Fricke: Wer meint, nicht belastet zu werden, kann spenden

Moderation: Martin Steinhage und Ulrich Ziegler · 12.06.2010
Mit Ausnahme des Elterngeldes werde bei den Menschen mit einem Anspruch auf Transferleistungen netto nicht weniger ankommen, betont Otto Fricke. Mit Blick auf die gescheiterten Sondierungsgespräche in NRW lehnt der FDP-Politiker Neuwahlen ab.
Deutschlandradio Kultur: Die Weltmeisterschaft in Südafrika hat begonnen. Herr Fricke, sind Sie eigentlich froh, dass nun endlich König Fußball regiert?

Otto Fricke: Wenn das dazu führt, dass in der Politik die Sachlichkeit in noch größerem Maße einzieht und die Emotion sich mehr auf das Schauen von Fußballbildern bezieht, dann wäre ich sehr froh darüber. Ansonsten, glaube ich, ist das eine schöne Nebensache, aber sie wird, glaube ich, nicht verhindern, dass wir uns in diesem Land, wie üblich, fein ziseliert mit Politik beschäftigen.

Deutschlandradio Kultur: Also, dann bleiben wir mal in dem doppelten Bild. Was halten Sie eigentlich von dem Bayernblock?

Otto Fricke: Ja, der Bayernblock ist essentieller Teil einer guten Mannschaft. Das kann man wirklich nur so sagen.

Deutschlandradio Kultur: Auf dem Platz oder auch hier in Berlin?

Otto Fricke: Auch. Das gilt auf dem Platz wie in Berlin. Es gilt, wie immer, alle Blöcke müssen möglichst gut spielen, damit es insgesamt ein gutes Team gibt. Wenn nur die Verteidigung gut spielt, nützt es am Ende nix. Dann geht das Spiel unentschieden aus. Und eine Regierung und eine Koalition ist ja angetreten, um zu gewinnen. Und dann muss halt auch der Stürmer, also, ich würde dann in dem Falle sagen, die Liberalen müssen dementsprechend natürlich auch ihre Tore schießen.

Deutschlandradio Kultur: Also haben wir ein bisschen eine andere Wahrnehmung, wenn wir jetzt bei dem Bild vom Teamgeist bleiben und vom Teamplay. Denn nach sieben Monaten ist Schwarz-Gelb doch eigentlich heillos zerstritten, wirkt ausgelaugter als die letzte Koalition von Union und FDP in der Ära Kohl nach 16 langen Jahren. Wäre es da nicht an der Zeit, einen Schlussstrich zu ziehen, vielleicht sogar das Spiel endlich abzupfeifen?

Otto Fricke: Nein, das Spiel dauert 90 Minuten. Ich hab noch kein Spiel erlebt, wo die Mannschaften vorher gesagt haben, nö, also, eigentlich haben wir keine Lust mehr, jetzt ist das Spiel zu Ende. – Nein, wir sind wir für vier Jahre gewählt. Und ich gebe unumwunden zu, dass es rumpelig ist, also, um wieder im Beispiel zu bleiben, es ist ein bisschen Rumpelfußball, der gespielt wird, aber ...

Deutschlandradio Kultur: Da ist schon mehr als Rumpelfußball, es wird auch kräftig gefoult. Es gibt ziemlich viele Fehlpässe.

Otto Fricke: Ja, ich habe eher das Gefühl, dass es nicht Fouls sind, sondern - das ist so ähnlich wie bei Arjen Robben; ich merke schon, wir bleiben sehr stark beim Fußball - eher so eine Art Selbstverletzung ist. Nein, ernsthaft. Es ist rumpelig. Wir müssen jetzt gucken, wie wir das hinbekommen. Aber es ist auch ein Widerspruch – auf der einen Seite ausgelaugt, auf der anderen Seite haben wir aber doch noch sehr viel Energie. Nein. Wir müssen die Energie, die wir haben, nur richtig kanalisieren und, das halte ich für das Wichtigste, man muss aufpassen, dass man manches, was emotional in einem hochkocht, was jedem passiert ...

Deutschlandradio Kultur: Beispielsweise "Gurkentruppe" oder so was.

Otto Fricke: Also, ich zum Beispiel bin jemand, ich esse sehr gerne Gurken, kann ich ganz klar sagen. Ich bin ein großer Fan von Essiggurken.

Deutschlandradio Kultur: Wildschwein auch?

Otto Fricke: Da bin ich nicht so ein Fan nun wiederum. Daraus kann jetzt jeder dann schließen, ob er damit wieder was gemeint hat, der Fricke. Aber nein, ernsthaft: Man sollte aufpassen, dass man – und da kommt der Christ in mir durch – wenn jemand anders einen Fehler gemacht hat, sich immer fragt: Könnte es dir nicht auch passiert sein? Das Entscheidende ist, wie in fast allen Beziehungen, nicht die Frage, ob man sich streitet, sondern die Frage, ob man sich verträgt.
Deutschlandradio Kultur: Dann nehmen wir mal das Bild von der Beziehung auf und verlassen den Fußball. Bei einer Beziehung ist aber doch ganz entscheidend, Herr Fricke, dass man nicht nur die Fähigkeit hat, sich wieder zu vertragen, sondern auch die Bereitschaft hat, aufeinander zuzugehen. Erkennen Sie tatsächlich diese Bereitschaft in dieser Dreierkonstellation?

Otto Fricke: Es ist die Fähigkeit, vollkommen richtig, zum Kompromiss, zum politischen Kompromiss. Und wenn ich mir dann das angucke, was viele in dem lauten Tönen über anderes vergessen haben, was vorgelegen hat bei dieser Klausur – mit vielen schwierigen Arbeiten –, dann ist das schon ein starker Kompromiss, der da vorgelegt worden ist. Da hat es sowohl liberale Ministerien getroffen, wie christ-soziale, wie aber auch christ-demokratische. Und da wird die Kunst nachher liegen. Die Kunst liegt wirklich im Ergebnis dessen, was Politik schafft, also in den Gesetzen und in der Vorlage der Gesetze. Und da ist bis zum – jetzt für mich als Haushälter sehr wichtig – 7. Juli, Vorlage des Haushaltsentwurfes, noch einiges an Arbeit zu leisten. Und da wird sich der Kompromiss dann in einem dicken Buch wiederfinden.

Deutschlandradio Kultur: Interessanterweise hat diese Woche Ihr Generalsekretär gesagt, dass die Koalition sich in einer Phase befindet, wo sie einen "gordischen Knoten" hat. Sie machen eher auf Optimismus, blicken nach vorne. Aber wenn der Generalsekretär sagt, wir sind an einem Punkt, man könnte auch sagen, an einem Abgrund im Moment, dann scheinen da zwei Welten aufeinanderzutreffen.

Otto Fricke: Na ja, es gibt ja diesen Sponti-Spruch: Gestern standen wir noch am Abgrund und heute sind wir einen Schritt weiter. – Das Entscheidende ist, ob dieser Abgrund, vor dem – ich will jetzt mal so sagen – eigentlich keiner steht, wirklich einer ist, sondern ob wir nur auf die Brücke treten und rübergehen. Wir haben beneidenswerte wirtschaftliche Zahlen. Unsere Nachbarn sagen, was ist denn bei euch los? Und hier haben wir eine Debatte darüber, wie schlimm es uns geht.

Deutschlandradio Kultur: Und wenn wir beispielsweise die Sparklausur nehmen, die 80 Milliarden, die eingespart werden sollen, ist das denn wirklich auch aus liberaler Sicht der große Wurf, wo Sie sagen: Ja, wir haben es verstanden, wir haben den Neustart hinbekommen und jetzt gehen wir kraftvoll in die Zukunft. Ist das wirklich so?

Otto Fricke: Ich würde, um in dem Bild mit dem großen Wurf zu bleiben, sagen: Wir haben jetzt den Ball zum Werfen in die Hand genommen oder den Speer oder was auch immer wir nehmen wollen. Und jetzt kommt die Frage: Wie laufen wir an? Wann werfen wir ab? Und wie weit fliegt er?

Deutschlandradio Kultur: Und wen treffen Sie?

Otto Fricke: Nein, das ist ja das Schöne. Man sollte beim Speerwerfen möglichst niemanden treffen, das ist auch nicht Absicht, sondern man sollte dafür sorgen, dass man durch einen klaren weiten Wurf auch zeigt, in welche Richtung das Ganze geht. Ich sehe es wirklich so: Wir haben mit dieser Vorlage das Grobraster für die Einsparung gefunden. Das muss jetzt ausgefüllt werden mit Details. Da ist auch noch vieles nicht klar. Das wird ja auch als Vorwurf gesagt. Aber da sage ich dann immer, ja klar: Die Gesetze sind noch nicht da. Maßgeblich am Ende für die Frage, ob man spart, ob man einen guten Haushalt vorlegt, sind das Haushaltsgesetz und die Leistungsgesetze, die dazugehören. Und das muss alles im November stehen.

Deutschlandradio Kultur: Wird es denn mit der FDP auch Nachbesserungen möglicherweise geben im sozialen Bereich, wo ja kräftig gekürzt wird?

Otto Fricke: Es wird im Sozialbereich gekürzt, wobei weniger gekürzt wird im Sozialbereich als in anderen Bereichen, gemessen an dem, was der Sozialbereich hat. Die Sozialquote wird auch nach diesen Sparanstrengungen über der Sozialquote am Ende von Rot-Grün liegen. Also, wir werden prozentual mehr im Haushalt für Soziales ausgeben, als am Ende von Rot-Grün. Und deswegen kann ich an der Stelle nur sagen: Ja, es wird da auch noch im Detail Veränderungen geben. Die grobe Linie stimmt. Die Kennzahlen stimmen. Wie wir jetzt, etwa beim Elterngeld, die Lösung finden im Detail, um das Volumen zu bekommen, da sage ich bewusst, das muss man auch den Fachpolitikern lassen. Das Schlimmste, was man machen kann, ist nach meiner Meinung, dass man nur sagt, das ist die Zahl und das wird genauso gemacht, und nicht auf die Fachpolitiker hört, wie es am Besten, am Fairsten, oder, um das Lieblingswort der Deutschen zu nehmen, am gerechtesten gemacht wird.

Deutschlandradio Kultur: Was ist denn die grobe Linie, von der Sie sprechen? Ist es die, dass Sie sagen, es gibt keine Steuererhöhungen, und das ist der Erfolg?

Otto Fricke: Ja, ich könnte sogar noch was Zweites sagen: Und es kommt grundsätzlich netto beim Transferempfänger, der in einem Sozialstaat einen Anspruch auf diesen Transfer hat, nicht weniger an – mit der einen Ausnahme, die viel diskutiert wird: Elterngeld für Hartz-IV-Empfänger. Und selbst da verweise ich immer sehr gerne darauf, dass verkannt wird, dass die Elterngeldleistungen eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf sein sollten. Und bei der Frage, die dann jetzt kommt - 'Ja, aber was ist mit den Kindern?' - man nur sagen kann: Das ist eine Frage, die müssen wir in Hartz IV regeln. Hier haben wir durch das Verfassungsgericht eine Verpflichtung, da noch einiges zu tun. Und gerade bei dem, was ich in den letzten Jahren erlebt habe im Bereich Kindergarten, Unterdreijährigenbetreuung, gerade da werden wir für Hartz-IV-Empfänger und speziell für die Kinder der Hartz-IV-Empfänger noch einiges tun müssen. Den Saldostrich muss man im November ziehen.

Deutschlandradio Kultur: Ich möchte noch mal das Stichwort Elterngeld gleich aufnehmen und Sie noch mal konfrontieren mit dem Vorwurf, den Sie kennen, den ich Ihnen auch nicht ersparen kann: Das Steuergeschenk für Hoteliers bleibt, es belastet den Haushalt mit rund einer Milliarde Euro per Anno. Statt hier zu korrigieren, werden 600 Millionen Euro beim Elterngeld weggekürzt, 100 Millionen beim Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger, weitere 200 Millionen bei den Übergangsgeldern vom Arbeitslosengeld I zum Arbeitslosengeld II. Ich habe jetzt mal drei Positionen rausgesucht. Die geben in der Summe ungefähr das, was den Hoteliers geschenkt wird. Nennen Sie das "intelligentes Sparen"?

Otto Fricke: Also, intelligentes Sparen nenne ich dann auch, dass wir an die Subventionen im Bereich Energiesteuer rangehen in Milliardensummen. Intelligentes Sparen nenne ich, dass wir auch an der Stelle im Bereich Flugverkehr eine Abgabe machen. Wenn die Frage kommt, wo muss ich sparen, dann muss ich immer – und das gilt für den Bürger ja auch, wenn er merkt, er hat zu wenig Geld, muss er gucken, was sind denn meine wesentlichen Ausgabenposten. Und der wesentliche Ausgabeposten ist nun mal auch der Arbeits- und Sozialhaushalt. Und man kann auf Dauer, wenn man sich konzentrieren will beim Sozialstaat auf das Wesentliche, kann man nicht einfach sagen, den Bereich nehme ich aus. – Das kann man machen, wenn man das so machen will, wie Vorgängerregierungen. Die haben nämlich jedes Mal das ausgenommen, mit dem Erfolg, dass nachher eine Steuererhöhung kam, aber trotzdem es nicht funktioniert hat.
Und jetzt komme ich noch auf die Frage Hotel: Erstens, die Zahl ist 800 Millionen gesamtstaatlich, für den Bund, also 400 Millionen circa. Das sind schon mal die Zahlen. Zweitens: Wir haben diese Ermäßigung, die man -, das akzeptiere ich vollkommen - kritisieren kann, bewusst gemacht, weil wir gesehen haben und weil uns auch alle Seiten gesagt haben, hier werden Investitionen kommen oder es werden neue Leute eingestellt. Und dann gibt es, das steht auch so im Koalitionsvertrag, irgendwann eine Überprüfung in dieser Legislatur aller Mehrwertsteuersätze. Und dann holt man sich die Zahlen, die Daten und die Fakten und prüft, was passiert ist. Wenn der Saldo stimmt, und das ist das Schöne von Haushältern, am Ende ist es die Macht der Zahl.

Deutschlandradio Kultur: Aber es muss unterm Strich natürlich auch sozial ausgewogen sein.

Otto Fricke: Ja.

Deutschlandradio Kultur: Jetzt gibt es nicht wenige, die sagen: Die oberen Zehntausend, die sind eigentlich ausgespart worden, die hätten einen Beitrag mitleisten können, um dieses Sparpaket zu wuppen.

Otto Fricke: Also: Erstens ist die Frage: Was ist ein Besserverdiener? Da kommen wir immer in eine elende Diskussion in diesem Lande. Zweitens: Wenn weiterhin es so ist, dass bei zum Beispiel bei der Einkommenssteuer die oberen zehn Prozent, fünfzig Prozent des Ertrages tragen, dann darf man nicht vergessen, wer hier auch welche Leistungen bringt. Welches Zeichen würden wir denn durch Steuererhöhungen geben? Wir würden genau das Zeichen wieder geben: Aha, sobald es nicht funktioniert, erhöhen wir Steuern.
Und dann ein letzter Punkt: Wenn ich persönlich als Bürger der Meinung bin - viele werden das jetzt als kalt sehen, aber das sage ich ganz bewusst, oder als ironisch, aber es ist meine persönliche, auch christlich geprägte Überzeugung: Wenn ich der Meinung bin, dass ich nicht belastet werde, aber ich es tun sollte, dann bin ich immer in der Lage als aufgeklärter Bürger, mich zu engagieren, was zu tun, zu spenden, was auch immer zu machen. Das kann jeder tun. Das ist übrigens für mich immer auch ein Verständnis dessen, was auch vergessen wird, wie viel andere tun und wie viel andere auch tun sollten und müssen für Schwächere in unserer Gesellschaft.

Deutschlandradio Kultur: Herr Fricke, Sie haben jetzt mehrfach anklingen lassen, Steuererhöhungen mit der FDP nicht zu machen. Aber wenn wir beispielsweise die ...
Otto Fricke: Darf ich sofort widersprechen?

Deutschlandradio Kultur: Ja, selbstverständlich.

Otto Fricke: Das ist der schöne Vorurteilssatz. Ich weise darauf hin, und das ist ein Teil von Kompromissfähigkeit, den auch eine FDP in einer Koalition zeigen muss: Wir haben uns bereiterklärt im Bereich der Transaktionssteuer, der Aktivitätssteuer, dass die Bundesregierung hier versucht, hier eine internationale oder notfalls europäische Lösung zu finden. Wir haben in diesem Sparpaket gesagt, dass wir bereit sind, bei der Energiesteuer etwas zu verändern. Wir führen eine Flugsteuer ein. Hier jetzt einfach zu sagen, wir sind sozusagen ideologisch gegen Steuererhöhungen oder so etwas, das halte ich für falsch. Wir wollen nur nicht an die Steuern ran, die das falsche Signal geben.

Deutschlandradio Kultur: Ich präzisiere und spreche dann explizit nur von der Einkommenssteuer. Da wollen Sie ja definitiv nicht ran, anders als beispielsweise Ihr Parteifreund Wolfgang Kubicki, anders als beispielsweise mehrere Damen und Herren in der Union. Warum eigentlich sind Sie an der Stelle so unbeweglich? Die FDP will den Mittelstandsbauch abflachen. Die FDP will etwas für den Mittelstand tun. Das könnten Sie doch tun, indem Sie an der Stelle entlasten und oben bei denen, die wirklich viel haben, noch was drauf legen.

Otto Fricke: Jetzt bin ich doch sehr überrascht, dass vom Deutschlandradio mir gesagt wird, wir sollten doch die Steuersenkungen, die wir machen wollten, aber wegen der finanziellen Volumina und wegen der Finanz- und Eurokrise nicht machen konnten, jetzt dann doch bitte machen. Dann kommt als Gegenfinanzierungsvorschlag, so wie Sie es getan haben, wir machen das am oberen Ende. – Dann weise ich darauf hin, dass, wenn man den Mittelstandsbauch einigermaßen abflachen will, man ungefähr 25 Milliarden Euro braucht. Und wenn wir die am oberen Ende, also ab einem Einkommen von 52.000 Euro, erhöhen wollen, dann müssten wir für diese Einkommen ab 52.000 – kann ja jeder mal überlegen, wo er da ist – müssten wir das, das ist jetzt aber wirklich sehr grob geschätzt, müssten wir das ungefähr so auf 60, 65 Prozent erhöhen.

Deutschlandradio Kultur: Dann legen Sie es doch auf die sogenannte "Reichensteuer" aus – blöder Name, aber Sie wissen, was ich meine.

Otto Fricke: Gut, also machen wir es auf die Reichensteuer. Dann würde das bedeuten, dass diejenigen, die über 250.000 verdienen, müssten dann, ich glaube, irgendwo im 80-Prozentbereich besteuert werden. Das ist das, was immer das Ärgerliche ist. Die Volumina, wo was erwirtschaftet wird, werden bei solchen Vorschlägen immer undifferenziert gesehen. Das ist wie bei der Frage der Hotelmehrwertsteuer, wo gesagt wird: Das hat die Kommunen getroffen. Die Kommunen hat das mit 26 Millionen, alle deutschen Kommunen zusammen mit 26 Millionen betroffen. Es ist immer eine Frage der Zahl.

Deutschlandradio Kultur: Aber wir haben doch von der FDP über Jahre gelernt, dass der Mittelstand entlastet werden soll. Dann müsste man doch jetzt konsequent sagen: Leute, in Zeiten wie diesen geht es einfach nicht. Unser Projekt, mit dem wir auch in die Bundestagswahl im letzten Jahr gegangen sind, können wir nicht machen. Punkt. Es ist einfach so.

Otto Fricke: Deswegen haben wir ja auch, auch das ist ein Teil von Kompromissfähigkeit, die der politische Wettbewerber nicht so gerne sieht, gesagt: Wir sehen, dass das im Moment nicht geht. Wir bleiben dabei, dass wir es machen wollen. Aber bei der aktuellen gesamtwirtschaftlichen Situation werden wir das erst dann tun können, wenn es einigermaßen a) gegenfinanzierbar ist und wenn b) die Effekte zusätzliche Einnahmen generieren. Das ist im Moment nicht möglich. Ich würde es mir wünschen, dass es möglich wäre, aber ich muss akzeptieren, dass wir diese hohe Verschuldung haben und – da kommt dann der Jurist in mir hoch – wir eine Verfassung haben, die uns klar vorgibt, dass wir strukturell sparen müssen, also nicht einmalig, nicht irgendwie, sondern klar vorgegeben.
Deutschlandradio Kultur: Machen wir an der Stelle eine Zäsur, reden nicht länger mit dem Haushälter Otto Fricke, sondern jetzt ein stückweit mit dem Mitglied der Bundesversammlung. Herr Fricke, die Bundespräsidentenwahl steht an. Wenn die Bürger wählen könnten, würde die Wahl auf Joachim Gauck fallen. Wäre Joachim Gauck nicht auch der geeignete Kandidat für die Liberalen?
Otto Fricke: Ich hab das mal in einem Interview vor einigen Wochen gesagt, dass er wählbar ist – eine Aussage, die per se ja nicht jeder unterschreiben kann. Daraus wird in Deutschland dann aber sofort: Aha, Fricke will ihn wählen. – Deswegen sage ich es ganz präzise: Ich halte Herrn Gauck für jemanden, der eine Wahnsinnslebensleistung hat, der diese Bürgergesellschaft sehr gut repräsentieren kann, der viel auch tun kann dafür, das kann er im Übrigen auch an anderen Stellen, aber genau das gilt auch für Herrn Wulff. Und in der Frage und der Abwägung, wen von den beiden Guten ich für den Besseren halte, komme ich – auch aufgrund der täglichen politischen Erfahrungen, die Herr Wulff gesammelt hat – zu dem Ergebnis, dass wir gerade in der jetzigen Situation jemanden brauchen, der da steht und weiß, was in den letzten Jahren politisch passiert ist, und nicht nur das, was in der Gesellschaft politisch passiert ist, sondern auch, was in der Auseinandersetzung unseres Systems zwischen Ländern und Kommunen passiert ist und all den Bedürfnissen, die da sind. Und der letzte Punkt: Ich würde immer wieder davor warnen zu sagen: "Politik, Politiker, du musst danach das wählen und machen, was am beliebtesten ist." Du musst dich danach verhalten, von dem, was du glaubst, was auf lange Sicht das Beste für dieses Land ist.

Deutschlandradio Kultur: Sind Sie eigentlich zufrieden mit dem Prozedere der Kandidatenfindung? Es gibt mittlerweile viele Liberale, die sich im Internet äußern und sagen: Wenn nicht mal das Parteipräsidium befragt wurde, dann würden wir gerne auch als FDP-Mitglieder eine Abstimmung machen und mal darüber entscheiden wollen, wen wir eigentlich als Bundespräsidenten uns als Liberale vorstellen können. Dieser ganze demokratische Prozess ist nicht abgelaufen. Kann er noch ablaufen?

Otto Fricke: Also, erstens läuft der demokratische Prozess auch dadurch ab, dass jeder Abgeordnete, auch in der Bundesversammlung, seinem Gewissen unterworfen ist, sich mit seinen Parteifreunden, aber auch mit seinen Nichtparteifreunden unterhalten kann und sagen kann, wie siehst du das, warum, und dann zu seinem Ergebnis kommt.

Deutschlandradio Kultur: In der Theorie.

Otto Fricke: Nee, das mach ich auch weiterhin. Das sage ich für alle Kollegen. Übrigens, aus allen Fraktionen merke ich, dass man schon diese Gespräche führt. Die Abwägung besteht aus ganz vielen Faktoren. Und dazu gehört natürlich auch, machen wir uns nichts vor, der parteipolitische. Wir organisieren unsere Politik in Parteien. Es gibt andere Lösungen in anderen Systemen, gebe ich ehrlich zu, die halte ich für schlechter. Und da bitte ich um Verständnis, dass wir doch mal ehrlich anerkennen müssen: Ein solches Verfahren, dass wir innerhalb von 30 Tagen einen Bundespräsidenten wählen müssen, hat es noch nie gegeben. Und das ist anders gewesen im Jahr vorher, wo man wusste, dann steht die Wahl an, dann muss man jemand neuen oder den bisherigen Amtsinhaber wieder nominieren. Und da bin ich dann Demokrat. Ich habe Guido Westerwelle zu meinem Parteivorsitzenden gewählt. Ich habe mit dafür gesorgt, dass er Vize-Kanzler geworden ist. Er genießt mein Vertrauen. Welche Kommunikation er nach innen wählt, weiß ich nicht genau. Wie er es zum Präsidium, dem ich nicht angehöre, gemacht hat, weiß ich auch nicht genau. Ich sage nur da: Wenn man einer Person in Führungsverantwortung nicht bestimmte Dinge ermöglicht, dann ist das eine Schwächung.
Die Frage, die Sie ja stellen, ist die Frage der Kommunikation. Das ist eine Frage der Nacharbeitung. Die läuft nach meiner Meinung auch. Jedenfalls kann ich das nur für meine Person sagen. Und der letzte Punkt: Wenn man es später gemacht hätte und wir die Diskussion länger gehabt hätten, dann wäre genauso wieder die Kritik gekommen: Warum habt ihr euch so lange da Zeit gelassen? – Die ersten Artikel davon gab es ja auch schon vor den Tagen, wo entschieden wurde.

Deutschlandradio Kultur: Mal unterstellt, der unwahrscheinliche Fall, Joachim Gauck würde tatsächlich gewählt, also der Kandidat des rot-grünen Lagers. Wäre das dann wirklich der Super-Gauck, wäre das so arg für die Koalition?

Otto Fricke: Das wäre ja dann Ergebnis einer demokratischen Wahl. Und da tue ich mich dann doch etwas schwer, so etwas zu sagen. Aber ich sehe nicht, dass es hier eine Mehrheit für Herrn Gauck gibt. Ich sehe sie weder im ersten Wahlgang, noch in dem dann entscheidenden dritten Wahlgang für den Fall, dass es noch einen solchen gäbe, weil selbst bei der relativen Mehrheit ja der Vorsprung so immens ist, auch dadurch, dass die Linken ...

Deutschlandradio Kultur: Den Linken sei Dank?

Otto Fricke: Ob "Dank", weiß ich nicht. Aber auch da muss ich wieder akzeptieren: Ich verstehe zwar manches nicht bei den Linken, das hat aber vielleicht auch was mit meiner typisch westlichen Herkunft zu tun. Und deswegen bin ich vorsichtig, das nicht zu achten, dass sie sich so entscheiden. Aber es ist dann so. Auch das ist Teil von Demokratie.
Nur ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird. Denn wenn man die Gespräche führt, dann gibt es Unruhe, auch zu dem Punkt, wie ist die Entscheidung gelaufen. Aber je länger die Leute sich damit auseinandersetzen und sagen, ja, was sind denn die jeweiligen Alternativen, übrigens etwas, was ich bei der Euro-Hilfe auch erlebt hab. Erst sagt man, das passt mir gar nicht. Und dann guckt man, was sind die Alternativen gewesen. Wie hätte denn was wo besser funktionieren können? Und man merkt, auch da hätte es geholpert. Auch da wäre nicht alles glatt gelaufen. Wir bewegen uns in dem Bereich von schwierigen Entscheidungen. Und ich kenne fast keine Personalentscheidung, die nicht schwierig ist.

Deutschlandradio Kultur: Sie zeigen da relativ große Gelassenheit, aber man muss es auch im Gesamtkontext sehen. Wenn beispielsweise der FDP-Chef aus Hessen, Jörg-Uwe Hahn, sagt im Gesamtkontext, wenn die Union weiter so scharf in der Tagespolitik gegen die FDP schießt, dann wählt die FDP Joachim Gauck, da vermischt er doch Dinge, die er eigentlich nicht vermischen darf.

Otto Fricke: Klar, deutlich richtig. Ich vermische die Frage des Präsidentenamtes, das viel zu wichtig für dieses Land ist, nicht mit sachlichen Gegenerwägungen. Das ist für mich nichts, womit man schachert. Das ist nichts, wo man es macht, sondern das ist das, wo man sich entscheidet: Welches ist der richtige Präsident von denen, die zur Wahl stehen? Und da lautet unser Vorschlag Wulff.

Deutschlandradio Kultur: Und dann reden wir jetzt noch mit Otto Fricke sozusagen als jemand, der aus Nordrhein-Westfalen stammt. Sie ahnen, was jetzt kommt? Eine Ampel wird es dort nicht geben. Die Gespräche sind gescheitert in der Nacht zum Freitag. Wären vorgezogene Neuwahlen nicht das einzig Sinnvolle? – Wir haben es wieder mit den Neuwahlen.

Otto Fricke: Wir erleben immer wieder, dass wir auch in einer immer schnelllebigeren Gesellschaft sagen, so, jetzt passt das nicht, jetzt müssen wir das, jetzt kommt das. – Politiker, die gewählt worden sind, haben die – Entschuldigung – verdammte Pflicht, Kompromisse zu finden. Und wenn das etwas länger dauert, ja was ist denn daran so schlimm? Man hat dafür Übergangsregelungen. Man hat da die Möglichkeit, an der Stelle, in der Zeit die geschäftsführende Regierung zu haben. Als Haushälter komme ich jetzt doch noch mal dazu, sage ich dann. Und die kann keine neuen Ausgaben starten. Auch das ist nicht schlecht. Und dann dauert es eben mal ein bisschen länger. Das war in früheren Zeiten viel, viel länger. Wir haben immer dieses "das muss jetzt schnell gehen", und wenn es nicht funktioniert – weg.

Deutschlandradio Kultur: Aber für die FDP ist die Reise zu Ende an der Stelle.

Otto Fricke: Für die FDP sehe ich, jedenfalls an der Stelle, dass wir nach den Versuchen, die wir gehabt haben, das nicht weitergeht. Wie heißt es so schön? Die Ampel ist aus, jetzt gelten wieder die Vorfahrtsregeln. Ich hoffe, dass da nicht rechts vor links gilt, sondern dass da es weiterhin so ist, dass man vernünftig durch die Mitte kommt.
Was mich geärgert hat, auch wieder im Hinblick auf die Frage Kompromisse finden: Wenn man als FDP versucht zu sondieren, ob es hier Möglichkeiten gibt ...

Deutschlandradio Kultur: Im zweiten Anlauf oder im dritten.

Otto Fricke: Ja, im zweiten, da gibt's Lerneffekte, das ist okay. Punkt. Die gibt es. Und ich glaub immer, man muss an bestimmter Stelle sagen, okay, manches hat man vielleicht nicht richtig gemacht, aber dann sollte man eben den Lerneffekt haben.
Für mich ist ein Punkt allerdings ganz wichtig: Wenn man Kompromisse macht, dann ist das doch so, dass man in Sondierungen als Erstes mal sagt, also, bei den und den Sachthemen öffnen wir mal das Fenster und gucken mal, lassen uns mal gegenseitig ins Häuschen gucken. Und ich hab immer wieder die Kolleginnen und Kollegen in NRW, die zur Verhandlungsgruppe gehören, gefragt: Hat es seitens der SPD oder der Grünen Felder gegeben, wo sie gesagt haben, da könnten wir uns vorstellen uns zu bewegen? So, wie wir bei den Studiengebühren ja als FDP gesagt haben, wir verstehen, dass das für Rot-Grün ein ganz schwieriges Thema ist. Wenn wir eine Finanzierung für die Universitäten anders hinbekommen können, ohne zusätzliche Verschuldung, sind wir bereit, eben da zu reden. Aber das gab es nicht.

Deutschlandradio Kultur: Bisher galt ja die Regel, dass die Liberalen unter Guido Westerwelle gerne und fast ausschließlich mit der CDU regieren möchten, mit kleinen Ausnahmen, wenn wir uns das Saarland mal anschauen. Jetzt hat Ihr Generalsekretär gesagt, na ja, also, perspektivisch muss die FDP auch lernen, sich Rot-Grün zu öffnen. Also war das tatsächlich doch mehr als die inhaltliche Annäherung oder der Annäherungsversuch, sondern auch ein Signal, wir, die FDP, sind eigenständig oder wollen es zumindest in nächster Zukunft sein?

Otto Fricke: Also, ich mag ja die Bundeskanzlerin in ihrer nüchternen, analytischen Art. Und sie hat sehr schön gesagt: Ich verstehe, dass die FDP mit Roten und Grünen sondiert. Wir koalieren ja schließlich auch mit den Grünen in Hamburg. Und für die FDP gelten die gleichen Rechte wie für uns. – Ich glaube, mehr muss man eigentlich nicht sagen. Und ich ... Doch, man muss doch noch was mehr sagen, was vergessen wird:
Sie haben das Saarland genannt mit Jamaika. Ich nenne dann immer gerne etwas, was außerhalb Nordrhein-Westfalens kaum einer kennt, die sogenannten Landschaftsverbände. Das ist so eine typische politische Mittelstufe, die man eigentlich abschaffen könnte, aber – Achtung! – Haushaltsvolumen der beiden Verbände zusammen: 6 Milliarden Euro! – Warum komme ich drauf? In beiden Landschaftsverbänden haben wir in der jeweiligen Landschaftsversammlung eine Ampel. Es geht.

Deutschlandradio Kultur: Andere Frage: Können Sie uns erklären, was eine "geistig-politische Wende" ist und hat die schon begonnen, wenn es sie denn gibt?

Otto Fricke: Ja. Ich würde ganz einfach sagen: Nehmen wir die Sparbeschlüsse, dann ist es doch eine Wende, dass man – wenn man merkt, dass man in einer finanziellen Krise ist und man muss im Jahre 2014 24 Milliarden Euro noch gegenüber dem Finanzplan einsparen – dann nicht wie bei allen, also, auch unter FDP-Beteiligung, allen Regierungen vorher an Steuererhöhungen denkt, sondern – auch unter all der Kritik, die wir ja in diesem Gespräch auch schon hatten – sagt, ich gehe an die Ausgaben ran, auch an unangenehme Dinge, auch unter Durchbrechung und Kompromissbereitschaft bei eigenen Themen, und verändere mein Denken.

Deutschlandradio Kultur: Herr Fricke, ganz herzlichen Dank für das Gespräch!

Otto Fricke: Ich hab zu danken. Dankeschön!
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