Für und Wider der Elbvertiefung

Wem nutzt die Baggerei?

Ein Containerfrachter fährt im Hamburger Hafen über die Elbe.
Ein Containerfrachter fährt im Hamburger Hafen über die Elbe. © picture alliance / dpa
Von Axel Schröder · 07.02.2017
Kommt sie, kommt sie nicht? Seit 14 Jahren streiten Business-Leute, Politiker und Umweltschützer über die nächste Elbvertiefung in Hamburg. Letztlich werden Juristen entscheiden. Ein Überblick über Für und Wider.
Der Hafen schläft nicht. Rund um die Uhr werden auf den Terminals im Hamburger Hafen Containerschiffe gelöscht und beladen. Auf den Terminalflächen rollen die so genannten Van-Carrier: Bis zu zehn Meter hohe Transportfahrzeuge sammeln die Stahlboxen an den Kaikanten ein und verfrachten sie zum Weitertransport auf LKW und Güterzüge.
Die meiste Fracht kommt aus China. Handel treibt der Hamburger Hafen aber mit der ganzen Welt, mit 950 Seehäfen auf dem gesamten Globus. Nach der Finanz- und Wirtschaftskrise waren die Umschlagzahlen massiv eingebrochen. Heute steigen sie zwar wieder. Aber das komfortable Vor-Krisen-Niveau mit zweistelligen Wachstumsraten ist Vergangenheit.
Ohne neue Baggerarbeiten in der Elbe, ohne eine Vertiefung und eine streckenweise Verbreiterung des Flusses werde das auch so bleiben, befürchtet Gunther Bonz. Er ist Geschäftsführer des Terminalbetreibers Eurogate und Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg.
Sein Argument: Die großen Schiffe mit mehr als 10.000 Containern an Bord können den Hafen nur noch bei Flut anlaufen oder verlassen. Sobald die Ebbe einsetzt und dazu noch Ostwind das Wasser schneller in Richtung Nordsee drückt, müssen die Schiffe stundenlang im Hafen warten. Und schon verstaute Container müssen wieder abgeladen werden, damit die Schiffe weniger Tiefgang haben. In einem solchen Fall blockieren sie dann die Liegeplätze anderer Frachter und bringen die Abläufe durcheinander.
Bonz: "Davon betroffen sind die Lotsen, die arbeiten auch in Schichtzeiten. Davon abhängig sind die Schlepper, die man auch bestellt und abbestellt. Und das ist ein tägliches Hindernis. Und die Hafenbeteiligten betreiben einen wahnsinnigen Aufwand, einen wahnsinnigen Aufwand, um mit diese Restriktionen umzugehen und das nun schon seit Jahren."
Die Hafenwirtschaft und der Hamburger Senat hoffen deshalb, dass das Leipziger Bundesverwaltungsgericht den Weg frei macht für die insgesamt neunte Elbvertiefung seit 1818. Nicht nur tiefer soll die Elbe werden, sondern in einigen Abschnitten auch breiter. In diesen so genannten "Begegnungsboxen" könnten dann besonders breite ein- und auslaufende Schiffe einander passieren. Geplant ist seitens der Stadt, den Fluss auf rund 100 Kilometern - vom Hamburger Hafen bis zur Elbmündung - um einen Meter zu vertiefen. Statt 13,5 soll das Flussbett dann 14,5 Meter tief sein.

Den Antrag auf diese, wie es offiziell heißt, "Fahrrinnenanpassung" stellte die Freie und Hansestadt Hamburg schon vor 14 Jahren. Nach über 5000 Einwendungen gegen das Projekt und drei Planänderungen legten die Hamburger die Unterlagen der EU-Kommission vor. Das Fazit der Prüfung: Die Fahrrinnenanpassung werde das Ökosystem der Elbe schädigen und verstoße gegen die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU. Vor vier Jahren reichten dann der Bund für Umwelt und Naturschutz und der Naturschutzbund Klage gegen das Projekt ein. Seitdem verhandelt das Leipziger Bundesverwaltungsgericht den Fall. Wegen der Komplexität des Verfahrens wurde eine zusätzliche Kammer eingerichtet.

Vorgaben durch Europäische Wasserrahmenrichtlinie

Verzögert wurde das Verfahren auch durch die offenen Rechtsfragen zur Europäischen Wasserrahmenrichtlinie. Die Leipziger Richter unterbrachen das Verfahren zur Elbvertiefung, um durch den Europäischen Gerichtshof klären zu lassen, wie diese Richtlinie auszulegen sei. Schließlich verhandelten ihre Luxemburger Kollegen gerade das Verfahren zur Vertiefung der Weser, in dem genau diese Wasserrahmenrichtlinie die zentrale Rolle spielte. Den Kern der Richtlinie erklärt Manfred Braasch vom BUND Hamburg so:
"Das Europäische Wasserrecht gibt vor, dass die Qualität der Flüsse nicht verschlechtert werden darf und dass sie sogar in einen besseren Zustand gebracht werden müssen in den nächsten Jahren. Dieses Verschlechterungsverbot und Verbesserungsgebot wird juristisch sehr hoch gehängt. Und wir stellen ja jetzt fest, dass die Elbvertiefung genau gegen diese Vorgaben verstoßen wird."
Trotz etlicher Nachbesserungen der Hamburger Vertiefungspläne sei dieser Eingriff ins Ökosystem der Elbe nicht vertretbar. Die Wasserqualität und damit die Flora und Fauna werde durch neue Baggerarbeiten beeinträchtigt.
Manfred Braasch nennt ein Beispiel: "Die Finte ist ein heringsartiger Fisch, der in der Elbe vorkommt. Man hat festgestellt, dass die Finte relativ sensibel auf Sauerstoffmangel reagiert, insbesondere die Eier und Larvenstadien. Und genau dieser Trend wird sich durch die nächste Elbvertiefung verstärken. Wir gehen davon aus, dass die Finte in ihren Beständen weiter reduziert wird."

Sauerstoffgehalt im Elbwasser würde vermutlich abnehmen

Tatsächlich gehen auch die Planer der Elbvertiefung davon aus, dass der Sauerstoffgehalt im Elbwasser nach einer Vertiefung von 13,5 auf 14,5 Meter weiter abnehmen wird. Nicht nur Fische könnten unter Druck geraten, sondern auch die Population der Löffelente. Ebenso der Lebensraum einer besonderen Pflanze, dem Schierlingswasserfenchel. Weltweit wächst er nur noch im Bereich der Tideelbe, also in dem Abschnitt der Elbe, in dem sich das salzige Nordseewasser mit dem Süßwasser der Elbe mischt. Diese Zone wird sich nach einer Vertiefung des Flusses weiter stromaufwärts verschieben, der Lebensraum des Schierlingswasserfenchels schrumpfen. Und die Ausgleichsflächen, die die Planer des 500-Millionen-Euro-Projekts dafür vorgesehen haben, seien viel zu klein, kritisiert Manfred Braasch vom BUND.
Für Hamburgs Wirtschaftssenator Frank Horch hingegen ist die Vertiefung und Verbreiterung der Elbe von herausragender Bedeutung. Er beziffert das Steueraufkommen aus dem Hamburger Hafen mit 800 bis 900 Millionen Euro.
Nach einer Vertiefung und Verbreiterung der Tideelbe werde sich der Zustand des Gewässers kaum verschlechtern. Davon gehen die Juristen in der Hamburger Wirtschaftsbehörde aus. Hans Aschermann leitet das Rechtsamt der Behörde. Und die Kritik des BUND an der Reduzierung der Ausgleichsflächen für den Schierlingswasserfenchel hält er für unbegründet:
"Ich kann klarstellen, dass es nicht auf die Fläche ankommt, auf der eine Pflanze wächst, sondern auf die Frage: Wie viele Individuen dieser geschützten Pflanzenart gibt es? Und wie viele Individuen können wir erhalten? Insofern kommt es auf die Eignung eines Lebensraums an. Und nicht auf dessen flächenmäßige Erstreckung."
Genauso gelassen könne man hinsichtlich der Fischfauna sein. Sorgen um die Finte müsse man sich nicht machen, so Hans Aschermann:
"Die Finte wird insbesondere dadurch beeinträchtigt werden, dass durch die Baggerarbeiten eine Sauerstoffzehrung im Gewässer eintritt, die sich natürlich für die Fische negativ auswirkt, insbesondere in dem Zeitraum, in dem diese Fische laichen. Deswegen sehen die Genehmigungen differenzierte Schutzauflagen vor, dass in bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten eben nicht gebaggert werden darf, damit der Erhalt dieser geschützten Art gewährleistet ist."

Ausgleichsmaßnahmen für die Natur

Dass sich der Zustand der Elbe durch die Baumaßnahmen verändern und teilweise verschlechtern wird, bestreitet auch die Hamburger Wirtschaftsbehörde nicht. Allerdings gebe es ein ganzes Bündel von Ausgleichsmaßnahmen, die diese Beeinträchtigungen wieder heilen sollen. So sollen an einigen Uferabschnitten Flachwasserzonen und neue Brutgebiete für Seeschwalben entstehen. Andernorts wird die Jagd auf Vögel eingeschränkt. Unterm Strich, erklärt Hans Aschermann, würden mehr Hektar dieser Kompensationsflächen entstehen, als Gebiete durch die Fahrrinnenanpassung wegfallen.
Ganz anders sieht es der Jurist Rüdiger Nebelsieck. Er vertritt die Umweltverbände BUND und NABU. Die lange Liste der geplanten Ausgleichsmaßnahmen beeindruckt ihn nicht:
"Es ist so, dass wir der festen Auffassung sind, dass die Bundesrepublik Deutschland hier letztendlich nur Maßnahmen umsetzt, die sie sowieso, aus dem Habitat-Schutz-Recht, aus dem Gewässerschutzrecht, machen muss. Und dass sie quasi nur anlässlich dieses Vorhabens Dinge tut, die auch ohne eine Verschlechterung in Form der Elbvertiefung rechtlich tun müsste. Wir zweifeln also bei den meisten dieser Maßnahmen, dass sie rechtlich überhaupt anerkannt werden können, weil es ein Trick ist, eine 'Sowieso-Maßnahme' als Ausgleich zu verkaufen."

Für eine echte Verbesserung der Gewässerqualität seien ganz andere, viel umfassendere und viel teurere Baumaßnahmen nötig:
"Das liegt ja nahe, dass es sich da um großflächige Rückdeichungsmaßnahmen und die Schaffung von Flutraum überhaupt handeln muss. Kombiniert mit einem genauen Managementkonzept auch für die Sedimente. Das ist ja bekannt, was man im Grundzug für die Elbe machen müsste. Es ist nur aufwendig und teuer. Und deswegen sind solche integralen Momente in die Flussvertiefung hier nicht eingeflossen."
Das weltgrößte Containerschiff, die "MSC Oscar", legt im März 2015 an der Pier des JadeWeserPorts in Wilhelmshaven in Niedersachsen an.
Die "MSC Oscar", eines der größten Containerschiffe der Welt, an der Pier des JadeWeserPorts in Wilhelmshaven© picture alliance / dpa / Ingo Wagner

Neu geschaffenes "Forum Tideelbe" soll vermitteln

Diese "großflächigen Rückdeichungen" sind im Planfeststellungsbeschluss tatsächlich nicht enthalten. Allerdings lud der Hamburger Senat kurz vor dem Beginn der mündlichen Verhandlung in Leipzig zur Pressekonferenz ins Rathaus. Bürgermeister Olaf Scholz, Wirtschaftssenator Frank Horch und Umweltsenator Jens Kerstan stellten das neu geschaffene "Forum Tideelbe" vor. Das Forum, in dem neben Behörden und Wirtschaftsverbänden, Angel- und Bootsverbänden auch BUND und NABU und WWF vertreten sind, soll genau die Maßnahmen anstoßen, die Rechtsanwalt Rüdiger Nebelsieck im Sinne eines echten Gewässerschutzes anmahnt.
Jens Kerstan von den Grünen: "Meine Behörde hat jetzt zwei weitere Machbarkeitsstudien in Auftrag gegeben, auf Hamburger Gebiet Rückdeichungen auf ihre Machbarkeit zu untersuchen. Bei Ellerholz und bei Schweenssand."
So würden nicht nur neue Lebensräume für Wildtiere geschaffen, hieß es bei der Vorstellung des "Forums Tideelbe". Auf diese Weise würde auch der Flutstrom der Elbe gebremst, der Tag für Tag Sedimente elbaufwärts spült, was wiederum teure Baggerarbeiten im Hafen nötig macht.
Termingerecht zur Verhandlung über die Elbvertiefung wurden die Pläne des "Forums Tideelbe" präsentiert, das zunächst auf vier Jahre angelegt ist. Aber ein Zusammenhang zwischen dem einen und dem anderen bestehe natürlich nicht, erklärte Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz, ein Lächeln im Gesicht:
"Sie müssen mir das schon glauben! Zumal wir uns jeden Tag mit der Elbe beschäftigen. Jeden Tag! Das ist das wichtigste Thema, dass die Stadt Hamburg hat. Wie unser Fluss sich toll entwickeln kann. Wie man schön seine Wasserqualität verbessern kann, wie er sich bewegt. Und wie wir erreichen können, dass die Schiffbarkeit immer so ist, dass die wirtschaftlichen Funktionen des Hafens erreicht werden können."

Die Elbvertiefung kommt - so oder so

Die Leipziger Richter werden sich von den vagen Plänen des "Forums Tideelbe" nicht beeindrucken lassen. Aber trotzdem kann Olaf Scholz zuversichtlich sein, dass die Elbvertiefung kommt. So oder so. Früher oder später. Denn selbst wenn die Leipziger Richter feststellen, dass sich durch das Projekt die Gewässerqualität verschlechtert und ein Verstoß gegen die Europäische Wasserrahmenrichtlinie vorliegt, selbst dann böte sich ein juristischer Ausweg, erklärt Hans Heinrich Witte, der Präsident der Wasser und Schifffahrtsverwaltung des Bundes:
"Auch wenn es Verschlechterungen gibt, gibt es die Möglichkeit einer Ausnahmeprüfung. Dass trotz einer Verletzung sozusagen des Verschlechterungsverbotes die Maßnahme gemacht werden kann, wenn überwiegende andere Interessen dahinterstehen."
Diese "überwiegenden anderen Interessen" sind nach Meinung des Hamburger Senats die Arbeitsplätze, die die Hafenwirtschaft in der gesamten Metropolregion, also in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein sichert. Auf Containerterminals, in Zuliefer- und Wartungsbetrieben, in Kanzleien, Versicherungsbüros oder Reedereien arbeiten nach großzügigen Schätzungen bis zu 150.000 Menschen. Deren Stellen seien nur dann dauerhaft gesichert, wenn der Hafen weiter wachse. Und das gehe nur mit der Elbvertiefung.
Manfred Braasch vom BUND sieht das anders. Die Zahl von 150.000 Arbeitsplätzen, die mit dem Hafen verbunden sind, hält er für viel zu hoch gegriffen. Und ohnehin würde der Containerumschlag seit Einbruch der Weltwirtschaft 2008 nicht mehr annähernd so stark wachsen wie vor der Krise:
"Man hat ja gesagt, wir kriegen im Jahr 2025 28 Millionen Container. Die letzten Prognosen gehen von ungefähr 13 Millionen aus. Das zeigt ja schon: Dieses lineare Wachstum, immer mehr Container, das wird gar nicht funktionieren, das wird gar nicht eintreffen."
Und deshalb, so Manfred Braasch, brauche Hamburg auch keine Elbvertiefung. Außerdem steuerten auch die größten Schiffe der Welt immer noch den Hamburger Hafen an. Wenn auch nicht voll beladen. Und in Wilhelmshaven gäbe es schon heute mit dem Jade-Weser-Port einen deutschen Tiefwasserhafen, den die Riesenfrachter ganz problemlos und tideunabhägig ansteuern können. Die stärkere Nutzung dieses Hafens könne eine Elbvertiefung überflüssig machen, so Manfred Braasch. Aber diese Alternative sei gar nicht erst geprüft worden.
Von der Idee, den Tiefwasserhafen in Wilhelmshaven zu nutzen, muss man Gunther Bonz, Präsident des Unternehmensverbands Hafen Hamburg, der auch Geschäftsführer des Terminalbetreibers Eurogate ist, nicht überzeugen. Eurogate betreibt den Jade-Weser-Port. Trotzdem warnt er, dass sich der Trend der letzten Jahre fortsetzen könne und der Hamburger Hafen Ladung an die Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen verliert. (huc)
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