Fruktose

Ist Fruchtzucker ein gefährlicher Verführer?

Produkt mit einer Lupe, die am Einkaufswagen befestigt ist.
Fruchtzucker wird auch in den Drogerien verkauft. © picture alliance / dpa / Uli Deck
Von Udo Pollmer · 17.07.2015
Bisher wurde Fruktose empfohlen, weil sie etwa den Blutzucker weniger stark erhöht. Jetzt gilt das Gegenteil! Schweizer Studien warnen davor, dass der Fruchtzucker Teufelskreise auslöse, die unter anderem Übergewicht und Diabetes förderten – und sogar den Herzmuskel ungebremst wachsen lassen sollen.
Aus der prüden Schweiz, der Brutstätte des asketischen Calvinismus, kommen erschreckende Forschungsergebnisse zum teuflischen Verführer Zucker. Bisher galt die Kritik vor allem dem Haushaltszucker, der im menschlichen Verdauungstrakt in Fruchtzucker und Traubenzucker aufgespalten wird. Dabei galt der Traubenzucker, auch Glukose genannt, als der gefährlichere Bestandteil. Doch inzwischen schießen sich die Experten auf den bisher als "gesünder" gehandelten Fruchtzucker ein.
Das erste Ergebnis verdanken wir der Uni Basel: "Fruchtzucker erzeugt weniger Belohnungsgefühle im Gehirn". Das sei schlimm, denn dann müsse man mehr essen, bis es mit den Gefühlen wieder passt. Klingt logisch. Das Pendant des Fruchtzuckers, der Traubenzucker, ist schon länger gefährlich: Denn der erzeugt mehr Belohnungsgefühle – und dann will man immer mehr davon essen, um sich besser zu fühlen. Klingt auch wieder logisch. Aber die Schlussfolgerungen schließen sich gegenseitig aus.
Verhaltene Insulinausschüttung mit Folgen
Dass Fruchtzucker gefährlich sei, betont auch die ETH Zürich. Denn Fruktose führe zur Insulinresistenz – weil die Insulinausschüttung verhalten erfolgt. Bis dato wurde die Fruktose gerade deshalb empfohlen. Jetzt gilt das Gegenteil: Durch das niedrige Insulin würde man nicht mehr richtig satt und schon äße man wieder mehr. Das fördere Übergewicht und Diabetes. Denn, so die ETH: "Fruktose treibt (den) Teufelskreis an". Traubenzucker ist, wir ahnen es schon, gefährlich, weil er den Blutzuckerspiegel stärker erhöht als Fruktose. Und ein hoher Blutzuckerspiegel führe ja geradewegs zu Diabetes und Übergewicht. Es ist also völlig egal wie ein Zucker wirkt, jede Wirkung wird mit biochemischem Hokuspokus in eine Bedrohung umgedeutet.
"Fruktose steht im Verdacht", so die Baseler Experten, "Übergewicht, Diabetes, Leberverfettung und Gicht zu begünstigen." Es ist die ewige Leier, mit der man das Publikum nach Lust und Laune verrückt machen kann. Die Formulierungen lassen sich bei Bedarf problemlos recyceln, wenn man das Wort Fruktose durch einen beliebigen anderen Bestandteil unserer Nahrung austauscht, wie Salz, Butter, Pflümli, Fleisch, Eiscreme, Milch, Brot. Jeder kann alles nach Belieben "verdächtigen".
Ungebremstes Wachstum des Herzmuskels
Um ihren Worten Nachdruck zu verleihen, haben die Züricher Forscher die Liste der Anwürfe nochmals erweitert: Fruktose würde, und davon sei man vollends entsetzt, zu einem ungebremsten Wachstum des Herzmuskels führen. Das führe dann zu Herzversagen. Raten wir mal, wie die Meldung wohl aussähe, wenn dieser Effekt durch Rucola einträte? Klar: Rucola regeneriert und verjüngt das Herz, in dem er zur Bildung neuer tatkräftiger Zellen anregt. Man könne nie genug davon essen.
Beim Thema Fruktose darf natürlich der "stark fruktosehaltige Maissirup" nicht fehlen, eine Mischung aus Frucht- und Traubenzucker, auch HFCS genannt. Der Konsum sei in der Schweiz dramatisch gestiegen, schon vor Jahren habe er 28 Kilogramm pro Kopf erreicht. Doch diese Zahl haben die Experten der ETH erfunden. Nach Angaben der Schweizer Behörden wurden davon letztes Jahr nicht mal 700 Gramm pro Kopf verbraucht. Da der "stark fruktosehaltige Maissirup" knapp zur Hälfte aus Glukose besteht, sind's umgerechnet pro Tag gerade mal ein Gramm Fruktose. Mit korrekten Daten wäre das alles nicht der Rede wert.
Was ist natürlich, was macht krank?
Aus der Kritik am stark fruktosehaltigen Maissirup entsteht ein neues Problem: Denn viele Lebensmittel enthalten von Natur aus eine Mischung aus Frucht- und Traubenzucker. Honig ist chemisch betrachtet nichts anderes als ein stark fruktosehaltiger Zuckersirup, auch viele Säfte verdanken ihre Süße dieser Zuckerkombination. Manche Experten schweigen darüber fein stille, andere erklären Säfte für "natürlich" und damit für "gesund", und wieder andere warnen ausdrücklich davor, weil man von Fruchtzucker krank würde.
Wir können heute nicht nur verlockende Leckereien für wenig Geld im Discounter kaufen, wir bekommen dazu auch täglich neue Ängste als Dreingabe serviert. So geht die Leichtigkeit des Seins verloren. Mahlzeit!
Literatur:
Ruegg P: Fructose treibt Teufelskreis an. ETH Zürich News 19. Juni 2015
Dieffenbacher C: Fruchtzucker erzeugt weniger Belohnungsgefühle im Gehirn. Universität Basel 25. Juni 2015
Wölnerhanssen BK et al: Dissociable behavioral, physiological and neural effects of acute glucose and fructose ingestion: a pilot study. PLoS One 2015; 10: e0130280
Mirtschink P et al: HIF-driven SF3B1 induces KHK-C to enforce fructolysis and heart disease. Nature 2015; 522: 444-449
Berneis K: Süss durch Fruktose: Sinn oder Unsinn? d-journal 2006, H.180
Gerster R: Das Zuckerwunder in der Schweiz. Grüne Welt 2010 (9): 22-29
Souci – Fachmann – Kraut: Food Composition and Nutrition Tables. MedPharm, Stuttgart 2008
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