Freie Deutsche Jugend

Wie die FDJ die Kirchen ausbootete

Die Blauhemden der ehemaligen DDR-Jugendorganisation FDJ, fotografiert im Lager der Kostümfundus Babelsberg GmbH in Potsdam
Die Blauhemden der ehemaligen DDR-Jugendorganisation FDJ, fotografiert im Lager der Kostümfundus Babelsberg GmbH in Potsdam © dpa / picture alliance / Ralf Hirschberger
Von Gunnar Lammert-Türk  · 06.03.2016
An den blauen Hemden der Freien Deutschen Jugend kam in der DDR niemand vorbei: Vor 70 Jahren wurde sie gegründet. Die FDJ war die einzige offizielle Jugendorganisation im Arbeiter- und Bauernstaat – die kirchliche Jugendarbeit wurde früh aus ihr verdrängt.
Walter Ulbricht: "Wir sind nicht dafür, daß ein kommunistischer Jugendverband gegründet wird. Es soll überall ein Jugendausschuß auf demokratischer, antifaschistischer Grundlage bei den Gemeinden gebildet werden, der die Jugendveranstaltungen organisieren soll. Aus diesen Jugendausschüssen wird sich eine freie, einheitliche Jugendbewegung entwickeln können, die auch die christliche Jugend umfaßt."
So äußerte sich Walter Ulbricht im Juni 1945 vor KPD-Funktionären zur Organisation der Jugendarbeit in der Nachkriegsgesellschaft der Sowjetischen Besatzungszone. Die Kommunisten richteten zunächst Jugendausschüsse ein, in denen neben den eigenen Leuten und ihnen nahestehenden Sozialdemokraten auch Vertreter wieder zugelassener oder neu gegründeter Parteien und der Kirchen mitarbeiten sollten. Denn sie benötigten Zeit, um jugendliche Anhänger zu gewinnen und Personal auszubilden. Die Verfolgung unter dem NS-Regime hatte ihre Jugendarbeit vernichtet.
Das sah bei der Kirche, vor allem der katholischen, anders aus. Zwar hatte der NS-Staat ihre Jugendorganisationen aufgelöst. Aber auf der Pfarreiebene hatte die Jugendarbeit relativ unbeschadet überlebt. Und in dieser Form wollten die Katholiken sie fortsetzen. Um dies nicht zu gefährden, beteiligten sie sich an den Jugendausschüssen.

"Zersplitterung können wir uns nicht leisten"

Obwohl die Kommunisten mit den Sozialdemokraten die Ausschüsse dominierten, wollten einige von ihnen die Kirchen ganz aus der Jugendarbeit heraushalten und lieber einen eigenen Jugendverband gründen. Wie der sächsische Jugendpolitiker Robert Bialek, den Erich Honecker, der Vorsitzende des Zentralen Jugendausschusses, deshalb ermahnte. Nach den Erinnerungen von Heinz Lippmann, einem Vertrauten Honeckers, sagte der zu Bialek:
"Eine Arbeiterjugendorganisation würde bedeuten, daß wir noch mehr Jugendorganisationen zulassen müssen. Jede bürgerliche Partei würde ihre Jugendorganisation fordern und die Kirchen natürlich auch. Eine solche Zersplitterung können wir uns nicht leisten. Wir müssen an die ganze Jugend heran und denken gar nicht daran, einen Teil der Jugend den bürgerlichen Kreisen zu überlassen. Wir müssen also eine überparteiliche, überkonfessionelle Jugendorganisation gründen, die alle Jugendlichen aller Parteien und Konfessionen umfaßt."
Dieses Vorgehen war den Kommunisten nicht zuletzt auch deshalb wichtig, weil sie ihre Jugendarbeit auf ganz Deutschland ausdehnen wollten. Ohne die Einbeziehung der Kirchen und der bürgerlichen Parteien wäre das undenkbar gewesen. Dennoch sollten die Ausschüsse sobald als möglich durch eine neue Jugendorganisation abgelöst werden. In einer Art Überraschungscoup wurden die Vertreter der bürgerlichen Parteien und der Kirchen in einer Zentralausschuss-Sitzung Anfang 1946 von Erich Honecker über die bevorstehende Gründung in Kenntnis gesetzt. Der Name Freie Deutsche Jugend stand bereits fest, auch die Fahne mit der aufgehenden Sonne. Dass sie blau und nicht rot sein sollte, wertete Honecker als Zugeständnis an die Kirchen.
Was aber verbarg sich hinter der Freien Deutschen Jugend? Manfred Klein, damals Vertreter der CDU im zentralen Jugendausschuss, schreibt in seinen Erinnerungen:
"Wir wollten wissen, ob diese Organisation als eine Art Dachverband gedacht sei, unter dem sich dann vielleicht die verschiedenen Jugendgruppen finden konnten. Honecker antwortete ausweichend. Natürlich hätte er gar nichts dagegen, wenn in irgendeinem Ort die FDJ von der katholischen Jugend, in einem von der evangelischen Jugend gebildet würde. Auf konkrete Zugeständnisse in Richtung einer Organisationsform ließ er sich nicht ein."
Wie Manfred Klein bestanden auch die Vertreter der Kirchen darauf, dass die FDJ ein Dachverband sein sollte, der die Eigenständigkeit einzelner Jugendgruppen schützt. Zugestanden wurde aber nur, dass in der Einheitsorganisation FDJ auch religiöse Belange eine Rolle spielen sollten. Nach ihrer Gründung am 7. März 1946 gab es für die Kirchen Verbindungsstellen zu den FDJ-Leitungen. Für das Zentralsekretariat der FDJ wurden sie von denselben Leuten besetzt, die zuvor im zentralen Jugendausschuss tätig waren: von Pfarrer Oswald Hanisch für die evangelische und Domvikar Robert Lange für die katholische Kirche.

Täglich zehn Nackenschläge für die Kirchen

Ihr demokratisches Antlitz wollte die FDJ auf ihrem ersten sogenannten Parlament im Juni 1946 in Brandenburg an der Havel zeigen. Gottesdienste beider Konfessionen gehörten deshalb zum Programm. In einer Arbeitspause erklärte Robert Bialek westdeutschen Kommunisten, die die Einbindung der Kirchen rigoros ablehnten, was dahinter stand. Der katholische Teilnehmer Kurt Woituzcek, der unbemerkt dabei stand, hörte, wie Bialek sagte:
"Wir werden den Kirchen täglich zehn Nackenschläge geben, bis sie am Boden liegen, und wenn wir sie wieder brauchen, streicheln wir sie ein wenig, bis die Wunden geheilt sind. Dann schicken sie wieder ein Rundschreiben heraus, welches uns Mitglieder einbringt, und dann schlagen wir ihnen wieder in den Nacken, bis sie am Boden liegen."
Als die kirchlichen Vertreter und Manfred Klein von der CDU davon erfuhren, wollten sie das Parlament verlassen. Unter dem Druck Honeckers und des sowjetischen Majors Bodin blieben sie.

Ende der Überparteilichkeit kam 1949

Aber das ohnehin brüchige Vertrauen war irreparabel beschädigt. Klein sah deshalb für das zweite Parlament der FDJ in Meißen eine Resolution vor, an die er sich später so erinnerte:
"Die FDJ möge beschließen, daß jede Anwendung von Gewalt im politischen Leben oder deren Propagierung automatisch den Ausschluß aus der FDJ nach sich zieht." In der Auslegung unseres Antrages wollten wir uns auch bemühen, den Ausdruck 'Gewalt’'möglichst extensiv auszulegen, um auch die Erziehung zum Haß darunter fallen zu lassen. Wenn Honecker seiner Parteilinie folgte, konnte er eigentlich diese Resolution nicht passieren lassen. Dann aber war uneingeschränkt klar, was die FDJ wirklich wollte, die Verschleierungstaktik mit friedlicher Koexistenz war durchbrochen."
Am 13. März 1947 wurde Klein verhaftet und kurz darauf aus der FDJ ausgeschlossen. Mit seiner Resolution hatte er auch auf die Behinderungen der kirchlichen Jugendarbeit vor und nach der Gründung der FDJ reagiert: auf Diffamierungen, Verhaftungen und Versuche, die Tätigkeit in den Pfarreien als illegal zu verbieten. Nach anderthalb Jahren Verhören durch den sowjetischen Geheimdienst wurde der 23-Jährige am 13. Dezember 1948 zu 25 Jahren Zwangsarbeit wegen angeblicher Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Geheimdienst verurteilt.
Ein halbes Jahr darauf beschloss die FDJ auf ihrem dritten Parlament im Juni 1949 in Leipzig eine neue Satzung, in der sie sich die Ziele der SED zu eigen machte und die bisherige Überparteilichkeit aufkündigte.
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