Freude am wuchernden Leben

31.12.2012
Die nordamerikanische Douglasie ist ein besonderer Baum: Er pflanzt sich fort, wenn Waldbrände wüten. Über einen Zeitraum von fünfhundert Jahren - vom Ende des Spätmittelalters bis heute - folgen die Autoren, zwei Umweltschützer, dem Schicksal eines einzigen Baumes dieser Sorte.
Im Feuer wird der Baum geboren, wenn brennende Gase mit Temperaturen von über eintausend Grad vom lodernden Kronendach des Waldes bis hinunter an den Grund gesaugt werden und Flächenbrände auf hunderten von Quadratkilometern alles Leben vernichten.

Fast meint man, die Hitze auf der eigenen Haut zu spüren, so fulminant steigen die engagierten Umweltschützer David Suzuki und Wayne Grady in ihr neues Buch "Der Baum" ein. Tatsächlich braucht die Douglasie - schöne Protagonistin dieses originellen Werkes - Tod und Zerstörung, um in einen neuen Lebenszyklus einzutreten. Jahrzehnte lang bleiben ihre Zapfen fest geschlossen und öffnen sich erst bei sengenden Temperaturen. Wenn die Keimlinge aus den Samen treten, stehen auf der verbrannten Erde weit und breit keine Konkurrenten.

Über einen Zeitraum von fünfhundert Jahren - vom Ende des Spätmittelalters bis heute - folgen die Autoren dem Schicksal einer einzelnen Douglasie an der Westküste Nordamerikas. "Geburt", "Wurzeln schlagen", "Wachstum" sind die Kapitel knapp betitelt - statt nüchterner Ausführungen gedeiht darin das pralle Leben. Schon die Passagen über das Geschlechtsleben der Douglasie lesen sich wie ein erotischer Roman: Das männliche Pollenkorn, frohlocken die Autoren, gleite in die Tragblätter der weiblichen Zapfen, verstricke sich dort in die kleinen, klebrigen Haare an der Spitze der weiblichen Samenanlage, die allmählich anschwelle und mit ihren Lippen das in ihr versinkende Korn verschlinge.

Es ist diese Freude am wuchernden Leben, die dem Buch seinen Reiz verleiht. Immer wieder verlassen die Autoren den Baum und reisen in verwandte Themengebiete - springen zurück in die Urzeit der Evolution, verästeln sich in die Biografien berühmter Botaniker oder präsentieren Lebewesen, die im Wald ihre Heimat finden. So tummeln sich über zwanzig Salamanderarten am Fuße des Baumes, darunter der lungenlose Rotsalamander. Er atmet mit seiner gesamten Haut, die sich so zart anfühlt wie die innere Auskleidung unserer Lungen.

Ein Baum ist eben kein Solitär, das möchten die Autoren mit ihrem Buch vor allem deutlich machen, sondern bildet mit dem gesamten Leben ringsumher ein unauflösbares Gespinst. Douglasien pflegen an ihren Wurzeln Kontakte zu mehr als zweitausend Pilzarten, deren Hyphen sich überall im Boden ausbreiten. Auf diese Weise steht der Baum mit einer tausendfach höheren Bodenoberfläche in Verbindung, als seine Wurzeln aus eigener Kraft erreichen könnten.

Bewegend liest sich nach all dem Sprießen das Schlusskapitel des Buches, wenn Witterung und hungrige Insekten dem Baum so zusetzen, dass seine Abwehrkräfte erlahmen. Schließlich steht er noch fast ein ganzes Menschenleben als Stumpf im Wald; dann wird er eins mit der Erde. Glücklich die alte Douglasie, die eines natürlichen Todes sterben kann, beklagen die Autoren am Ende ihrer überzeugenden Liebeserklärung: Seit der Ankunft der Europäer in der Neuen Welt wurden achtzig Prozent der Douglasienwälder vernichtet. Bis heute arbeiten die Kettensägen unverdrossen weiter.

Besprochen von Susanne Billig

David Suzuki, Wayne Grady: Der Baum - Eine Biografie
Übersetzt von Eva Leipprand, Oekom Verlag, 208 Seiten, 19,95 Euro

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