Frust und Lust mit den Klassikern

Von Blanka Weber · 09.11.2012
Eine ernüchternde Ausgangslage war für die Klassik Stiftung Weimar Anstoß für ihre Veranstaltung "Wen interessiert noch Goethe?". Wissenschaftler, Pädagogen und Kulturvermittler motivierte dabei besonders, wie man die begeistern kann, die bisher keine Lust auf die Klassiker haben.
"Auf den ersten Blick erscheint es provokant, aber es ist tatsächliche eine Frage, die wir uns täglich stellen."

Sagt Sophia Gröschke, eine von acht fest angestellten Kulturvermittlerinnen der Klassik Stiftung Weimar, die möglichst maßgeschneidert Angebote machen für Schüler und Lehrer. Ihre eigene Studienzeit liegt erst wenige Jahre zurück und sie weiß, wer heute ihre Generation und jene, die folgen, für Goethe und Schiller begeistern will, der muss mehr bieten als eine Museumsführung im Kostüm. Es scheint tatsächlich eine Quadratur des Kreises zu sein, junge Menschen für alte Klassiker zu begeistern:

"Auf der einen Seite wird die Aufgabe an uns herangetragen, die Kultur zu vermitteln, niemanden auszuschließen, alle an Kultur teilhaben zu lassen, Partizipation, Integration sind die großen Schlagworte, auf der anderen Seite sind wir tatsächlich tagtäglich mit Jugendlichen konfrontiert, die erstmal sagen: Hm, was sollen wir hier, warum sind wir eigentlich nach Weimar gefahren und nicht nach Berlin und da ist es tatsächlich die Frage: Wie kriegen wir diese Jugendlichen? Wen interessiert's eigentlich noch?"

Sophia Gröschke hat genauer nachgefragt, nämlich an Schulen – Gymnasien und Regelschulen, sowie einer bilingualen Schule.

Die einen sind sehr interessiert, die anderen lehnen den Stoff an, weil er einfach uninteressant sei. Und: Wenn nicht der Schüler, so ist also der Lehrer schuld – er vermittle schließlich und wenn das misslinge, kann auch kein Interesse wachsen. Am Abend in Weimar gab Markus Mörchen, Redaktionsleiter der Kindernachrichtensendung logo!, diese Frage an den Staatssekretär des Bildungsministeriums aus Thüringen weiter:

"Herr Professor Merten, die Lehrer machen das nicht ordentlich, das ist trocken, das ist nicht cool, man hat nichts Besseres zu tun. Warum quälen wir immer noch Schüler mit Schiller und Goethe?"

"Warum quälen wir sie damit – wenn wir nur kurz reflektieren auf das, was Sie dargestellt haben. Es ist auffällig das wir auch zumindest Teile aus der Regelschule mit dabei haben. Und dass wir in der Frage auch eines Bildungskanons, der damit verbunden ist, offensichtlich auch eine Art von Begünstigung und nicht Begünstigung von Zugang und nicht Zugang haben, dass da natürlich auch eine bestimmte bürgerliche Wertvorstellung damit verbunden ist. Die Entscheidung für Goethe ist ja nicht nur eine, die sich aus der Qualität des Werkes ergibt."

Welche Inhalte präferieren wir? Fragt der Roland Merten zurück und haben alle Anschluss an diese Inhalte, Stichwort: Bildungsgerechtigkeit?

"Also, wenn sie keinen Anschluss haben, verliert es an besonderem Wert für sie."

Auch das Problem ist erkannt, sagt Sophia Gröschke – die Kultur vermitteln will, egal ob Schüler aus bildungsnahen oder eher bildungsfernen Elternhäusern kommen, beides funktioniert:

"Ja, zum Beispiel findet gerade das Projekt 'Zwischen den Zeilen statt', das sich an Jugendliche richtet, die traditionell wahrscheinlich nicht zum Buch greifen würden und da gibt es Workshops, die über Graffiti, Manga, Rap versuchen Literatur zu vermitteln und das ist tatsächlich eine ganz spannende Angelegenheit für uns."

Die Tagung und Workshops sollen Ideen bringen, wie Jugendliche und Klassik besser zusammenkommen können, in Zeiten der schnelllebigen Informationen und des rastlosen Konsumierens von kleinsten Schnipseln.

"Es darf zumindest nicht mit dem Pathos vermittelt werden, auch nicht normativ, von wegen man muss das wissen, muss das können, es muss `runtergebrochen werden, um zu zeigen: Das kann auch euch interessieren, das sind Themen, die vielleicht für euch eine Rolle spielen."

Also heißt es nun: Goethe auf neuen Wegen für die Jugend zu erschließen, dann gibt es gibt es auch den Bildungserfolg, den wir uns wünschen.

Nicht so einfach, sagte am Abend Tilmann Lahme, der für sein Gymnasium in Göttingen eine Kooperation mit der Klassik Stiftung vereinbart hat. Etwas, das sich durchaus lohne, auch wenn seine Klassen bei Reisen nach Weimar erstmal ziemlich sauer seien:

"Die dann natürlich dann auch mit mir diskutiert, dann lassen Sie uns doch wenigstens an den Gardasee fahren, da war doch Goethe auch mal. Die wussten schon, sie mussten klassisch argumentieren. Wir sind dann hier gelandet, es war die uncoolste Kursfahrt, die man sich vorstellen kann. Die sind nach einer Woche weggefahren und haben gesagt: Höchstes Lob, es war nicht so schlimm Herr Lahme.! Eigentlich war es doch ganz cool!"

Das Elend der Klassik liege darin, dass das 19.Jahrhundert sie zu einem Eigentum der gehobenen Lebensentwürfe gemacht habe, es sei genau das Gegenteil, sagte am Abend der Präsident der Klassik Stiftung Weimar. Wer den Wilhelm Meister lese, verstehe auch, dass darin ein Gegenentwurf steckt, eine Rebellion und ein Impuls gegen das Angepasste – formuliert Hellmut Seemann:

"Und das muss man vermitteln, wenn man Klassik vermitteln will, die eben kein Museum ist, sondern in der die Impulse für Gegenentwürfe stecken."
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