Für eine Handvoll Euro

Von Stefan Schmid · 17.12.2011
Schaut man heute in die besorgten Gesichter all der Menschen, die sich um eine Rettung des Euro bemühen, mag man kaum glauben, welche Partystimmung vor zehn Jahren herrschte, als in Deutschland die ersten Starterkits mit Euromünzen ausgegeben wurden: Man stand schon um Mitternacht Schlange vor den Banken, um 20 D-Mark in einen Plastikbeutel mit 10,23 Euro umzutauschen.
"Fünf, vier, drei, zwei, eins! - Der Euro ist da, meine Damen und Herren, die Prominenten werden jetzt in der Sparkasse Ihnen die ersten Starterkits verkaufen. Machen Sie uns bitte den Weg etwas frei damit der Oberbürgermeister, der Bundesbankpräsident die ersten Starterkits verkaufen können."

Am 17. Dezember 2001 fiel in Frankfurt am Main der Startschuss: Banken in ganz Deutschland verkauften erstmals Euromünzen in Plastiktüten, um das Publikum auf die Einführung des neuen Bargeldes einzustimmen:

"Bisschen klein, ich hab's mir größer vorgestellt."

"Eigentlich recht schön, bis auf das 20-Cent-Stück, mit den Kerben, das gefällt mir ehrlich gesagt gar nicht."

"Schön schwer: Ich habe gerade drei Packerl genommen wie ein Bankräuber."

Die Eintrittkarten ins Reich des Euro gingen weg wie warme Semmeln. Bundesbankpräsident Ernst Welteke:

"Wunderbar, wir sind bald ausverkauft, wenn das so weiter geht. Nein, es ist schon erstaunlich, wie groß der Andrang ist. Und das straft alle Lügen, die gesagt haben: Die Euroeinführung stößt auf große Skepsis bei der Bevölkerung. Das genaue Gegenteil sieht man hier."

Mit der Bargeldausgabe war die Europäische Währungsunion vollendet, ein wirtschaftliches und politisches Großprojekt der europäischen Integration:

1992 hatte der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl den Fahrplan zur Gemeinschaftswährung unterschrieben. 1997 sagte er beim Festakt zur Gründung der Europäischen Zentralbank EZB:

"Mit dieser Währung, mit diesem Euro wird sich ein neues, uns völlig unvertrautes Gefühl der Zusammengehörigkeit entwickeln. Europa wird für die Menschen überall in Europa ganz praktisch erfahrbar sein."

In Deutschland waren freilich viele Fachleute skeptisch, etwa bei der Deutschen Bundesbank, weil der Währungsunion keine politische Union vorausgegangen war. Viele Menschen fürchteten sich auch vor Preiserhöhungen. Bundesfinanzminister Theo Waigel beschwichtigte:

"Die D-Mark verschwindet nicht, sondern im Grunde wird das deutsche System, die deutsche Institution, die deutsche Stabilität und auch das Währungssystem in ganz Europa eingeführt."

Länder, die unter hohen Zinsen litten, Italien oder Spanien zum Beispiel, hofften auf mehr Wirtschaftswachstum durch niedrigere Zinsen, die deutsche Wirtschaft versprach sich bessere Geschäfte durch einen stabileren Wechselkurs. Zunächst ging die Rechnung auf: Länder wie Spanien oder Irland boomten, auch der deutsche Export kam - etwas später - in Schwung. Doch eine Währungsunion funktioniert auf längere Sicht nur, wenn Löhne, Preise und Staatsschulden in den Mitgliedsländern nicht auseinanderdriften. Genau das passierte aber. Ökonom Heiner Flassbeck:

"Deutschland hat unmittelbar nach Beginn der Währungsunion angefangen, über relative Lohnsenkungen, also Zurückbleiben der Löhne hinter der Produktivität, ein bestimmtes Konzept zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit umzusetzen. Und andere in Südeuropa, Spanien, Portugal, Griechenland, Italien, haben lustig auf Teufel komm raus die Löhne erhöht, und das geht natürlich nicht."

Auch der Stabilitätspakt zur Begrenzung der Staatsverschuldung wurde missachtet, sogar vom Erfinder Deutschland, und später aufgeweicht. In der Rezession nach der Lehman-Pleite und der Bankenkrise explodierten die Staatsschulden dann, bald waren Euroländer mit schwacher Wirtschaft nicht mehr kreditwürdig und standen vor dem Bankrott. Damit drohten auch den wettbewerbsfähigen Euroländern gigantische Verluste, also schnürten sie große Rettungspakete. Professor Peter Bofinger, einer der Wirtschaftsweisen:

"Das ist eben eine Situation, wie wenn Sie jetzt eine Gletschertour machen, wo Sie in einer eisigen Wand sind, und die Leute sind am Seil. Und wenn da einer rutscht, dann zieht er die ganze Seilschaft mit, sprich: Wenn Griechenland gerutscht wäre, im Mai, dann hätte das relativ schnell diese gesamte Seilschaft mitgezogen, und das wären nicht nur Portugal, Spanien und Irland gewesen, sondern Italien und Belgien hängen da auch noch mit dran."
Doch die Absturzgefahr ist trotz aller Rettungspakete nicht gebannt: Griechenland ist praktisch ruiniert, Irland und Portugal hängen am Rettungstropf. Italien und Spanien stehen am Rande des Abgrunds, Demonstrationen und Regierungswechsel gehören zum politischen Alltag. Die meisten Experten meinen: Nur mit noch strengeren Schuldenregeln und einer europäischen Wirtschaftsregierung ist die Währungsunion als Hoffnungsträger für ein geeintes Europa zu retten.

Aus dem dradio.de-Archiv:
So berichtete der Deutschlandfunk vor etwa zehn Jahren über die Einführung des damals oft groß geschriebenen EURO:

Der Countdown läuft
Bargeldumtausch von D-Mark zu Euro
"Hintergrund Wirtschaft" vom 17.12.2000
Die Utopie wird Wirklichkeit
Zur Entstehungsgeschichte des EURO
"Hintergrund Wirtschaft" vom 28.10.2001 (Anm.: Real-Audio-Version nicht mehr zugänglich.)
Chaos an den Kassen?
Der Einzelhandel und der Euro
"Hintergrund Wirtschaft" vom 12.2.2001
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