"Früh allein gelassen, vielleicht schon immer allein gewesen"

Von Michael Opitz · 08.03.2011
Peter Wawerzineks Bucherfolg "Rabenliebe" öffnete den Blick auf eine traumatisierte Kindheit. Die Erfahrung, früh von den Eltern verlassen worden zu sein, prägte das Leben und Schreiben vieler AutorInnen.
In Julia Francks Roman "Die Mittagsfrau" lässt eine Mutter ihren siebenjährigen Sohn am Ende des Krieges allein auf einem Bahnhof zurück, um ein neues Leben zu beginnen. Einen neuen Anfang ohne ihre Kinder versucht auch die Mutter in Michael Kumpfmüllers Roman "Durst" . Als sie geht, bleiben ihre beiden Kinder in der Wohnung zurück, wo sie verdursten.

Mehr Glück hatte der Schriftsteller Peter Wawerzinek, der noch rechtzeitig gefunden wurde. Auch seine Mutter verschwand einfach, ohne sich um den Jungen und seine Schwester zu kümmern, die mehrere Tage in der elterlichen Wohnung sich selbst überlassen waren. Von der "Muttersuche", auf die er sich Jahrzehnte später begibt, erzählt er in seinem Roman "Rabenliebe".

Nicht bei den Eltern groß geworden zu sein, dieses Schicksal teilt Wawerzinek mit der Dichterin Helga M. Novak, die in ihrer zweibändigen Autobiografie "Die Eisheiligen" und "Vogel federlos" mit dem für ihre Adoptivmutter gefundenen Namen "Kaltesophie" die Kälte zum Thema macht, die ihr Erwachsenwerden begleitet.

Zur Adoption sollte auch Thomas Bernhard freigegeben werden. Die Erfahrung, dass man ihn nicht haben wollte, nimmt einen zentralen Stellenwert in seinem Werk ein. "Ein Alleinsein erzeugen, weil man nicht mehr allein sein will, das ist verbrecherisch", heißt es in seinem Roman "Frost". Die Sendung fragt danach, wie die traumatische Kindheitserfahrung, allein gelassen worden zu sein, in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur verarbeitet worden ist.
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