"Frieden schaffen ohne Waffen"

Von Kirsten Heckmann-Janz · 25.01.2012
SS 20, Cruise-Missiles und Pershing II: Anfang der 80er-Jahre war die Angst, Mitteleuropa könnte zu einem nuklearen Schlachtfeld werden, weit verbreitet. Nach dem "Krefelder Appell" der westdeutschen Friedensbewegung richteten sich Robert Havemann und Rainer Eppelmann mit ihrem Abrüstungsappell an die Regierung der DDR.
"Es kann in Europa nur noch einen Krieg geben, den Atomkrieg. Die in Ost und West angehäuften Waffen werden uns nicht schützen, sondern vernichten",

heißt es im "Berliner Appell" des Chemikers und kommunistischen SED-Kritikers Robert Havemann und des evangelischen Pfarrers Rainer Eppelmann.

"Darum: Wenn wir leben wollen, fort mit den Waffen! Ganz Europa muss zur atomwaffenfreien Zone werden. Wir schlagen vor: Verhandlungen zwischen den Regierungen der beiden deutschen Staaten über die Entfernung aller Atomwaffen aus Deutschland."

Anfang der 1980er-Jahre befürchteten viele Menschen, dass aus Europa ein nukleares Schlachtfeld werden könnte: Als Reaktion auf neu aufgestellte sowjetische SS 20-Mittelstreckenraketen drohte die NATO, Pershing-II-Raketen und Marschflugkörper zu stationieren. Der sogenannte NATO-Doppelbeschluss mobilisierte die westdeutsche Friedensbewegung: Zigtausende unterzeichneten den "Krefelder Appell", der die Bundesregierung aufforderte, die Zustimmung zur Stationierung zurückzuziehen. Der "Berliner Appell", an dem Robert Havemann und Rainer Eppelmann im Winter 1981/82 arbeiteten, richtete sich an die Regierung der DDR. Am 25. Januar 1982 brachten sie ihren Text unter der Überschrift "Frieden schaffen ohne Waffen" unter DDR-kritischen Bürgern in Umlauf. Rainer Eppelmann:

"Wir waren der Meinung, man sollte sich an der Stelle eben nicht nur darauf verlassen, die Amerikaner und die Sowjetunion werden sich schon in irgendeiner Form einigen. Sondern wir meinten, die, die da jeden Tag davon sprechen: 'Wir sind ein Friedensstaat', also die Regierenden in der DDR, die können das eine oder andere tun, sodass es einen Katalog nachher von sechs ganz konkreten Vorschlägen gab, was die Regierung der DDR sofort veranlassen könnte."

"Wir schlagen vor, in einer Atmosphäre der Toleranz und der Anerkennung des Rechts auf freie Meinungsäußerung die große Aussprache über die Frage des Friedens zu führen, und jede spontane Bekundung des Friedenswillens in der Öffentlichkeit zu billigen und zu fördern. ..."

Am 9. Februar veröffentlichte die Frankfurter Rundschau den Appell. An den folgenden Tagen berichteten weitere westdeutsche Medien. Die SED-Führung war außer sich.

"Denn das war ja eine der heiligen Kühe der DDR, dass sie sich als Friedensstaat bezeichnete, und nun treten auf einmal ein ihnen sehr ärgerlicher und unangenehmer Kommunist und ein evangelischer Pfarrer, die treten auf einmal ... und dann auch noch öffentlich unter Benutzung westlicher Medien. Wir mussten das dann eben über die westlichen Medien machen, nachdem die Kirche eindeutig gesagt hatte, sie hält es zwar für ein interessantes und wichtiges Papier, würde aber ihre eigenen kirchlichen Informationswege dazu nicht benutzen können, weil sie nicht gesamtkirchliche Arbeit gefährden würde, und zweitens weil es ausschließlich politische Aussagen sind, und dafür wollten sie also das kirchliche Informationssystem nicht benutzen."

In den kirchlichen wie nichtkirchlichen Kreisen der DDR-Opposition wurden Unterschriften gesammelt. Zu den Erstunterzeichnern gehörte der Architekt Reinhard Weißhuhn.

"Der Nachrüstungsbeschluss hatte eine Friedensbewegung initiiert auch, und zwar auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs, und wir waren daran interessiert, diese beiden Friedensbewegungen, unabhängigen Friedensbewegungen, miteinander in Kontakt zu bringen und zu einer gemeinsamen gesamtdeutschen oder gar gesamteuropäischen Friedensbewegung aufzubauen."

Wie viele andere Unterzeichner wurde Reinhard Weißhuhn von der Staatssicherheit festgenommen. Auch Rainer Eppelmann wurde inhaftiert, auf Drängen der Kirchenleitung allerdings nach drei Tagen wieder freigelassen. Das Argument der Kirche: Man solle keinen Märtyrer schaffen. Der schwerkranke Robert Havemann starb wenige Wochen nach der Veröffentlichung, Anfang April 1982.

Welche Bedeutung hatte der "Berliner Appell" für die unabhängige Friedens- und Bürgerrechtsbewegung in der DDR? Reinhard Weißhuhn:

"Das bedeutete symbolisch, dass sozusagen zwei Grundströmungen der späteren DDR-Opposition zum ersten Mal zusammenarbeiteten. Die linken, nicht kirchlichen und die kirchliche Friedensbewegung, die aus der Jungen Gemeinde nicht zuletzt hervorgegangen war, diese Kombination war also so eine Basis für die nächsten Jahre bis '89."

Allen Protesten zum Trotz begann die NATO - wie im Doppelbeschluss vorgesehen - 1983 mit der Stationierung der Marschflugkörper und Mittelstreckenraketen.
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