"Fünf Jahre in einem Käfig"

Moderation: Klaus Pokatzky · 22.08.2011
Es geht um die Opfer, die Täter und einen mutigen Juristen - Regisseur Thomas Wallner beleuchtet in einem Film das System Guantanamo. Im Interview spricht er über seine schwierige Suche nach Interviewpartnern und das "Mysterium" Murat Kurnaz.
Klaus Pokatzky: In etwas mehr als drei Wochen jähren sich die Anschläge vom 11. September 2001 zum zehnten Mal. Das Gedenken an die Tausende Opfer wird im Vordergrund stehen, aber zum 11. September gehört auch der vom damaligen US-Präsidenten George W. Bush ausgerufene weltweite Krieg gegen den Terror, und dazu gehören massive Einschränkungen von Grundrechten. Zum 11. September gehört auch Guantanamo, das US-Militärgefängnis auf Kuba. Der Regisseur Thomas Wallner hat einen Dokumentarfilm mit dem Titel "Die Guantanamo Falle" gedreht, heute Abend feiert er in Berlin seine Deutschland-Premiere. Und den darf ich nun im Studio begrüßen, herzlich willkommen!

Thomas Wallner: Guten Tag!

Pokatzky: Herr Wallner, der Film hat drei Hauptpersonen, ganz holzschnittartig: den Guantanamo-Gefangenen Murat Kurnaz, das Opfer; Diane Beaver, die ehemalige Rechtsberaterin der US-Armee, die Täterin; und dann Matthew Diaz, den einstigen Anwalt der Navy, der Widerstand geleistet und dann alles verloren hat, der Held. – Oder ist diese Aufteilung zu einfach?

Wallner: Ja, da wollte ich natürlich sofort einlenken!

Pokatzky: Tun Sie's!

Wallner: Das wäre in der Tat zu einfach! Das ist genau der Film, den ich nicht machen wollte, und ich glaube, den Film haben wir auch nicht gemacht. Denn ich merke, dass, wenn dieser Film vorgeführt wird, dass er Menschen verstört, gerade weil die Protagonisten nicht in diese festen Muster oder Stereotypen fallen.

Pokatzky: Wollten Sie denn von vornherein einen Film über diese drei Personen – um die drei Personen dreht er sich ja nun – machen, oder wollten Sie zunächst nur über Murat Kurnaz und dann, durch viel Glück bei der Recherche, sind Sie auch an die beiden anderen rangekommen?

Wallner: Eigentlich wollte ich mich zuerst bei der USA rächen, weil sie mich fünf Jahre lang auf die Terrorliste gesteckt haben ...

Pokatzky: ... weil Sie immer Probleme beim Grenzübertritt, nur nicht mitgespielt haben, was die da alles machen wollten ...

Wallner: ... genau ...

Pokatzky: ... Sie wollen sich also rächen! – Indem Sie über Murat Kurnaz oder über wen einen Film drehen?

Wallner: Ja, in der Zeit habe ich das buch von Murat Kurnaz gelesen und natürlich war dieser trotzige, kindliche Impuls bei mir nicht der wahre Grund, dann diesen Film zu machen. Das war das Schicksal von Kurnaz, das hat mich sehr, sehr interessiert. Es hat sich dann aber auch ausgeweitet, weil mit Kurnaz haben wir eine Erzählung von einem Mann, der praktisch fünf Jahre in einem Käfig steckte und die Welt nur von diesem Käfig sieht. Das ist eine interessante Perspektive, aber es ist eine sehr eingeschränkte Perspektive. Und ich dachte, man könnte einen interessanteren Film haben, wenn man seine Perspektive mit den Menschenschicksalen von zwei anderen, die im System dort zur gleichen Zeit gearbeitet haben, auch Leute, die ihn kannten.

Pokatzky: Also, das gehörte von Anfang an zur Konzeption, Frau Beaver und Herr Diaz? Oder hat sich das entwickelt? Ich kann mir das gar nicht so vorstellen ...

Wallner: ... wenn es so einfach wäre, dann könnte man so Filme ganz schnell machen! Nein, das war nicht so einfach. Die Frage ist, wer, wie kommt man an diese Leute ran und wer ist Repräsentant für eine größere Geschichte über Moral und Verantwortung? Und ich habe mit vielen Leuten gesprochen, ich habe mit Wärtern gesprochen, Soldaten gesprochen, mit Anwälten gesprochen, und das hat sich so langsam herauskristallisiert, dass hier zwei Figuren waren, die enorm interessante Geschichten hatten, auch enormen Zugang hatten zu Guantanamo.

Pokatzky: Und als Sie Diane Beaver angerufen haben und gesagt haben, hello, my name is Thomas Wallner, I want to make a film, da hat die gesagt, oh ja, kommen Sie vorbei?

Wallner: Das war meine Hoffnung, weil der Film war – das darf man eigentlich gar nicht sagen –, der war schon vollkommen finanziert und ich hatte sie noch gar nicht angerufen ...

Pokatzky: ... das wird hier nicht gesagt!

Wallner: Ja, ich hoffe, dass die Produzenten jetzt nicht mithören! Aber das hat geklappt, ich habe ihr einen Brief geschrieben. Und ich habe ganz transparent und ehrlich gesagt, was ich vorhabe. Ich sagte, ich sehe Ihre Geschichte so, ich habe auch die Opferrolle in der Täterrolle gesehen, ich habe gesagt, Sie können Ihre Geschichte selber, mit eigenen Worten erzählen, ich werde das nicht, also auf Englisch, I won't editorialize it. Und das hat ihr gefallen.

Pokatzky: Und sie hat sich sofort darauf eingelassen?

Wallner: Sagen wir mal so, ich bin dann dreimal runtergeflogen nach Saint Louis von Toronto aus, wo ich wohne, und das war schon ein Prozess der Zeit, wo man auch das Vertrauen aufbauen musste, so schnell ging das nicht.

Pokatzky: Sie ist ja nun fast die Hauptperson in dem Film. Ich glaube, da ist jetzt eine unterschiedliche Wahrnehmungen von Zuschauer zu Zuschauer ...

Wallner: ... das ist so ...

Pokatzky: ... aber ich empfinde sie als mindestens wichtig – und von der Tragik her auch nicht zu unterschätzen – wie Murat Kurnaz. Haben Sie damit gerechnet, als Sie das angefangen hat, dass sich das so entwickelt?

Wallner: Ja, also diese Tragik habe ich von vornherein gesehen.

Pokatzky: Ist sie für sie noch die Täterin?

Wallner: Also, ich möchte mich jetzt nicht dieser Antwort entziehen. Es ist mir zu einfach, Ja dazu zu sagen. Also, da ist eine Mischung. Ich glaube, es ist eine Frage der Moral und ...

Pokatzky: ... was Murat Kurnaz angeht, da haben Sie selber im Begleitheft zu dem Film geschrieben: Niemand weiß wirklich, was er in den Wochen eigentlich getrieben hat, in denen er damals allein durch Pakistan gewandert ist, bevor er dann festgenommen wurde. Der ist ja auch ziemlich gerissen, habe sich seine eigene Geschichte jetzt entwickelt, was ja auch kein Wunder ist nach viereinhalb Jahren solcher Haft. Und dann schreiben Sie, ich will in die tieferen Schichten seiner Geschichte vordringen, zu seiner Person, die er selbst langsam erst zu entdecken scheint. Wieweit ist Ihnen das gelungen bei Murat Kurnaz?

Wallner: Also, der Murat – wir sind auch über die Jahre Freunde geworden –, er hat einen Schutzwall um sich herum, ganz klar. Einmal, weil er von den Medien am Anfang durch den Fleischwolf gedreht wurde und sich da schützen musste, aber er ist auch ein Folteropfer. Und es ist jetzt nicht das erste Mal, dass ich mit Leuten arbeite, die traumatische Lebensabschnitte durchlebt haben, und da ist auch ein Schutzwall. Also, da durchzukommen ist sehr schwierig. Ich glaube, es ist schon gelungen. Wir sehen in dem Film – und ich glaube, das macht es interessant – andere Schichten von diesem Menschen, die vielleicht auch überraschend sind. Ich glaube, was Teil seiner Tragik ist: Durch so eine Art Verschlossenheit entsteht eine Art Mysterium und dieses Mysterium ist eine wunderbare Projektionsfläche für Vorurteile.

Pokatzky: Wie weit sind Sie an ihn rangekommen, sind Sie auch nur annähernd so weit an ihn rangekommen, wie Sie das erhofft haben?

Wallner: Wir sind uns eigentlich sehr nahe gekommen. Es klingt so komisch, aber ich bin zufrieden mit dem, was von Murat Kurnaz auf der Leinwand zu sehen ist, und das ist was Neues.

Pokatzky: An eine sind Sie gar nicht rangekommen. Das ist eine Menschenrechtsanwältin. An die hat der Matt Diaz, der also seine Karriere ja nun damit beendet hat, damals die Liste der Häftlinge aus Guantanamo herausgeschmuggelt. Das hat ihm ein halbes Jahr Haft eingebracht, das Ende seiner Tätigkeit bei der Armee. Die hat gesagt, sie lässt sich nicht interviewen. War das die Einzige oder haben Sie von anderen auch noch Körbe bekommen?

Wallner: Ich habe auch einen Korb bekommen von einem Verhörer, der damals in Abu Ghraib gearbeitet hat. Der war auch ein bisschen weit weg vom Thema, aber der Mann war so kaputt durch seine eigene Tätigkeit, dass er letztendlich im Film nicht auftreten könnte. Aber man könnte sagen, ja, sie war eine der ... Schade, dass sie nicht im Film drin ist.

Pokatzky: Was ist von der großen Obama-Hoffnung geblieben? Sie beschreiben auch Juristen in Spanien, die gegen amerikanische Ermittler vorgehen wollen, das ist aufgrund der Obama-Regierung erst einmal sozusagen eingefroren. Wir hatten ja beim Amtsantritt Obamas gehofft, Guantanamo wird nun geschlossen. Sie, der Sie sich nun Jahre damit beschäftigt haben: Wann wird Guantanamo geschlossen?

Wallner: Also, von dieser Hoffnung ist gar nichts übrig geblieben, das ist ganz klar. Ich meine, Obama hat da Sprüche gemacht, die Intentionen waren sicherlich echt. Aber Guantanamo ist so ein Schlamassel, dass sich das nicht so leicht machen lässt, das schafft nicht mal der Präsident. Das ist sehr, sehr verworren, ich glaube, da werden wir noch lange warten.

Pokatzky: Warum?

Wallner: Das hat teilweise auch mit juristischen Situationen zu tun, wo man in einer Sackgasse ist, und es ist, glaube ich auch, ehrlich gesagt, für die Obama-Regierung, die haben andere Sachen zu tun, das ist nicht so wichtig. Das ist mehr eine, wie man auf Englisch sagt, liability as an asset. Das ist, ich glaube, das ist der wahre Grund.

Pokatzky: Danke, Thomas Wallner! Ihr Film erlebt heute Abend seine deutsche Premiere in Berlin, im Kino Babylon Mitte, ab 20 Uhr. Und zur anschließenden Diskussion wird dann auch Murat Kurnaz anwesend sein. Und über Murat Kurnaz werden wir übermorgen im "Radiofeuilleton" um 15:50 ein Porträt haben.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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