"Freundliche Ironie"

Moderation: André Hatting · 05.01.2006
Zum Kinostart von "Sommer vorm Balkon" hat der 74-jährige Drehbuchautor Wolfgang Kohlhaase, der mit Defa-Filmen wie "Solo Sunny" bekannt wurde, die Arbeit mit dem Regisseur Andreas Dresen als Bereicherung bezeichnet. "Freundliche Ironie" habe sein Schreiben bestimmt, um den Zusammenhang von Alltagstragik und -komik darstellen zu können.
Hatting: Das Drehbuch zu "Sommer vorm Balkon" konnte eigentlich gar kein anderer schreiben als Wolfgang Kohlhaase. Mit den Defa-Erfolgen "Berlin Ecke Schönhauser" oder "Solo Sunny" hat Kohlhaase gezeigt, im Milieu des Prenzlauer Bergs, mitten unter den kleinen Leuten, da fühlt er sich besonders wohl. "Sommer vorm Balkon" ist ein Film über die Freundschaft zweier Nachbarinnen - einer allein erziehenden arbeitslosen Schaufenstergestalterin aus Süddeutschland und einer Altenpflegerin aus Ostberlin. Herr Kohlhaase, haben Sie nun eine Geschichte über Frauensolidarität oder eine über die Wiedervereinigung erzählt?

Kohlhaase: Vielleicht beide Themen riechen nach Überschrift, ja? Das ist kein Film, der einer einzigen Überschrift folgt. Es ist eine Alltagsgeschichte und sie handelt, wenn man so will, von den größeren und kleineren Mühseligkeiten des Lebens in dieser bestimmten Ecke von Berlin. Sie handelt also vom Ernst des Lebens. Aber wiederum hoffe ich, man kann ausreichend lachen in ihr.

Hatting: Sie haben gesagt, es ist eben kein Film, der die Überschrift "Wiedervereinigung" zum Beispiel verdient, aber trotzdem haben Sie eine Frau aus Ostdeutschland gewählt und eine Frau aus Westdeutschland. Das war aber doch kein Zufall, dass Sie die beiden zusammenbringen?

Kohlhaase: Es hat sich ergeben. Manche Dinge ergeben sich. Wie gesagt, das spielt so in einer Ecke vom Bezirk Prenzlauer Berg, die mir lieb ist, die mir nahe ist, in der sich solche Geschichten auch abspielen, und in der ich sie mehr oder weniger gefunden habe, in dieser Gegend, die ich ja ein bisschen kenne. Und dann ergab sich, als wir am Drehbuch saßen und als die Besetzung schon gemacht wurde, und es sich herausstellte, dass Inka Friedrich diese zweite Person spielen würde, die andere spielt Nadja Uhl, dass Inka aus Freiburg ist. Und das brachte uns auf den Gedanken, dann kann man ja an einer Stelle des Films mal mit dem Dialekt spielen, den sie natürlich sprechen kann. Und das wiederum enthält eine kleine Nachricht darüber, dass es sozusagen Bewegungen hin und her gibt in Deutschland, ohne dass man es feierlich thematisiert. Und das führte dann wiederum, als sie in einer schlimmen Lage androht, sich das Leben zu nehmen zu wollen, dass sie den kleinen Satz nachschiebt, "oder ich gehe zurück nach Freiburg". Also, das ist während der Arbeit entstanden und war nicht so sehr ein Konzept. Aber als wir es dann gefunden hatten, waren wir froh, weil es eben auch ein bestimmtes Licht auf die Umstände wirft. Und die Umstände sind ja so, denke ich, in dieser Stadt Berlin, aber auch in dem größeren Land, dass die Leute zusammenkommen nicht so sehr durch die Sonntagsreden, sondern durch die Alltagslagen. Und die sind ja durchaus nicht ohne Schwierigkeit, wie man weiß. Wir wollten etwas erzählen. Man erzählt etwas und die andere Hälfte, die dazu dann passt oder nicht passt, bringt das Publikum mit.

Hatting: Arbeiten Sie eigentlich immer so, dass Sie zunächst etwas erzählen wollen und dann, wie in diesem Fall, manchmal durch die Begegnung mit der Hauptdarstellerin, sich dann noch mal etwas verändert?

Kohlhaase: Das kann passieren, muss nicht passieren. Natürlich habe ich am Anfang eine Geschichte, auch die Vision eines Films. Dann kommen Partner dazu, natürlich der wichtigste ist der Regisseur. Und es war ein großes Glück, dass es dazu kam, dass Andreas Dresen an dieser Sache dann arbeiten konnten. Und natürlich, ehe man den letzten Punkt macht und streng genommen, ehe man die letzte Klappe schlägt im Film, ist man natürlich immer noch offen für Dinge, die dazukommen können. Nur dass sind punktuelle Dinge. Das ändert nichts mehr. Man ist nicht auf Abenteuer aus, wenn man anfängt zu drehen. Das Abenteuer ist groß genug, wenn man dann das etwa macht, was man sich vorgenommen hat. Aber natürlich wäre man dumm, wenn man solche Momente, die sich plötzlich ergeben, nicht berücksichtigt und mitnimmt und manchmal entstehen verblüffende Schönheiten, die man ja nicht alle ausdenken kann. Am meisten trifft das auf die Schauspieler zu, die eben in dem Moment, in dem das dann wirklich sinnliche Existenz wird, was vorher nur auf dem Papier steht, ja sehr oft auch aus der Spontaneität des Augenblicks Erfindungen in den Film bringen, die ihn reich machen.

Hatting: Andreas Dresen, der Regisseur, ist 43. Sie sind, Herr Kohlhaase, gute 30 Jahre älter. Das heißt, Dresen ist also sozusagen mit Ihren DEFA-Filmen aufgewachsen, also zum Beispiel "Berlin - Ecke Schönhauser" oder "Solo Sunny". Inwiefern war diese Zusammenarbeit für Sie persönlich eine Bereicherung? Konnten Sie etwas von dem Jüngeren lernen?

Kohlhaase: Aber ja. Ich meine, einmal lernt man ja nicht einfach wie in der Schule, sondern man erfährt etwas, will ich mal sagen, man erfährt etwas voneinander. Und natürlich jede Generation bringt ein anderes Lebensgefühl mit, ein definitiv anderes, weil sozusagen ich weiß noch Dinge, die er nicht wissen kann. Aber er weiß schon wieder Dinge, auf die ich mit einem anderen Auge sehe. Das ergänzt sich sowieso.

Hatting: Zum Beispiel? Was sind das für Dinge?

Kohlhaase: Naja, Gott, meine Erinnerung reicht weit zurück. Und das färbt ja mein Interesse an der Welt. Und dann ist es aber schön, wenn man herausfindet, dass man dennoch die nämliche Geschichte erzählen kann. Und wichtig ist eben, dass man - weil Sie gerade erwähnt haben, seine Eindrücke im Kino, zu denen vielleicht auch ein paar Filme von mir gehören - wichtig ist, dass man ähnliche Filme gut findet und ähnliche Filme schlecht findet. Und insofern waren wir uns trotz des Altersunterschieds nahe. Und wir wohnen in einer ähnlichen poetischen Provinz. Wir haben ähnliche Vorstellungen, was Kino machen kann oder was wir beide jedenfalls uns unter Kino vorstellen, wie wir es gerne haben oder wie wir es leisten können. Also so hat sich das zusammengefunden.

Hatting: Diese Alltagsgeschichte aus Prenzlauer Berg über eine Freundschaft zwischen zwei Frauen - Sie haben einmal gesagt, man müsse mit den Dingen erzählen, nicht über sie. Wie erzählt man mit den Dingen?

Kohlhaase: Ich glaube, mit den Dingen erzählt man vielleicht, indem man ihnen - zunächst mal würde ich sagen, es fängt vielleicht ganz früh an - indem man ihnen ohne Vorurteil begegnet, indem man sich nicht für ein Konzept, das man hat, die Wirklichkeit sucht, sondern indem man für möglich hält, dass man in der Wirklichkeit den Stoff entdeckt, auch die Poesie, wenn man so sagen will, die man braucht und die man an die Leute bringen will. Das meint also, dass man niemanden belehren will, sondern dass man etwas erzählen will, und dass man also keine langen Anläufe nimmt. Das hat dann auch handwerkliche Konsequenzen, dass man in die Situation reingeht, dass man dem Publikum vertraut.

Hatting: Was meinen Sie damit, in die Situation hineingehen?

Kohlhaase: Mit in die Situation hineingehen meine ich, ein gutes Drehbuch sollte gute Texte haben, das versteht sich, gute Dialoge. Aber es braucht vor allen Dingen Spielräume, auch Spielräume für Schauspieler. Also es braucht große und kleine Handlungen. Wenn man das hat, dann hat man wunderbar Zeit und Platz, mit wenigen Dialogen schöne Hauptsachen und schöne Nebensachen zu erzählen. Und man muss der Phantasie des Zuschauers Spielräume lassen, weil die eigentliche Wirkung eines Films entsteht ja in einer imaginären Mitte zwischen Absender und Empfänger. Und wenn so etwas funktioniert, dann ist der wunderbare Vorgang, dass aus lauter Leuten, die einzeln ins Kino gekommen sind, für zwei Stunden lang ein Publikum entsteht. Und die besondere Energie, die sich bildet in einem Publikum, das meine ich. Und mit den Dingen heißt, glaube ich einfach, nicht sozusagen sich selbst die Möglichkeit zu nehmen, in den Dingen etwas zu entdecken. Ich meine immer, Schreiben oder auch Filmemachen heißt ja nicht, dass man etwas weiß, und das will man dann anderen Leuten mitteilen, sondern ich glaube, der ganze Vorgang funktioniert nur, wenn man selbst in der Arbeit etwas entdecken will.

Hatting: Der Film "Sommer vorm Balkon" ist eine Komödie, der wurde auch bereits im Ausland gezeigt, in Chicago zum Beispiel. Haben die Leute dort auch über dieses Thema lachen können?

Kohlhaase: Ja, soweit ich das mit Vergnügen beobachten konnte, ja. Ich denke auch immer, wenn ein Film in der Lage ist, menschliche Erfahrungen zu vermitteln, dann kann er auch andere menschliche Erfahrung berühren. Und wenn er wirklich an einem Ort spielt, glaubhaft und tatsächlich, dann hat er die Chance, an allen Orten zu spielen.

Hatting: Sie haben einmal gesagt, Sie schrieben am liebsten über Themen, die in Ihrer Tonlage liegen. Ist das Lied der kleinen Leute, ist das Ihre Tonlage?

Kohlhaase: Ja, das hört sich sehr, sehr ambitiös an. Aber ich denke schon, dass das Leben sozusagen da, wo ich wohne und um die Ecke herum, das ist, was mich am meisten angeht, und worüber ich am ehesten etwas weiß. Und das zieht sich ja dann über Jahre hinweg doch irgendwie durch die Art von Filmen, die ich versucht habe zu machen.

Hatting: "Sommer vorm Balkon" ist eine Komödie mit stark melancholischen Tönen. Herr Kohlhaase, beschreibt das auch Ihre persönliche Stimmung, gut 15 Jahre nach der Vereinigung?

Kohlhaase: Wer es so sieht, der mag es so sehen. Melancholie ist eigentlich nicht mein Lebensgefühl, wohl aber der unvermeitliche Zusammenklang von Tragik und Komik. Ich denke wirklich, die Dinge haben eine Vorderseite und eine Rückseite. Ich habe ein Wort im Ohr von einer alten Berlinerin, die immer sagte, wenn ihr etwas Ungutes widerfuhr, dann sagte sie: Wer weiß, wofür es gut ist - und hatte genau diese Verlängerung der Situation im Auge, also in Vorteilen stecken Nachteile, in Nachteilen stecken Vorteile. Ich würde meine Haltung eher für eine Art von Ironie halten, aber von freundlicher Ironie.

Hatting: Herr Kohlhaase, danke Ihnen für das Gespräch. Und wir freuen uns auf die freundliche Ironie in "Sommer vorm Balkon".
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