Fremdheit und Liebe

Vorgestellt von Anke Leweke · 20.12.2006
Der junge mexikanische Regisseur Alejandro González Iñárritu schildert in seinem dritten Spielfilm "Babel" das Gefühl einer elementaren Fremdheit, das seine Protagonisten an verschiedenen Orten der Welt erfahren. Die sie umgebenden Zeichen können sie nicht entziffern, die Welt wird zum Labyrinth. Aki Kaurismäki erzählt in seinem neuen Film wieder einmal eine Geschichte eines wortkargen Stehaufmännchens, das an den Verhältnissen scheitert und doch stets seine Würde bewahrt.
"Babel"
USA 2006. Regie: Alejandro González Iñárritu; Mit: Brad Pitt, Cate Blanchett, Gael García Bernal, Koji Yakusho, Adriana Barraza

Ein wahrhaft babylonisches Erzählgeflecht entwickelt der junge mexikanische Regisseur in seinem dritten Spielfilm. Die bildgewaltige Studie einer elementaren Fremdheit, die drei Schicksalsstränge miteinander verschränkt: Eine Taubstumme versucht in Japan, den Selbstmord ihrer Mutter zu verarbeiten. In Marokko wird eine amerikanische Touristin, gespielt von Cate Blanchett, im Reisebus von einem jungen Hirten angeschossen. Während sich ihr Ehemann, gespielt von Brad Pitt, um die Schwerverletzte kümmert, geraten die beiden kleinen Kinder des Ehepaares in Mexiko mit ihrer Babysitterin in eine lebensgefährliche Situation.

Verbunden sind die Figuren in "Babel" durch das Gefühl einer elementaren Fremdheit. Keiner der Helden kann die Zeichen, die ihn umgeben, wirklich entziffern. Die Welt ist ein Labyrinth, in dem ein lebensgefährlicher Streich zweier Hirtenjungen zum Terrorakt aufgeblasen wird. Ein Labyrinth, in dem eine ältere Mexikanerin die Kinder, die sie eigentlich beschützen will, fast in der Wüste verdursten lässt. Ein Labyrinth, in dem Eltern und Kinder, Ehemänner und Ehefrauen, in dem Alle den Kontakt zueinander verloren haben. Der Gedanke des alttestamentarischen Babels wird in die Gegenwart projiziert.


"Lichter der Vorstadt"
Finnland / Deutschland 2006. Regie: Aki Kaurismäki; Mit: Janne Hyytiäinen, Maria Järvenhelmi, Maria Heiskanen, Ilkka Koivula, Sergej Doudko

Man könnte Aki Kaurismäki vorwerfen, dass er seit Jahren immer wieder den gleichen Film dreht. Seit Jahren treffen sich in seinen Filmen argentinische Tangos und finnische Melancholie, herrscht auf der Leinwand die gleiche Mischung aus Minimal-Dialogen und lakonischem Witz. Seit Jahren erzählt Kaurismäki von wortkargen Stehaufmännchen, die an der Schwerkraft der Verhältnisse scheitern. Von so genannten Randexistenzen, denen er seine ganze Aufmerksamkeit schenkt. Und doch verleiht der zärtliche Blick dieses Regisseurs jedem Helden und jeder Heldin eine Einzigartigkeit, Schönheit und Größe, die sie zu wahrhaften Kinofiguren macht.

Kaurismäkis neuer Film "Lichter der Vorstadt" ist eine Film Noir-Variante im heutigen Helsinki. Es geht um einen Wachschutzmann, der einer schönen Verräterin verfällt, also um die alte Geschichte vom aufrechten Verlierer und der Femme fatale. Wieder erzählt Kaurismäki auf ganz unpathetische Weise von der Ungerechtigkeit des Daseins und von der Liebe, die alles überwindet. Wieder gelingt es dem finnischen Regisseur, uns mit ins Leben und ins Kino zu nehmen.