Freizeitforschung

Wann ist Feierabend?

Leipziger genießen das sommerliche Wetter am Cospudener See in Leipzig (Sachsen).
Baden, abhängen, Nichtstun - wie organisieren wir uns freie Zeit? © dpa / Jan Woitas
Prof. Dr. Ulrich Reinhardt im Gespräch · 02.09.2016
Neue Zahlen des Arbeitsministeriums belegen: Wir arbeiten nicht nur mehr als noch vor 20 Jahren, sondern auch zu ungewöhnlichen Zeiten - am Wochenende, an Feiertagen, abends und nachts. Der Freizeitforscher Ulrich Reinhardt meint, jeder müsse selbst für Muße sorgen.
Wie die "Passauer Neuen Presse" berichtet, arbeiteten 1995 unter der Woche 1,3 Millionen Menschen länger als 48 Stunden. Am Wochenende waren es 6 Millionen. Zwanzig Jahre später, 2015, waren es 1,7 Millionen unter der Woche und 8,8 Millionen am Wochenende. Die Zahl der Schichtarbeiter stieg innerhalb der zwanzig Jahre von knapp vier Millionen auf über 5,5 Millionen Menschen. Warum ist das so?
In erster Linie sei die 24/7-Gesellschaft dafür verantwortlich, meint Freizeitforscher Ulrich Reinhardt.
"Man möchte Vieles rund um die Uhr erledigen und Angebote nutzen können. Dafür werden natürlich viele Arbeitskräfte gebraucht. So ist es nicht verwunderlich, dass wir immer mehr Jobs haben, für die man an Wochenenden und teilweise auch nachts Angestellte braucht."
Reinhardt rechnet vor:
"Das Jahr hat 8760 Stunden. 30 Prozent des Jahres verschlafen wir. 30 Prozent sind Freizeit. 20 Prozent arbeiten wir. Die restlichen 20 Prozent sind wir zuhause, checken Emails, arbeiten nach oder vor. Das ist keine klassische Freizeit."

Online-Verbot für Arbeitnehmer in Freizeit sinnlos

Das Wochenende ist Reinhardt zufolge für Familien nicht mehr automatisch zwei Tage lang. Das habe natürlich Auswirkungen auf die Freizeitaktivitäten der Familie.
Die Anweisung einiger Arbeitgeber, außerhalb des Dienstes keine E-Mails zu lesen, hält Reinhardt für sinnlos.
"Wir leben in globalisierten Welt. Viele Arbeitnehmer haben Sorge, etwas zu verpassen und werden deshalb trotzdem Smartphone und Rechner nutzen."

Nachdenken über die Organisation des Feierabends

Reinhardt weist darauf hin, dass der Krankenstand 2015 einen sehr hohen Wert erreicht hat. Die Anforderungen an die Arbeit seien gestiegen. Dazu kämen die schwierigen Rahmenbedingungen. Man müsse darüber nachdenken, wie der Feierabend in Zukunft organisiert werden könne - die Erholung von der Arbeit und für die Arbeit. Und die Zeit für Hobbys.
Die Arbeitswissenschaft setze da große Hoffnung auf Digitalisierung und Automatisierung, die in Zukunft mehr Freiräume für Arbeitnehmer bringen sollen.
Reinhardt erinnert daran, dass freie Zeit historisch gesehen der Regeneration diente. Doch heute seien die Anforderungen nicht nur an die Arbeitszeit, sondern auch an freie Zeit deutlich höher als in der Vergangenheit. Freizeitstress sei normal.
Am Ende sei jeder selbst dafür verantwortlich, Abstand von der Arbeit zu finden.
"Freie Zeit sollte auch der Muße dienen. Muße heißt: zu sich kommen und abschalten können."

Tipp der Onlineredaktion: Für alle die doch noch irgendwo ein Stück Freizeit finden und nicht wissen, was sie damit anfangen sollen, hier ein Buchtipp: "Der Hobbyist - Auf der Suche nach der verlorenen Freizeit" von David Denk. Der Autor probiert im Selbstversuch alle möglichen Hobbys der Deutschen aus.
(mia)
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