an dem entscheidenden Willen, tatsächlich das Abkommen, was man ja selber unterzeichnet hat, was autorisiert worden ist, tatsächlich umzusetzen.
    "Das Problem des vergessenen Krieges"
    Büüsker: Unser Deutschlandradio-Korrespondent, der berichtete vor einigen Tagen, dass Kiew durchaus im Moment ein Interesse daran haben könnte, dass die Lage wieder so ein bisschen aufflammt, damit der Westen an den Sanktionen festhält gegen Russland. Halten Sie das für plausibel?
    Erler: Ja, es gibt verschiedene Interpretationen. Aber ich bin ganz sicher, dass hier auch das Problem des sogenannten vergessenen Krieges eine Rolle spielt. Wir haben natürlich andere dramatische Entwicklungen auf dem Globus, zum Beispiel die furchtbaren verlustreichen Kämpfe in Syrien, und das hat abgelenkt von dem Konflikt in der Ostukraine. Jetzt haben wir den neuen Präsidenten in den Vereinigten Staaten, da gibt es viel Unruhe in Kiew, weil man nicht so richtig weiß, wie wird Donald Trump mit seinem Kollegen in Moskau umgehen. Da gibt es ja Äußerungen dazu, dass er ihn sehr hoch respektiert und dass er das Verhältnis normalisieren will, und da spielt dann auch der Ukraine-Konflikt eine Rolle, da spielt die Frage der Sanktionen eine Rolle. Und Kiew ist davon überzeugt, die ukrainische Führung, dass die Sanktionen bleiben müssen, dass der Westen mit Härte Putin gegenübertreten muss in diesem Konflikt und dass nur das zu einem Ergebnis führt. Dazu passt es natürlich dann auch, dass man jetzt nicht unbedingt daran interessiert ist, dass Ruhe herrscht vor Ort.
    "Wahlkampf sollte Diplomatie nicht außer Kraft setzen"
    Büüsker: Dann wäre, wenn die Regierung in Kiew so beunruhigt ist, jetzt ja vielleicht es Zeit für ein klares Zeichen der Bundesregierung, dass an den Sanktionen festgehalten wird. Dann haben wir da aber auch einen Horst Seehofer in Bayern, der sagt, nein, im Laufe des Jahres könnte man die Sanktionen auch aufheben. Wie hilfreich ist das?
    Erler: Entscheidend ist ja, was tatsächlich gemacht wird, und ich meine, da ist bemerkenswert, obwohl wir mehrere Länder haben, also nicht nur innerdeutsch, sondern mehrere Länder in der EU haben, die sehr große Skepsis bis Ablehnung für die Sanktionen gezeigt haben, dass doch im November noch mal ein Konsensbeschluss herbeigeführt worden ist, dass die Sanktionen noch bis Juli dieses Jahres fortgeführt werden. Das heißt, dieser europäische Konsens ist da, und was man jetzt wieder versucht ist, wieder einen politischen Prozess in Gang zu kriegen. Ich gehe davon aus, dass möglicherweise am Rande des G20-Außenministertreffens in Bonn am 16., 17. Februar es auch zu einem Treffen der Außenminister aus den Normandie-Staaten kommen kann. Man will wieder einen politischen Prozess jetzt in dieser Notsituation, dass die Kämpfe aufgeflammt sind, in Gang bringen. DAs kann auch wieder zu einem Gipfeltreffen führen. Das ist dann immer die Reaktion, wenn es überhaupt nicht vorwärts geht oder sogar rückwärts geht, dass dann wieder der politische Prozess wiederbelebt wird und man versucht, vielleicht an dieser Entflechtungsstrategie weiterzuarbeiten, vielleicht auch doch noch eine Abfolge zu vereinbaren, die von allen Seiten akzeptiert wird. Das ist das, was man politisch machen kann, und das ist der Hintergrund des Telefonats gestern, was Sie angesprochen haben.
    "Es scheitert nicht an dem Normandie-Format"
    Büüsker: Herr Erler, Sie haben das Normandie-Format angesprochen, Ukraine, Russland, Deutschland, Frankreich. Frankreich und Deutschland stecken jetzt gerade mitten drin im Wahlkampf, haben eigentlich ganz andere Dinge im Kopf, gerade mit Blick auf ihre eigene Innenpolitik. Macht das die ganze Sache auch ein bisschen schwieriger?
    Erler: Wahlkampf sollte Diplomatie nicht außer Kraft setzen und wird es auch nicht. Im Grunde genommen steckt ja dahinter, dass ein Land wie die Vereinigten Staaten auch unter Barack Obama sich eher zufrieden gezeigt haben, dass die Europäer versuchen, dieses Problem alleine zu lösen. Nachdem gerade Obama sich eher mit seiner Blickrichtung nach Asien gerichtet hat und pazifische Fragen aufgeworfen hat, war das durchaus willkommen. Und es sieht nicht so aus, dass sich bei der Trump-Administration jetzt hier irgendetwas daran ändert. Es ist immer wieder diskutiert worden, ob man vielleicht doch die Vereinigten Staaten am Verhandlungstisch braucht, aber die meisten betrachten es so, dass eigentlich dieses Normandie-Format sich in gewisser Weise bewährt hat. Dem verdanken wir diesen Friedensplan. Es scheitert nicht an dem Plan, es scheitert nicht an dem Normandie-Format, es scheitert an der wirklichen Entschlossenheit, es auch umzusetzen.
    Büüsker: So die Einschätzung von Gernot Erler, Russland-Beauftragter der Bundesregierung. Herr Erler, danke für das Gespräch.
    Erler: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.