Freiwillige Unterwerfung

Moderation: Holger Hettinger · 31.10.2007
In diesem Jahr feiern die Berliner Philharmoniker ihr 125-jähriges Bestehen - und blicken dabei nicht nur auf eine glanzvolle Geschichte zurück. Der Film "Das Reichsorchester" von Enrique Sánchez Lansch beleuchtet die Entwicklung des Starorchesters während der NS-Zeit.
Holger Hettinger: Herr Sánchez Lansch, bei allen Arbeiten über Ereignisse aus der NS-Zeit gibt es Standardfrage, die ich auch Ihnen nicht ersparen möchte: Warum erst jetzt?
Enrique Sánchez Lansch: Ja, das ist eine interessante Frage. Ich bin auf dieses Thema schon vor dreieinhalb Jahren gestoßen und war erstaunt, dass man jetzt, wo es nur noch zwei Zeitzeugen gibt, die vor 1945 schon im Orchester gespielt haben, warum man erst jetzt an dieses Thema herangeht. Ich denke, es gibt mehrere Gründe. Einerseits hat man nicht nur in den 50er, 60er Jahren eher vorwärts gewandt gelebt mit diesem Thema, man hat nicht Rückschau betrieben. In der Ära Karajan war, denke ich, auch durch die Parteimitgliedschaft des Chefdirigenten, durch Karajan selbst, vielleicht das Thema auch nicht so angesagt und angebracht. Aber ich denke, das eine oder andere ist in den letzten Jahren entstanden über Furtwängler. Ich denke, die Geschichtsschreibung hat sich auch sehr lange in der Auseinandersetzung mit der Nazi-Zeit mit den großen Exponenten beschäftigt – einerseits den ganz schlimmen Nazis, andererseits auch natürlich mit den Opfern, mit den Verfolgten, die es ganz schlimm erwischt hat. Man hat sich wenig die Menschen dazwischen angeguckt und hat wenn dann eben Einzelpersönlichkeiten thematisiert, aber hat weniger jetzt Menschen, die in einem Kollektiv waren sich mal angeschaut. Und ich glaube, dazu ist es jetzt wirklich Zeit.
Hettinger: Einer der Musiker, der Konzertmeister Hans Bastiaan, den haben Sie interviewt, und der sagt in Ihrem Film sinngemäß: Wir haben weiter Musik gemacht, wie wir sie halt unter Furtwängler gemacht haben, es war wie unter einer musikalischen Glasglocke. Wie meint er das?
Sánchez Lansch: Das war auch mein Empfinden. Ich war erst erstaunt darüber, weil das ja so eine ganz andere Haltung verrät, als manche Dokumente sprechen. Es gibt ja auch Ausschnitt im Film, wo man das Orchester direkt bei Goebbels Reden hinter Goebbels selbst sitzen sieht, und anschließend spielen sie Beethoven. Wie kann das denn sein, dass man sich wie unter einer musikalischen Glasglocke fühlt? Man muss dabei sehen, dass sie bei sehr, sehr vielen Propagandaauftritten gespielt haben, aber auch nicht ausschließlich – sie haben natürlich auch ein großes reguläres Konzertprogramm gehabt – und dass im Orchester, obwohl es einige engagierte Nazis gab, auch einige stille Mitläufer, es doch ein Gros gab, das mit Sicherheit politisch gegen die Nazis eingestellt war, die aber doch in so einer unpolitischen oder halbpolitischen Haltung sich sozusagen ihren Teil gedacht haben, so einen stillen Widerstand geübt haben und sicherlich auch zu einem Teil gedacht haben, dass sie durch ihre Musik eher so eine Art stillen kulturellen Widerstand leisten können, auch sozusagen für eine bessere Welt spielen können, auch für die spielen können, die mit dem Regime nicht einverstanden sind. Dass sie unterm Strich aber mehr sich haben einspannen lassen für die Propaganda, ist sicherlich dem einen oder anderen dabei nicht bewusst geworden. Und mein Film möchte auch nicht mit Fingern auf sie zeigen.
Hettinger: Da gibt es eine Szene in Ihrem Film, Sie haben eben drauf verwiesen, diese Mitwirkung bei Propagandaveranstaltungen. Joseph Goebbels steht vor dem Orchester, redet über das Deutschtum in der Musik, redet darüber ganz viel und ganz pathetisch. Und dann hat man als Zuschauer so ein bisschen das Gefühl von wegen unpolitischem Musiker, ihr wart da mittendrin. Ist das beabsichtigt?
Sánchez Lansch: Ja, natürlich. Ich möchte beide Seiten sehen. Ich möchte die Musiker mit ihren Haltungen, die sie ehrlich zum Ausdruck bringen, zu Wort kommen lassen. Das hat ja auch viele Facetten. Also gerade der erwähnte Zeitzeuge Hans Bastiaan macht ja auch so einen Wandel durch, und nicht nur in dieser Zeit 33 bis 45, sondern es schlägt sich ja auch nieder, wie die 60 Jahre dazwischen eingewirkt haben, wie er Dinge mittlerweile betrachtet, die er damals gesehen hat oder die er nicht gesehen hat. Aber es ist natürlich auf der anderen Seite auch immer wichtig, das zu kontrastieren mit solchen "objektiven Zeitzeugnissen". Das sind natürlich Propagandamitschnitte gewesen. Die Propaganda hat ja doppelt stattgefunden. Nicht nur, dass die Philharmoniker auf solchen Veranstaltungen spielen mussten, sondern dass man das dann auch noch gleich filmisch und sehr aufwendig filmisch festgehalten hat, um dass dann meist per Wochenschau dann auch noch im ganzen Reich eben zu vertreiben.
Hettinger: Die Berliner Philharmoniker sind ja ein Orchester, das die Autonomie und Unabhängigkeit quasi als Gründungsmythos pflegt und kultiviert. Das Orchester hat sich ja aus Protest gegen miese Reisebedingungen konstituiert und die Selbstverwaltung immer hochgehalten, von Anfang an. Wie konnte sich ein solches Ensemble freiwillig in die Hände der Nationalsozialisten begeben?
Sánchez Lansch: Ja, tatsächlich war dieses Orchester zu Zeiten, wo es so was eigentlich gar nicht gab, als ganz unabhängige Institution, als eine Gruppe von Rebellen quasi gegründet worden. Und sie waren auch fast 50 Jahre erfolgreich und sehr unabhängig und haben damit nicht nur einen bestimmten freiheitlichen Esprit kultiviert, sondern das hat sich auch in einem hohen musikalischen Ethos, in einer hohen musikalischen Qualität niedergeschlagen. Und nicht umsonst haben sie eben zu diesem wunderbaren Dirigenten Wilhelm Furtwängler gefunden, eben schon in den frühen 20er Jahren. Und da hat sich eben diese Symbiose hergestellt, weil Furtwängler gesehen hat, dass er nur mit diesem Orchester sich auch wirklich so ausdrücken kann. Aber in einer allgemein wirtschaftlich schweren Situation waren sie natürlich ohne einen öffentlichen Träger den Schwierigkeiten ganz anders ausgesetzt, den wirtschaftlichen, und durch Konzerte, sie verdienten eben nur durch Konzerte, und da blieb eben immer weniger übrig. Und Anfang der 30er war die Situation so desolat, dass sie zunächst auch jüngere Musiker entlassen mussten und dabei verzweifelt nach Hilfe bei der öffentlichen Hand gesucht haben, eine Maßnahme, die an und für sich nicht verwerflich ist, die man heute sicherlich auch in dieser Situation täte. Die Stadt Berlin war damals auch nicht in der Lage, ihnen zu helfen, also hat man sich an das Deutsche Reich gewandt und einfach eine Institution höher, und dann hat das ein paar Jahre der Verhandlung gebraucht. Aber fatalerweise ist es gerade 1933 dann soweit gewesen, dass die rettende Übernahme durch das Deutsche Reich erfolgt ist. Und sie mussten dann administrativ eingegliedert werden und wurden dann in das neu geschaffene Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda eingegliedert, das Goebbels-Ministerium.
Hettinger: Der kanadische Wissenschaftler und Opernregisseur Misha Aster hat ein Buch geschrieben über die Berliner Philharmoniker während der NS-Zeit. Und Aster beschreibt das Verhältnis zwischen Nationalsozialismus und Orchester als, "das Spiel zweiter autonomer Kräfte", also nicht das simple Bild, hier die alles vereinnahmenden Nazis, dort das arme Orchester als Opfer. Wie haben Sie das empfunden?
Sánchez Lansch: Ja, das ist interessant. Auf der einen Seite natürlich, sie hatten plötzlich einen Dienstherrn, und da gab es natürlich einen entsprechenden Schriftverkehr, es wurden ein Geschäftsführer, der parteitreu war, eingesetzt und ein Intendant, der parteitreu. Das waren also sozusagen Mittelsmänner, die dann Zug um Zug die Aufgaben übernahmen, die bisher der Vorstand aus dem Orchester eben gemacht hatte. Aber auf der anderen Seite, schon das Zustandekommen dieser Liaison aus eben wirtschaftlichen Gründen ist eben auch eine Sache, dass es wirklich so ein freies Spiel der Kräfte ist, also auch etwas, was nicht nur Anfang der 30er, nicht nur in der Nazi-Zeit hätte passieren können, sondern was natürlich in dieser Art und Weise, mit entsprechenden Veränderungen, auch heute passieren könnte.
Hettinger: Sie haben auch den Schicksalen derer nachgespürt, die das Orchester verlassen haben, verlassen mussten, sind da teilweise in die Generation der Söhne hineingegangen. Das ist natürlich eine Annäherung an das "Was wäre wenn?". Welche Brüche in den Biografien haben Sie da feststellen können?
Sánchez Lansch: Vier Musiker mussten tatsächlich das Orchester 1934 und 1935 verlassen aufgrund ihrer jüdischen Herkunft. Und alle sind emigriert und alle irgendwann in den USA gelandet. Und bei einigen hat es der erfolgreichen Karriere keinen Abbruch getan. Bei anderen ist aber doch sehr spürbar, dass es einen richtigen Bruch, einen richtigen Knick in der Karriere gibt, beim ersten Konzertmeister Simon Goldberg, eine ganz große Ausnahmebegabung. Es war mir ganz wichtig in diesem Film, diese Menschen auch vor dem Vergessen-Werden auch gerade in Deutschland zu retten.
Hettinger: Vielen Dank, Enrique Sánchez Lansch. Er ist Autor des Films "Das Reichsorchester", ein Film über die Berliner Philharmoniker in der Zeit des Nationalsozialismus. Enrique Sánchez Lansch hat für diesen Film die Zeitzeugen aufgesucht, die in der Zeit des Dritten Reiches im Orchester gespielt haben, und auch mit Nachkommen der damaligen Orchestermitglieder gesprochen. Der Film kommt am 1. November in die Kinos.
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