Für eine "nachhaltige Entwicklung" zu spät

Dennis Meadows im Gespräch mit Martin Hartwig · 29.10.2011
Der US-Ökonom Dennis Meadows sieht die von ihm vorausgesagten Grenzen der möglichen Entwicklung der Menschheit als längst überschritten an. In Deutschland werde es deshalb in den nächsten 20 Jahren mehr Veränderungen geben, als in den 100 Jahren davor.
Tacheles: Herzlich Willkommen Dennis Meadows!

Dennis Meadows: Danke schön, ich bin sehr froh hier zu sein!

Tacheles: Anfang der Woche waren Sie zu Gast bei der Enquete-Kommission "Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität" des Deutschen Bundestages. Was wollten die Abgeordneten von ihnen wissen?

Dennis Meadows: Wie Sie wissen, sitzen in diesen Kommissionen Vertreter aller politischen Parteien, von den Grünen bis zu den Konservativen. Die Fragen waren also sehr unterschiedlich – manche versuchten einfach, mich dazu zu bringen, Fehler zu machen um sagen zu können, dass ich Unrecht habe. Andere versuchten, mich zu Aussagen zu bewegen, die ihre wichtigsten Anliegen unterstützten. Leider liegt das Hauptinteresse der Politik heute bei aktuellen Ereignissen wie der Euro-Krise, und das geht dann in eine Richtung, in der ich über keine wissenschaftliche Expertise verfüge. Das ist ungefähr so wie der Unterschied zwischen einem Klima-Experten und einem Wetter-Experten – sie befassen sich mit zwei verschiedenen Aspekten desselben Themas - das entspricht hier meiner Situation.

Tacheles: Wurde ihre Botschaft gut aufgenommen? Sie werden ja auch dort mit Wachstumskritik aufgetreten sein und sie gelten als Kassandra.

Dennis Meadows: Das war faszinierend für mich. Zum ersten Mal kam ich vor 40 Jahren nach Berlin, 1972. Und damals habe ich Aussagen über die Zukunft gemacht, die keiner geglaubt hat. Jetzt, 40 Jahre später, sagen sie: "Oh, Sie hatten ja Recht vor 40 Jahren", aber jetzt sie glauben wieder nicht, was ich sage. Da ich ein berühmter und angesehener Mann bin, waren sie sehr höflich, aber ich glaube nicht, dass ich großen Einfluss auf ihr Handeln habe. Eine meiner Hauptbotschaften hier war, dass man den Begriff "Wachstum" weiter differenzieren muss. Wir sagen Wachstum, meinen aber ökonomischen Fortschritt und alles mögliche andere. In unserem Buch haben wir gesagt, dass das physische Wachstum gestoppt werden muss, aber dass das nicht-physische Wachstum noch lange Zeit weitergehen kann. Das ist der Unterschied zwischen Wachstum und Entwicklung – hier muss der Wandel ansetzen. Wenn man ein Kind hat, dann ist man die ersten 15-20 Jahre sehr stolz und froh, wenn es physisch wächst. Wenn es aber mit über 20 Jahren immer noch weiter wächst, würde man anfangen sich Sorgen zu machen. Mit unserer Wirtschaft ist das das Gleiche. Wachstum war in der Vergangenheit gut, jetzt müssen wir uns nicht-materiellen Dingen zuwenden: Kultur, Sprache, Bildung, Gesundheit, Versorgung der Alten - solche Bereiche.

Tacheles: Vor knapp 40 Jahren hat unter ihrer Leitung ein Team von Wissenschaftlern des MIT, die Studie "Limits to growth" – die Grenzen des Wachstums veröffentlicht. Darin sagen sie voraus, dass in absehbarer Zeit, spätestens bis zum Jahr 2100 das Wachstum der Menschheit zu einem Ende kommt, eben an seine Grenzen stößt. Wie kamen sie zu der These. Fühlen Sie sich bestätigt?

Dennis Meadows: Natürlich ist es bis zum Jahr 2100 noch ein weiter Weg, aber in vielen unserer Szenarios endete das physische Wachstum schon zwischen 2020 und 2040. Das können wir jetzt sehen. Den Studien zufolge sind wir genau auf diesem Weg, unglücklicherweise. Tatsächlich sinkt das Wachstum schon in vielen Bereichen. Der Klimawandel, die endgültige Erschöpfung der Ressourcen, das alles liegt noch vor uns und wird einen immensen Einfluss auf die weitere physische Expansion haben.

Tacheles: Ihre Prognosen beruhten im Wesentlichen auf einem Modell der Welt, dass Sie und ihre Kollegen entwickelt haben. Wie muss man sich dieses Modell vorstellen?

Dennis Meadows: Das Modell wurde gezielt entwickelt, um die Dynamik des physischen Wachstums auf der Erde zu verstehen – Wachstum der Bevölkerung, der Wachstum der Wirtschaft und so weiter – für den Zeitraum von 1900 bis 2100. Es ist ein sehr einfaches Modell, weil wir keine gute, keine wissenschaftliche Datengrundlage für diese Dinge haben. Das Modell hat fünf Haupt-Sektoren: Landwirtschaft, Bevölkerung, Ressourcen, Umweltverschmutzung und Industrie – und es zeigt, wie diese zusammenwirken. Unser Ziel war es die empirischen Erkenntnisse zu diesen Sektoren, die über die Zeit entwickelt worden waren, in das Modell zu integrieren, um langfristige Entwicklungen zu verstehen. Wir haben zwei Neuauflagen des Buches erarbeitet, eine 1994 und eine 2004. Beide Male haben wir echte Daten, der Wirtschaft und so weiter, mit den Annahmen des Modells verglichen. Es gab im Grunde nur sehr kleine Abweichungen - nichts, was unseren wesentlichen Ergebnissen widersprochen hätte.

Tacheles: Was war das Ergebnis Ihrer Modellversuche? Wie sah das Spektrum aus? Worst case - best case?

Dennis Meadows: Das best-mögliche Szenario von damals, 1972, war, dass wir in der Lage sein würden, das Wachstum anzuhalten, bevor es zu weit geht, und wir zu etwas kommen könnten, das man heute als nachhaltige Entwicklung bezeichnet. Das heißt, ein nachhaltig hohes Niveau an Gemeinwohl für die Menschen.

Der schlimmste Fall war, dass man eben nicht rechtzeitig anhält, sondern über die Nachhaltigkeitsgrenzen hinweg wächst – und dann muss man natürlich wieder runter kommen, was man gemeinhin Zusammenbruch oder Kollaps nennt. Obwohl mit Kollaps eigentlich eine sehr plötzliche, abrupte Entwicklung bezeichnet wird, was in der Wirklichkeit wahrscheinlich eher schrittweise und sehr viel langsamer stattfindet.

Das war im Jahr 1972. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Menschheit ungefähr 85 Prozent des Niveaus dessen erreicht, was man noch als nachhaltig bezeichnen kann. Jetzt haben wir diese Grenze weit überschritten und befinden uns bei 140 Prozent. Und die Entwicklung beschleunigt sich immer weiter. Wir haben also überhaupt nicht mehr die Möglichkeit zur nachhaltigen Entwicklung. Maßnahmen, die in den 70er Jahren noch zu einer einigermaßen wünschenswerten Zukunft geführt hätten, können heute nicht mehr ergriffen werden. Geburtenkontrolle ist effektiv, wenn die Bevölkerung noch unter dem Grenzwert liegt, nicht mehr, wenn sie bereits darüber hinaus gewachsen ist.

Tacheles: Sie haben es schon angedeutet, aber ich würde gerne noch mal nachfragen. Was heißt das eigentlich wenn in Ihrem Szenarium ein Scheitelpunkt erreicht ist? Folgt dann der Zusammenbruch der Zivilisation? Oder ist auch ein sanfter Rückgang vorstellbar?

Dennis Meadows: Das wissen wir nicht. Ich denke viel über diese Frage nach. Und unser Modell gibt da keine Antwort. Es ist ein Modell des Wachstums, nicht des Niedergangs, es ist da also nicht gut anwendbar.

Es wird in verschiedenen Ländern zu verschiedenen Zeiten auf unterschiedliche Weise ablaufen. Der Zusammenbruch hat in einigen Ländern bereits begonnen, und es mag auch ein paar reiche Länder geben, die diese Phase durchleben und es kaum bemerken.

Tacheles: Wenn Sie sagen, der Zusammenbruch beginnt bereits in einigen Ländern. Was sind die Anzeichen dafür, woran lesen Sie das ab?

Dennis Meadows: Wir sehen zum Beispiel, dass die Lebenserwartung in manchen Ländern sinkt. Die Statistik legt nahe, dass die Nahrungsproduktion pro Kopf Ende der 90er Jahre ihr Maximum erreicht hat. Insgesamt betrachtet wächst die Nahrungsproduktion zwar, aber die Bevölkerung wächst noch schneller, so dass die produzierte Nahrungsmenge pro Person bereits sinkt. Die Welt-Ölproduktion sinkt. Wir sehen die Anzeichen überall.

Tacheles: Sie hören Deutschlandradio Kultur – Tacheles - im Gespräch mit Dennis Meadows dem Autor von "Die Grenzen des Wachstums" Professor Meadows, Sie waren noch nicht mal 30 Jahre alt, als Sie 1970 den Auftrag erhielten für den Club of Rome eine Studie zur Zukunft der Menschheit zu erstellen. Wie kam es dazu?

Dennis Meadows: Einer der Vorteile des amerikanischen Universitätssystems im Vergleich zum europäischen besteht darin, dass es auch jungen Professoren Verantwortung überträgt. Wenn ich in Deutschland oder einem anderen europäischen Land gewesen wäre, wäre es niemals möglich gewesen, als Junior-Professor die Verantwortung für eine derartige Studie zu übernehmen. Ich hätte mindestens 50 Jahre alt sein müssen, damit mir überhaupt jemand vertraut. Was die Studie außerdem möglich machte, war, dass die deutsche Volkswagen Stiftung unserer Arbeit vertraute und uns Geld für die Forschung gab.

Tacheles: Sie haben auch Szenarien entwickelt, die auf einen relativen Gleichgewichtszustand hinauslaufen, also darauf dass es nicht zum Crash kommt. Was waren die Vorraussetzungen dafür?

Dennis Meadows: Um eine solche Stabilität zu erreichen braucht man technologische Veränderung. Wir mussten dafür bedeutende Fortschritten in der landwirtschaftlichen Produktivität unterstellen, mit effektiver Ressourcen-Nutzung rechnen und die Minderung der Umweltverschmutzung voraussetzen. Aber diese technologischen Veränderungen allein waren nicht ausreichend. Wir mussten zudem von einem generellen kulturellen und psychologischen Wandel ausgehen.

Und ich kenne Länder, die sagen, sie hätten genügend Einwohner. Aber ich kenne bisher noch kein Land, das von sich sagt, es hätte einen ausreichend hohen Lebensstandard. Und wenn der Lebensstandard in Deutschland nicht hoch genug ist, was soll man dann über Länder wie China oder Ägypten denken?

Tacheles: Kritiker warfen und werfen ihnen vor, dass Sie die Rolle von Technologie generell unterschätzen. Sie sind kein Freund von Technologie, glauben sie nicht an technische Lösungsmöglichkeiten?

Dennis Meadows: Das ist interessant. Die Leute, die diese Vorwürfe erheben sind typischerweise keine Naturwissenschaftler, sondern Ökonomen oder Soziologen. Ich habe einen Universitätsabschluss in Chemie, ich war Professor am MIT-Institute of Technology, ich war viele Jahre lang Professor für Ingenieurswesen. Ich verstehe wirklich etwas von Technologie – und ich weiß, dass sie nicht von selbst wirksam ist. Technologie ist ein Werkzeug, das die Ziele der Menschen widerspiegelt, die in ihre Entwicklung investiert haben.

Tacheles: In Deutschland ist man sehr stolz auf die Fortschritte, die man beim Einsatz der Windenergie und der Solartechnik gemacht hat. Man arbeitet an benzinsparenden Autos, trennt Müll und dämmt Häuser. Das ist doch was?

Dennis Meadows: Wissen Sie, Deutschland ist ein exzellentes Beispiel. In den USA verweise ich oft auf Deutschland, wenn ich zeigen will, dass wir mehr tun müssten, mehr auf den Bereich der erneuerbaren Energien setzen, der Gebäude-Effizienz und so weiter. Aber wir sollten nicht glauben, dass das schon irgendwie unsere Probleme löst. Wir befinden uns in ernsthaften Schwierigkeiten. Es ist egal, was für Technologien wir entwickeln, das macht überhaupt keinen Unterschied. Die Menschen reden über Technologie, als handele es sich dabei um eine autonome, nutzbringende Sache, die uns von sich aus den Weg aus unseren Problemen weist. Dabei ähnelt sie eigentlich eher einem Hammer. Wenn man den Hammer einem Mörder gibt, wird er ihn für üble Zwecke nutzen; wenn man den Hammer einem guten Möbeltischler gibt, wird er damit etwas Nützliches und Schönes herzustellen. Mit der Technologie verhält es sich genauso.

Tacheles: Auch beim Club Of Rome, waren nicht alle Mitglieder mit den Ergebnissen der Studie einverstanden. Warum?

Dennis Meadows: Man kann kaum davon ausgehen, dass ein so revolutionäres Statement wie unseres von einer Gruppe von Menschen aus verschiedenen Kulturen mit unterschiedlichen beruflichen Hintergründen und Einkommensverhältnissen sofort akzeptiert wird. Ich habe das nie geglaubt. Deshalb ist es ein "Bericht an den Club of Rome" und nicht "vom Club of Rome". Ohne den Club hätten wir das nicht machen können, aber es gab viele Leute dort, die dachten, dass wir völlig falsch liegen und komplett verrückt geworden sind, und das denken die wahrscheinlich auch heute noch.

Bei uns sagt man "Exzellenz gewinnt keine Mehrheiten", und man sagt auch "Ein Kamel ist ein Pferd, das von einem Komitee entworfen wurde". Ich habe nie geglaubt, dass unsere Forschungsergebnisse die Sicht einer demokratischen Mehrheit repräsentieren könnten. Man hat uns Geld gegeben, man hat uns beauftragt unsere beste wissenschaftliche Expertise einzusetzen und die Fragen zu erforschen, und das haben wir getan.

Tacheles: Mir scheint, dass nach zwei Jahrzehnten massiver Kritik an Ihrer Untersuchung, in den letzten Jahren wieder die positive Würdigungen die Überhand gewinnen. Ist das so? Gibt Ihnen die Entwicklung der Welt recht?

Dennis Meadows: Ich bin natürlich wie ein Vater, der nur auf die Komplimente für sein Kind achtet, und nicht auf die Kritik an ihm – ich bin in dem Fall also sicherlich keine objektiver Beobachter. Aber die Bücher, die zu dem Thema in letzter Zeit erschienen sind, Studien aus Australien, den Niederlanden, Italien, zeigen, dass die Welt sich tatsächlich auf dem Weg bewegt, den wir vorausgesagt haben.

Tacheles: Sie halten viele Reden und fast immer hören Ihnen auch Politiker oder Unternehmer zu. Glauben Sie, dass Sie Einfluss auf das politische Handeln der Akteure haben?

Dennis Meadows: Wenn ich herumreise, vor allem in Europa, sagen mir hochrangige Politiker - Minister für Energie, Umwelt, Kanzler und solche Leute – privat oft, "Wissen Sie, ich habe Ihr Buch gelesen, als ich jung war, und es hat wirklich meine Sichtweise verändert, es hat mich dazu gebracht etwas anderes zu studieren oder mich in meiner Arbeit in eine andere Richtung zu entwickeln" – in diesem Sinne hatten wir wohl einen gewissen Einfluss. Aber darüber hinaus? Ich glaube nicht. Es hatte natürlich einen großen Einfluss auf mein Leben, aber ich denke nicht auf die Welt. In 50 Jahren wird es kaum noch eine Bedeutung haben, dass wir dieses Buch geschrieben haben.

Tacheles: Sie haben 1972 geschrieben, dass die Menschheit noch die Wahl hat, sich selbst Grenzen zu setzen. Hat sich das heute auch noch?

Dennis Meadows: Nein. Haben wir nicht. 1992 hätten wir das noch gehabt, wenn man bereit gewesen wäre wirklich drastische Maßnahmen zu ergreifen. 1992 hatten wir angekündigt, dass es 2012 oder 2014 wieder ein Buch geben würde. Ich werde dieses Buch nicht schreiben, weil es nicht mehr möglich ist, innerhalb dieses Modells realistische Annahmen zu verarbeiten, die vernünftige Ergebnisse hervorbringen.

Die Menschheit wird nicht verschwinden. Unsere Zivilisation wird sicher noch weiter existieren, aber wir brauchen jetzt eine andere Art von Modell. Wir brauchen ein Modell, das uns hilft, uns in eine vollkommen andere Richtung zu bewegen. Und das geht nicht mit World 3, da braucht man etwas ganz anderes.

Tacheles: Bisher läuft es in den westlichen Ländern immer noch recht gut. Wie und wann werden wir merken, dass die Grenzen des Wachstums erreicht sind?

Dennis Meadows: Wenn Sie "wir" sagen, nehme ich mal an, dass sie Deutschland meinen. Ihr fangt schon an, diese Grenzen wahrzunehmen. Die deutsche Industrie ist zum Beispiel abhängig von seltenen Erden. China ist zu Eurem Hauptversorger geworden ist. Und wenn China nun beschließt die Exporte zu stoppen und den Preis anzuheben, sieht man plötzlich die Grenzen in diesem Bereich. Die Ölpreise steigen, Eure Exporte werden teurer. Deutschland ist wesentlich abhängiger von Energieimporten als jedes andere EU-Land, über 60 Prozent Eurer Energie wird importiert. Sobald jemand den Gas- oder den Ölhahn zudreht, werdet Ihr Eure Grenzen spüren. Andere Länder müssen da gar nicht erst in die Zukunft blicken, sie kämpfen schon jetzt mit unzureichender Wasserversorgung, Mangel an Nahrungsmitteln und Energie. Der ganze Planet durchläuft nun langsam diese Phase.

Wird es jemals einen Zeitpunkt in Deutschland geben, an dem Ihr sagt, "jetzt haben wir die Grenzen erreicht"? Nein, das glaube ich nicht. Einige politische Gruppen werden das sagen, andere, Ökonomen und so weiter, werden die Tatsachen einfach für immer ignorieren.

Tacheles: Also was wird passieren? In der Untersuchung von 1972 sagen sie den Zusammenbruch des Systems ab dem Jahr 2030 voraus.
Dennis Meadows: Ich möchte jetzt nicht akademisch und haarspalterisch werden, aber sie benutzen den Begriff Zusammenbruch im Sinne eines einmaligen Ereignisses, etwas das eine Weile lang passiert und dann wieder endet. So wie ein Gebäude fällt zusammenfällt. Ich glaube nicht, dass es so sein wird. Es handelt sich vielmehr um eine langsame Erosion, und die findet bereits statt. Die meisten Menschen, sogar in Deutschland, können heute schon von Bereichen in ihrem Leben berichten, die sich derzeit verschlechtern. Darüber reden wir hier.

Tacheles: Ist die Schulden- und Finanzkrise Ihrer Meinung ein Anzeichen für eine generellen Umschwung?

Dennis Meadows: Selbstverständlich interessiert es mich persönlich sehr, was mit dem Euro und mit dem Dollar passieren wird. Also habe ich mir selbst die gleiche Frage gestellt. Ich glaube es verhält sich eher so wie die Beziehung zwischen dem Klimawandel und dem Wirbelsturm Kathrina. Wenn man die These des Klimawandels akzeptiert, weiß man, dass es mehr heftige Stürme geben wird. Wenn aber ein heftiger Sturm wie Kathrina stattfindet, beweist das dann, dass es auch einen Klimawandel gibt? Nein. Betrachtet man die physischen Parameter, sieht man, dass sich der Druck insgesamt erhöht. Es wird im Verlauf der nächsten 20 Jahre enorme Veränderungen geben. Ich habe das bereits gesagt, und ich denke es stimmt auch: in Deutschland wird es in den nächsten 20 Jahren mehr Veränderungen geben, als in den letzten 100 Jahren davor. Wie werden die aussehen?

Das wird sich in verschiedenen Aspekten zeigen. Zum Teil wird es im Finanzsystem sichtbar werden. Aber das Finanzsystem ist in gewissem Maß von den anderen Systemen entkoppelt, da es physisch nicht begrenzt ist. Regierungen können so viel Geld drucken, wie sie wollen. Sie können nicht so viel Energie oder Nahrungsmittel produzieren, wie sie wollen. Dafür benötigt man Kapital, Energie und Arbeitskraft – aber Geld, da genügt es einen Knopf am Computer zu drücken und sofort hat man zwei- oder dreimal so viel.

Tacheles: Aber ist ein Kredit nicht immer auch ein Versprechen oder eine Wette auf Wachstum?

Dennis Meadows: Auf sehr zentrale Weise. In unserem System wird Geld geschaffen, indem man es verleiht. Wenn Sie sich also Geld für Ihr Haus oder eine Anschaffung leihen, schafft das wiederum Geld. Mit der Schöpfung des Geldes geht die Verpflichtung einher, mehr zurück zu zahlen, mit Zinsen. Jedes Mal also, wenn man Geld erzeugt, erzeugt man eine weitere Verpflichtung zu Wachstum – genügend Wachstum, um den Kredit plus Zinsen zurück zu zahlen. Es hat in der Geschichte der Menschheit schon andere Geld-Systeme gegeben. Es gab Systeme mit einem negativen Zinssatz anstelle eines positiven, in dem die Zinsen mit der Zeit immer geringer werden. Diese Systeme sind für eine nachhaltige Entwicklung viel geeigneter. Tatsächlich glaube ich nicht, dass irgendeine Form von nachhaltiger Entwicklung möglich ist, solange wir unser derzeitiges Finanzsystem beibehalten.

Tacheles: Sie haben vor dem Ausschuss des Bundestages gesagt, dass es bereits zu spät für eine nachhaltige Entwicklung ist. Dabei ist Nachhaltigkeit eines der Modewörter überhaupt.

Dennis Meadows: Da habe ich mich wohl im Wort vergriffen, als ich das sagte. Ja, es ist zu spät. Wir müssen unter allen Umständen auf ein niedrigeres Niveau des Energie- und Rohstoffverbrauchs kommen, sogar, und vielleicht gerade, in Deutschland. Das könnte dann nachhaltige Entwicklung sein. Aber der Begriff nachhaltige Entwicklung an sich, so wie er gebraucht wird, zielt meist nicht darauf ab, dass ein niedrigeres Niveau angestrebt wird, meist bedeutet er: Wir behalten, was wir haben, und alle anderen bekommen, was sie haben sollten. Und das alles ohne allzu großen Schaden an der Umwelt anzurichten. Das ist politisch eine sehr reizvolle Idee, aber es ist nur eine Phantasievorstellung.

Tacheles: Also ist unsere einzige Chance zu verzichten, oder generell zu verzichten?

Dennis Meadows: Es ist keine Frage der Chance, es ist eine Frage der Möglichkeit. Wenn Sie Auto fahren und irgendwo mitten auf dem Land das Benzin alle ist, würden Sie ja auch nicht sagen, unsere einzige Chance ist, anzuhalten, Sie würden sagen wir halten an – die Frage ist nicht, sollen wir anhalten oder nicht? Wir werden anhalten, das Benzin ist alle. Die Frage lautet also: wo halten wir an, wie machen wir das, werden wir die Bremse ziehen und an einer sicheren Stelle anhalten oder werden wir anhalten indem wir mit etwas anderem zusammenstoßen oder irgendwo drauf fahren? Das ist eine ziemlich krude Metapher, aber das ist tatsächlich die Situation, in der sich die reichen Länder heute befinden.

Ein deutsches Forschungsinstitut, die Energy Watch Group, teilte kürzlich mit, dass die Ölproduktion im Jahr 2030 nur noch die Hälfte des heutigen Stands erreichen wird. Das deutsche Transportsystem hängt nahezu ausschließlich von Öl als Treibstoff ab. Und all die erneuerbare Energie der Welt wird nicht ausreichen die ganzen Autos, Lastwagen und Flugzeuge zu betreiben. Man wird sich also auf niedrigeres Niveau an Mobilität einstellen müssen. Das muss ja keine Katastrophe sein. Vor 50 Jahren hatte Deutschland ein viel niedrigeres Niveau an Mobilität und das war in Ordnung so. Ich war vor 50, 60 Jahren in Deutschland, die Lebensqualität war ziemlich gut, die Leute waren zufrieden, die allgemeine Gesundheitssituation war ziemlich gut. Man hatte keine I-Pods, keine Autos mit 400 PS, keine Klimaanlagen, aber es ist absolut möglich, so zu leben. Der größte Teil der Menschheitsgeschichte basiert auf erneuerbaren Ressourcen, in der Vergangenheit war das so und in der Zukunft wird das auch so sein. Wir leben jetzt eben in dieser sehr kurzen Phase, in der wir alles tun um alles aus der Erde zu buddeln. Das war prima, so lange es funktioniert hat, aber jetzt ist es fast vorbei.

Tacheles: Wie können Ihre Erkenntnisse überhaupt in politisches Handelns umgesetzt werden? Wer könnte Akteur des Wandels sein?

Dennis Meadows: Ich glaube nicht, dass das möglich ist. Denn die Probleme, um die es geht, kann man nur lösen, indem man jetzt zahlt und erst später einen Nutzen daraus zieht. Das ist genau das Gegenteil von Politik. Die Politik hat gerne sofort den Nutzen und zahlt dann später – daher haben wir all diese Riesenschulden. Wir leihen uns Geld, damit wir jetzt konsumieren können, in der Vorstellung es dann irgendwie später zurück zu zahlen.

Das politische System wird sich mit diesen Problemen nicht auseinander setzen. Es wird eher so laufen wie jetzt beim Euro. Diese Krise ist kein überraschendes Phänomen. Schon seit Jahren gibt es Menschen, die sagen, dass das Euro-System aufgrund seiner Struktur nicht überlebensfähig ist. Aber die Politiker ignorierten das. Und jetzt ist da plötzlich diese Krise. Also passiert jetzt plötzlich etwas – was, weiß ich nicht. Aber sie befassen sich erst damit, wenn eine Krise da ist.

Tacheles: Können Demokratien keine abrupten Kurswechsel vornehmen? Länder wie China können von heute auf morgen beschließen das Bevölkerungswachstum zu beschränken. In Demokratien wie unserer ist schon die Frage, ob man ein Dosenpfand einführt, Gegenstand jahrelanger Diskussionen?

Dennis Meadows: Ich glaube nicht, dass die Regierungsform das Entscheidende ist, entscheidend ist vielmehr der Zeitrahmen. Man muss in der Lage zu sein, jetzt zu bezahlen, um ein langfristiges Problem zu lösen und dann später den Nutzen daraus zu ziehen. Wenn man das in einer Demokratie tun kann, dann kann auch die Demokratie diese Probleme lösen. Bei anderen Regierungsformen, wie z.B. der Diktatur ist das ähnlich. Es gibt einige weit-blickende Diktaturen und eine Menge kurzsichtiger Diktaturen. Eine kurzsichtige Diktatur wird sich ebenfalls kaum mit dieser Thematik auseinandersetzen. Es gibt also keine Regierungsform, die automatisch diese Probleme lösen kann – leider. Ob wir sie lösen oder nicht, hängt also ganz von uns ab.

Tacheles: Kann ein Politiker überhaupt mit dem Slogan "weniger Wachstum" eine Wahl antreten? Ist das vorstellbar?

Dennis Meadows: In den USA ist das sicher unvorstellbar, wahrscheinlich auch hier, obwohl ich mich mit Ihrem politischen System weniger auskenne. Aber es ist nicht völlig undenkbar – man müsste keine physikalischen Gesetze außer Kraft setzen, um eine Demokratie zu haben, die so funktioniert. Aber zurzeit funktioniert es eben nicht so, aus einer Reihe von Gründen. Die Industrie ermutigt immer zum kurzfristigen Konsum, weil so ihre Umsätze steigen und Politiker fordern dazu auf, weil sie vor den nächsten Wahlen etwas vorweisen möchten. Momentan sehe ich nicht, wie das passieren könnte.

Tacheles: Nächstes Jahr sind in Ihrem Heimatland Wahlen. Wird auch irgendeine Form von Wachstumskritik zur Wahl stehen?

Dennis Meadows: Nicht in den Vereinigten Staaten. Wir leugnen sogar den Klimawandel. Wenn wir also nicht einmal glauben, dass sich das Klima infolge menschlichen Handelns verändert, sind wir in den USA mit Sicherheit politisch noch nicht so weit über andere Arten von Wachstumsgrenzen zu sprechen. Bei uns ist das Problem zurzeit genau anders herum, die Politiker suchen verzweifelt nach Möglichkeiten, das Wachstum weiter anzukurbeln.

Tacheles: Professor Meadows, vielen Dank für das Gepräch.
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