Friedrich: "Die Erfolgsstory Europas kann fortgesetzt werden"

Moderation: Leonie March · 23.06.2007
Der stellvertretende CSU-Vorsitzende Ingo Friedrich hat die in der Nacht erfolgte Einigung beim EU-Gipfel begrüßt. Es gebe keinen Sieger und keine Verlierer der Verhandlungen. Die Einigung sei ein großer Erfolg für Europa, sagte das Präsidiumsmitglied des EU-Parlaments im Deutschlandradio Kultur. Die Zugeständnisse an Polen und die Briten halten sich in klassischen Formen, so Friedrich.
Leonie March: Die Glaubwürdigkeit und die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union stehe auf dem Spiel, betonte EU-Ratspräsidentin Angela Merkel immer wieder im Vorfeld des Brüsseler Gipfels. Mit harten Bandagen haben die 27 Staats- und Regierungschefs dort seit vorgestern verhandelt über eine neue vertragliche Grundlage für die EU. Insbesondere Polen und Großbritannien nahmen dabei andere Positionen ein als die Mehrheit der Mitgliedstaaten. Nun hat man sich auf einen Kompromiss geeinigt. Am Telefon begrüße ich nun den CSU-Europapolitiker Ingo Friedrich. Er ist Mitglied im Präsidium und im konstitutionellen Ausschuss des EU-Parlaments. Guten Morgen, Herr Friedrich.

Ingo Friedrich: Guten Morgen.

March: Angela Merkel resümierte, auch wenn die Kritik an mancher Stelle zulässig sei, gebe es doch endlich ein Ende des Stillstands in Europa, sehen Sie das genauso?

Friedrich: Auf jeden Fall hat sie mit dieser Analyse Recht. Die Erfolgsstory Europas kann fortgesetzt werden. Es gibt keine Sieger und keine Verlierer, was die Nationalstaaten betrifft. Europa insgesamt kann sich als Gewinner betrachten. Die Voraussetzungen sind geschaffen worden, dass in dieser Gipfelkonferenz das Mandat für eine Regierungskonferenz erteilt wird. Dies ist ein großer Erfolg für Europa.

March: Kommen wir zu den Einzelheiten des Kompromisses: Welches ist denn aus Ihrer Sicht der größte Erfolg?

Friedrich: Der größte Erfolg ist zunächst einmal, dass es zu einem Ergebnis gekommen ist. Der zweite große Bereich ist, dass nun die Regierungskonferenz noch in diesem Jahr 2007 einberufen werden kann, und dass das große Ziel, nämlich im Laufe des Jahres 2008 die Ratifizierung des neuen Reformvertrages, wie es jetzt heißt, oder Vertrag für Europa, das heißt, die Zustimmung in allen 27 Ländern angegangen werden kann, sodass dann die Grundvoraussetzung, die formuliert wurde, nämlich dass Europa auf einer neuen institutionellen Grundlage im Jahre 2009 die Europawahlen in ganz Europa durchführen kann, dass dieses Grundziel und Oberziel erreicht werden konnte, dies ist der Kern des großen Erfolges.

March: Sie haben es gerade gesagt, der neue Vertrag soll bis 2009 und damit bis zur nächsten Europawahl ratifiziert werden. Kann es auf dem Weg dahin noch weitere Probleme geben, oder ist das ausgeschlossen?

Friedrich: In Europa kann man nie sozusagen etwas ausschließen, aber man kann darauf setzen, dass die große alte Erfahrung der europäischen Erfolgsgeschichte wirksam wird, nämlich die da lautet: In Europa kam und kommt eigentlich alles, von der Währungsunion bis zum gemeinsamen Parlament bis zum gemeinsamen konstitutionellen Rahmen. Es kommt eigentlich alles, aber meistens kommt es etwas später und meistens etwas anders als ursprünglich geplant. Und genau dieses Muster hat sich jetzt wieder gezeigt. Es kommt die neue konstitutionelle Grundlage, und der Zug Europas kann weitergeführt werden, auch gerade vor einer klein gewordenen globalisierten Welt, wo Europa mit einer Stimme sprechen muss.

March: Nun ist man auf dem Gipfel ja den Briten und auch den Polen ein wenig entgegengekommen. Halten Sie da die Zugeständnisse für problematisch oder nicht?

Friedrich: Die Zugeständnisse halten sich in den klassischen Formen. Großbritannien ist die typische Lösung, die in Europa seit langem praktiziert wird. Man gibt einem Land die Möglichkeit des Opting-out, das heißt, zu sagen, ein Aspekt eines Vertragswerkes gilt für mich gar nicht oder eine Zeit lang nicht. Dann gilt eben in Gottes Namen die Grundrechte-Charta in England nicht, das müssen die Engländer selber verantworten.

Was Polen betrifft, ist es auch eine klassische Kompromissformel, indem man sagt, das, was ursprünglich beschlossen worden ist, nämlich die sogenannte doppelte Mehrheit, kommt, aber sie kommt mit Verspätung zum ersten Teil bis 2014 und dann endlich im Jahre 2017. Das war bei anderen Aspekten auch so beim Parlament, bei der Währungsunion. Es kam später, aber es kommt die richtige Dimension. Und damit kann Europa leben. In der Geschichte sind zehn Jahre eine Größe, mit der man leben kann. Natürlich hätte man es sich schöner und schneller und besser vorstellen können, aber entscheidend ist, die richtige Richtung geht weiter.

March: Kommen wir zu einem Punkt, Herr Friedrich, der zwar wichtig ist, aber angesichts des Streits um die Stimmengewichtung und Grundrechte-Charta etwas untergegangen ist in der Diskussion: die Zuständigkeiten der EU und der Nationalstaaten. Sie sollen künftig stärker voneinander abgegrenzt werden. Wo sollte man denn die Grenzen ziehen?

Friedrich: Also im Grundsatz ist es eigentlich ziemlich klar: Was national und regional geregelt werden kann, soll bitte schön auch in Zukunft national und regional geregelt werden. Subsidiarität. Es muss nicht alles europäisch geregelt werden.

March: Von welche Politikbereichen sprechen Sie da?

Friedrich: Nun, ich denke jetzt mal an Gesundheitsreform, ich denke mal an Renten, ich denke an viele Aspekte im sozialen Bereich. Überall dort, wo keine wirklich grenzüberschreitende Wirkung klar sichtbar ist, kann man drüber nachdenken, ob es nicht regional und national bleiben sollte. Entscheidend ist aber, dass sehr viele der neuen Aspekte, denken Sie an geistiges Eigentum auf globaler Ebene, denken Sie an Handygebühren, an Internet und Terrorismusbekämpfung, Außenpolitik, Sicherheitspolitik, diese Aspekte können von den Nationalstaaten nicht mehr wirklich im Sinne der Bürger bewältigt werden. Und dort muss die europäische Ebene eingreifen und dafür sorgen, dass die bisher klassische nationale Souveränität zukünftig als gemeinsam ausgeübte Souveränität von 27 Staaten sozusagen dargestellt wird, dass hier Europa mit einer gemeinsamen Dimension weltweit auftritt, etwa in China einfordert das Einhalten von geistigem Eigentum, etwa gegenüber Russland die Energiesicherheit einfordert. Dort kann der Nationalstaat die Dinge nicht mehr leisten, und dort ist die Rolle Europas zu sehen.

March: Luxemburgs Ministerpräsident Juncker meint, dass der Vertrag schwieriger zu erklären sein wird als die ursprüngliche Verfassung. Das Problem der Vermittlung, das Imageproblem, hat die EU also nicht gelöst?

Friedrich: Es ist leider, ich würde fast sagen, das hat der liebe Gott nicht anders erlaubt, die Zusammenarbeit von 27 hoch komplexen, hoch entwickelten Nationalstaaten mit unterschiedlichsten Systemen auf vielen Gebieten, diese Zusammenarbeit zu organisieren, ist objektiv leider ein komplexes Anliegen. Und wir müssen drauf setzen, und ich setze auf die junge Generation, die spürt, dass die Welt des 21. Jahrhunderts eine große gemeinsame europäische Dimension braucht, dass wir ein europäisches Lebensmodell haben mit der Rücksichtnahme auf sozial Schwächere, aber gleichzeitig der Brillanz von Innovationen und neuen Produkten, dass gerade die junge Generation spürt, dass auf diesen Sektoren Europa notwendig ist, dass als das Bild der europäischen Zusammenarbeit, man könnte auch sagen das Image, dadurch geprägt wird, dass Europa das bewältigt, was in Zukunft bewältigt werden muss: Sicherheit, Stabilität und Kalkulierbarkeit in einer klein und unsicher und schwieriger gewordenen Welt. Ich setze darauf, dass dieser Lernprozess möglich ist.

March: Ingo Friedrich, Präsidiumsmitglied im Europäischen Parlament und stellvertretender CSU-Parteivorsitzender. Ich danke Ihnen für das Gespräch.