Freiheit für die Wisente

Johannes Röhl im Gespräch mit Christine Watty · 11.04.2013
Seit dem 18. Jahrhundert gelten die Wisente in Deutschland als ausgerottet. In Zoos wurde die Art mühsam am Leben erhalten - bis heute: Im Rothaargebirge in NRW werden die Bisons wieder ausgewildert. Ein Projekt, das in Westeuropa einmalig ist, sagt Forstdirektor Johannes Röhl.
Christine Watty: Heute Abend spätestens wird gefeiert im Rothaargebirge, genauer in Bad Berleburg am Rande der 4000 Hektar Wald, die dort im Besitz des Fürsten Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein sind. Diese Party findet statt, weil dort heute nach jahrelanger Vorbereitung eine Wisentherde ausgewildert wurde, und das ist in Westeuropa einmalig, und seit dem 18. Jahrhundert schon gelten die Wisente bei uns in Deutschland als ausgerottet.

Das Projekt Wisent-Welt Wittgenstein hat in den letzten Jahren Araneta, die Wisentkuh, die mit den anderen sieben heute losgetrabt ist, auf diesen Tag vorbereitet. Mit im Team Johannes Röhl, der auch der Forstdirektor des Fürsten Richard Prinz zu Sayn-Wittgenstein ist. Hallo Herr Röhl!

Johannes Röhl: Ja, hallo Frau Watty!

Watty: Ich nehme an wirklich, dass für Sie heute ein großer feierlicher Tag ist, aber da müssten Sie uns zuerst mal am Anfang erklären, wieso ist es denn so schön, dass die Wisente ausgewildert wurden heute?

Röhl: Für uns ist es einfach der Lohn unserer Bemühungen, die jetzt über zehn Jahre gedauert haben. Vor etwa zehn Jahren hatte Prinz Richard zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg die Idee, sich doch mal mit der Auswilderung von Wisenten zu beschäftigen, und seitdem liegen zehn Jahre harter, teilweiser auch schwieriger, aber jetzt letztlich heute erfüllender Arbeit hinter uns.

Watty: Wieso denn ausgerechnet Wisente, was ist das Besondere an diesen Tieren und wieso ist es gut, dass sie womöglich eines Tages wieder viel zahlreicher frei in unserer Natur leben?

Röhl: Prinz Richard hatte damals den Gedanken, als er sich mit den vielen Ideen für die Wiedereinbürgerung von Tieren beschäftigte – da ging es wie heute ja auch um Wölfe und um Bären und um Luchse und um Otter und um andere Tierarten … Da hatte er bei einigen dieser Wildarten ein bisschen Probleme, weil er dachte, da wird es sicherlich bei uns mit dem Tourismus und mit den Landwirten und so weiter Schwierigkeiten geben. Aber die Wisente, die er selber in Schweden kennengelernt hat als ruhige und freundliche Pflanzenfresser, die könnten doch hier eigentlich eine neue Heimstatt finden.

Und da wir hier im Rothaargebirge in einem der unzerschnittensten Lebensräume in Nordrhein-Westfalen und ich denke mal auch bundesweit leben und der waldreichste Kreis Deutschlands hier der Kreis Siegen-Wittgenstein ist und wir uns außerdem, wenn ich das so sagen darf, mit großen Tieren auskennen – wir haben hier Rotwild und Schwarzwild und Muffelwild –, sagte er: Herr Röhl, überlegen Sie mal, ob das nicht geht, fragen Sie mal ein paar Experten, ob wir dieses Projekt nicht anfangen könnten.

Watty: Und dann haben Sie ja nicht einfach nur gefragt, sondern tatsächlich hat es Jahre gedauert, bis also heute dieser Tag kommen konnte. Wie bereitet man eine solche Auswilderung denn genau vor?

Röhl: Der Beginn war, dass wir zunächst einmal von Wissenschaftlern haben feststellen lassen, ob sich überhaupt die Gegend hier eignet für die Auswilderung von Wisenten. Es hat ja keinen Zweck, eine Wildart auszusetzen, die dann nicht das Biotop vorfindet, was sie braucht, um ihren Lebensgewohnheiten nachzukommen. Von Anfang an haben wir natürlich ganz intensive Netzwerkarbeit betrieben, vor allen Dingen mit den polnischen Wissenschaftlern, die seit über 70 Jahren in Białowieża Erfahrung haben mit frei lebenden Wisenten. Dort war uns natürlich ganz wichtig, was die zu dem Projekt sagen. Wir haben von Anfang an gespürt, dass dort große Begeisterung herrschte, dass neben den frei lebenden Herden in Osteuropa jetzt hier auch die Chance bestehen würde, in Westeuropa eine frei lebende Herde zu etablieren. Das hat uns immer wieder Auftrieb gegeben.

Gut, die Machbarkeitsstudie ist positiv ausgegangen. Und danach haben wir uns dann darangemacht, die rechtlichen, die formaljuristischen Voraussetzungen zu schaffen, denn man kann ja so eine Wildart nicht einfach rausschmeißen und sagen, sieh zu, wie du klarkommst, sondern man muss dort die einschlägigen gesetzlichen Vorgaben betrachten. Und was für uns von Anfang an auch ganz, ganz wichtig war, ist, dass man eine solche Chance, dieses größte Landsäugetier Europas wieder einzubürgern, natürlich auch dazu benutzen muss, um das Ganze wissenschaftlich intensiv zu begleiten.

Watty: Die Wisente haben ja einen ganz interessanten und eigentlich auch dramatisch kleinen Stammbaum, die stammen alle nur von zwölf Tieren ab, die in Gefangenschaft der Ausrottung ihrer Art entkommen sind. Ist denn die Zukunft der Art aufgrund dieser geringen genetischen Variation damit auch immer noch bedroht?

Röhl: Ja, das ist absolut so. Wir haben ein großes Problem in der Wisentgemeinde – so würde ich sie mal nennen – mit dieser engen genetischen Basis, denn man kann nur durch geschickte Rekombination von Tieren, die möglichst wenig nah verwandt sind, erreichen, dass die vielen Probleme, die es in Wisentpopulationen mit inzuchtbedingten Krankheiten gibt, so gering wie möglich gehalten werden.

Deshalb ist auch unsere Herde nach den Vorschlägen und streng nach den Vorgaben der polnischen Kollegen, die das sogenannte Herdbuch führen, die also von jedem Wisent genau wissen, wer seine Vorfahren sind, zusammengestellt worden, damit wir eben Inzucht hier vermeiden. Und wir werden auch weiter dafür sorgen, dass wir in unserer kleinen Herde, mit der wir das ganze Projekt hier starten, natürlich jede Inzucht vermeiden.

Watty: Johannes Röhl, Mitglied des Vereinsvorstandes Wisent-Welt Wittgenstein, im "Radiofeuilleton" zur heutigen Wisentauswilderung. Die Wisentkuh Araneta ist diejenige, die mit ihrer Herde also heute in den Wald entlassen wurde. Wie genau fand denn diese Auswilderung statt?

Röhl: Diese eigentliche Auswilderung ist ein sehr unspektakulärer Vorgang, wenn ich das mal so sagen darf. Wir haben vorhin den Zaun aufgemacht von unserem Auswilderungsgehege von etwa 90 Hektar Größe, in dem sich die Tiere die letzten drei Jahre auf diese Freilassung vorbereitet haben und wir sie kennengelernt haben. Aber es ist nicht so, dass die Tiere unruhig am Zaun auf und ab gehen und schnauben, darauf warten, endlich in die Freiheit entlassen zu werden.

Wisente sind sehr genügsame Tiere – sie hatten in diesen 90 Hektar, an die sie sich jetzt gewöhnt haben, alles, was ein Wisent braucht. Sie hatten genug Nahrung, sie hatten Wasser, vor allen Dingen viel Ruhe, was wichtig ist für die Wisente, und ihren Sozialverband. Das heißt, die Tiere werden irgendwann – und keiner weiß, wann das sein wird – in der nächsten Zeit feststellen, dass an einer Stelle, wo sie vorher nicht weitergehen konnten, jetzt plötzlich weitergehen können, und dann werden sie so langsam ihre Umgebung erkunden. Also das ist nicht der spektakuläre Akt, dass man eine Herde Wildpferde aus einem kleinen Korral entlässt und sie toben fröhlich in die Freiheit.

Watty: Sie hatten doch wahrscheinlich wenigstens ein Tränchen im Auge nach all den Jahren.

Röhl: Natürlich, das ist ein Moment, den man jetzt bei aller organisatorischen Vorbereitung dieser Veranstaltung heute … läuft einem schon ein Schauer über den Rücken, wenn man sagt: So, und hier im Rothaargebirge, bei uns in Berleburg, wird es jetzt das erste Mal wieder frei lebende Wisente geben. Das lässt einen nicht kalt.

Watty: Ist denn diese Wisentherde gechipt, also werden sie weiter den Weg dieser Tiere verfolgen können?

Röhl: Die Tiere sind gechipt, um sie identifizieren zu können. Falls ein Tier mal immobilisiert werden muss oder falls ein Tier verendet, können wir die Tiere anhand ihrer Chips genau erkennen. Aber sie sind vor allen Dingen – und das ist das, worauf Sie hinaus wollen – mit GPS-Halsbändern versehen. Nicht alle, sondern nur die ausgewachsenen, also zwei Kühe und der Bulle sind mit einem solchen Halsband versehen. Und mithilfe dieses GPS-Halsbandes können wir den Weg der Tiere verfolgen. Das ist uns auch aufgegeben von unseren Genehmigungsbehörden, vom Land Nordrhein-Westfalen, von der Bezirksregierung, dass wir jetzt noch für eine gewisse Zeit auf jeden Fall das Raum-Zeit-Verhalten dieser Tiere untersuchen müssen und verfolgen müssen.

Das hat vor allen Dingen den Hintergrund, dass wir schauen wollen, ob es trotz der wenigen Straßen, die wir hier überhaupt haben, vielleicht Annäherung an Hauptverkehrsstraßen gibt oder ob die Tiere sich in ihrem Verhalten, an ihren Lieblingsstellen irgendwie verändern. Insofern werden wir auch weiterhin wissen, wo die Tiere unterwegs sind.

Watty: Gibt es denn irgendwelche Gefahren, die drohen, also dass die Wisente einen negativen Einfluss auf den Wald haben, in dem sie leben, dass die Bevölkerung, die umliegende Bevölkerung Probleme bekommt mit Wisenten, die nicht daran gewöhnt sind, dass da auch irgendwo wieder Grenzen dieses Waldes sind, wo Menschen sind?

Röhl: Es gibt natürlich rein theoretisch immer Gefahren, die man so herbeidenken kann und die einem in der Fantasie dann so kommen können. Die allermeisten oder eigentlich alles haben wir in dieser dreijährigen intensiven Untersuchungsphase im Auswilderungsgehege beforscht. Da geht es vor allen Dingen – weil das im Fokus steht – darum, sicher sagen zu können, dass die Tiere kein aggressives Verhalten zeigen. Und da haben wir in diesem Auswilderungsgehege unter Versuchsbedingungen, unter Laborbedingungen praktisch so ziemlich alles versucht, um die Tiere zu provozieren – also vom einfachen Spaziergänger bis zum Spaziergänger mit Hund ohne Leine, der sich bellend dieser Herde nähert, bis zu Stalker, der mit der Kamera versucht, möglichst dicht da ranzukrabbeln.

Und die Tiere haben jedes Mal dasselbe Verhalten gezeigt: Wenn sie diese für sie ja Gefahr beobachtet haben und eine gewisse Distanz unterschritten war, haben sie sich einfach entfernt, sind sie einfach weggegangen, sodass wir sicher sagen können, dass die Gefahr für Waldbesucher oder so was durch die Anwesenheit der Wisente nicht größer wird. Die Fahrt zum Parkplatz wird sicherlich immer noch das Gefährlichste an dem Waldspaziergang bleiben.

Was die Frage der Wildschäden von Wisenten angeht, auch da haben wir mit der Universität Göttingen zusammen untersucht, ob denn das Waldwachstum hier beeinflusst wird von den Wisenten. Da können wir sicher sagen, dass der Verbiss, also das Fressen von Naturverjüngung, von jungen Bäumen, nicht stattfindet. Sie haben sowohl die jungen Buchen als auch die Fichten im Auswilderungsgehege völlig unbeeinflusst gelassen. Auch da wird nichts passieren. Und sie sind einfach Tiere, die zunächst mal den Wunsch haben, vor den Menschen zu fliehen und sich da nicht hinzubegeben.

Watty: Noch eine theoretische Frage zum Abschluss: Wie lange könnte es Ihrer Meinung nach dauern, bis Wisente ganz normale Waldbewohner sind wie andere Tiere, die wir schon kennen, auch?

Röhl: Mir sagte vor einiger Zeit mal einer, der so ein bisschen von außen das Projekt beobachtete, der sagte: Weißte was, irgendwann in zehn, zwölf Jahren, da wird es einfach völlig normal sein, dass man ein Wisent gesehen hat. Man wird nach Hause kommen, wird sagen: Mensch, ich hab Riesenglück gehabt, ich hab heute drei Rothirsche gesehen und zwei Rotten Sauen und zwei Wisente, war ein schöner Tag. Wenn diese Normalität eingetreten ist, dann ist der Moment gekommen, dass man sagt, so, sie gehören eigentlich wieder zum normalen Arteninventar. Und dann kann die Gesellschaft entscheiden, zu sagen, jetzt ist vielleicht der Zeitpunkt gekommen, auch über eine größere Wisentpopulation nachzudenken.

Watty: Zum Abschluss also noch der Blick in die Zukunft, heute aber erst mal viel Spaß bei der Wisentparty, die noch bevorsteht. Das war Johannes Röhl vom Projekt Wisent-Welt Wittgenstein. Heute wurde im Rothaargebirge im Wittgensteiner Wald eine Wisentherde ausgewildert.


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