Freie Bildung per Volksbegehren

Von Astrid Mayerle · 22.01.2013
Zwei Wochen lang liegen in Bayerns Rathäusern und Ämtern Unterschriftenlisten für die Abschaffung der Studiengebühren aus. In der Landeshauptstadt München demonstrieren Studenten und verteilen parallel zum Volksbegehren Flugblätter vor Einkaufszentren und an öffentlichen Plätzen.
Katharina wuchtet das Paket mit den Bannerstäben auf den Boden des Konferenzzimmers, checkt dann noch schnell die To-Do-Liste:

Katharina: "Ich sehe, dass da alles erledigt ist, wir haben Ordnerbinden, Megaphone sind aus dem Keller geholt, weitere Plakate sind auch aus dem Keller geholt. Läuft oder? Gut, mehr war das nicht. Tim kommt mit der Musik direkt an den Geschwister Scholl Platz... Wir sollten uns jetzt noch überlegen ... wer …"

Eine Studentin hat einen Tablet-PC auf den Knien, Lautsprecher an.
Sie diskutiert mit anderen die Pressestimmen des Tages:

Eine Studentin: "Aber die nächste Generation sind doch quasi wir, das isses doch."

Der Rest der Truppe ist bereits startklar für den Laternenumzug, den Auftakt für die folgenden vierzehn Tage Öffentlichkeitsarbeit in eigener Sache.
Treffpunkt Unihauptgebäude, Geschwister-Scholl-Platz:

Student: "Studiengebühren abschaffen, Studiengebühren abschaffen, wessen Uni ist das? Unsere Uni! Wessen Straße ist das? Unsere Straße ... Wem gehört die Uni? Uns gehört die Uni ..."

Drei Handgriffe: Stab, Papierschirm, Kerze. Die Studenten bauen die Lampions zusammen und verteilen sie. Aus dem Hauptgebäude strömen Studenten und Professoren, einige bleiben stehen, beobachten die Kerntruppe der Engagierten. Die ist durch ihre neongelben Westen mit der Aufschrift "Bildung ja, Studiengebühren nein" bereits aus der Ferne zu erkennen. In der Loggia des Hauptgebäudes stehen einige Studenten abseits.

Student: "Wir sind für Studiengebühren, weil unsere Bildung bezahlt werden muss und wir die gerne auch unterstützen bei der Finanzierung unserer Möglichkeiten und unserer Zukunft. Ich hab zum Glück gute Eltern, die mir das noch bezahlen, aber ich arbeite noch nebenher."

Katharina kennt solche Stimmen. Unterwegs mit dem Zug Richtung Odeonsplatz erzählt sie von ihren Beobachtungen, von drei Gruppen unter den Studenten:

Katharina: "Es gibt die einen, die Studiengebühren prinzipiell ablehnen, die dagegen sind, weil sie sagen, das ist sozial ungerecht, das ist eine finanzielle Last, die die Familien tragen müssen. Die zweite Gruppe ist die unpolitische Gruppe, die wissen nichts und da stellt man fest, wenn die sich überlegen, wofür werden die jetzt eingesetzt und Mensch, wenn ich mit dem Studium fertig bin, dann zahle ich auch höhere Steuern, das heißt, ich finanziere mit meinen Steuern ja auch das Bildungssystem. Ist das gerecht? Das ist die zweite Gruppe und dann kann man oft Überzeugungserfolge verzeichnen. Es gibt aber tatsächlich auch die dritte: das sind die Befürworter. Die sagen, nein, das ist es uns wert und wir zahlen. Ich persönlich finde, dass wir die besseren Argumente haben. Politik besteht eben darin, dass es auch Leute gibt, die 'ne andere Meinung haben, das muss man aushalten."

Schnee bleibt auf Katharinas beiger Mütze liegen, ihre braunen Lederstiefel haben bereits Wasserränder. Katharina studiert im 11. Semester Politikwissenschaften:

Katharina: "Für mich ist es so, dass ich am Ende des Studiums stehe, selbst wenn die Studiengebühren zum nächstmöglichen Termin abgeschafft werden, wird es für mich zu spät sein, da werde ich nicht mehr studieren. Für mich wäre die Perspektive eine ungemeine Freude, weil ich mich seit fünf Jahren engagiere. Wenn man das nach fünf Jahren schafft, das wäre eine unglaublich große Freude, auch weil damit die Situation der sozialen Ungerechtigkeit für kommende studierende Generationen beendet ist."

Der Zug erreicht den Rathausplatz, es schneit noch immer. Einige Passanten in dicken Boots, Wintermänteln und Schirmen in der Hand bleiben stehen, als sie die roten Lampions stehen.

Studenten: "Studiengebühren abschaffen, Studiengebühren abschaffen. Volksbegehren eintragen. Volksbegehren eintragen. Wann? Jetzt. Wo? Hier."

Katharina steuert auf das Rathaus zu:

Katharina: "Warst du schon? Na, dann komm Ari, gehen wir gemeinsam eintragen."

Jemand: "Volksbegehren, auf gehts! Ausweis! Die Richtung! Weiter! Komm!"

Katharina: "Hallo. Ich würde mich gern eintragen.
Wunderbar. Brauch ich nur noch den Name, Vorname, und daneben die Unterschrift. So."

Im München kommen am ersten Tag nur knapp 5000 Unterschriften zusammen. Verglichen mit einer neuen Startbahn oder einem neuen Hauptbahnhof ist das Thema wenig populär.

Einen Tag später 15 Uhr Nachmittags, Sendlinger Tor. Zwei Studenten sind bereits vor Ort am Stand und verteilen gelbe Flyer. Katharina stößt dazu, beißt in den grauen Stoffhandschuh, zieht die rechte Hand schnell zur Seite weg und greift nach einem Papierbündel. Ohne Handschuhe sind die Finger schneller - auch beim Verteilen von Flyern. Die meisten Passanten möchten wissen, ob man sich gleich am Stand eintragen kann. - Leider nein. Manche beginnen eine Diskussion:

Passant: "Aber wenn darunter die Leistung leidet? Ich bin selber Studentin und zahl auch Studiengebühren. Was man schon sehen kann, dass die Universität unterfinanziert sind, weil der Staat per Gesetz dafür verantwortlich ist, dass die Unis ausfinanziert sind. Allerdings muss man auch sagen, dass sämtliche bayerische Politiker alle gesagt haben, abschafften kommt nur in Frage, wenn einigermaßen vollständig kompensiert wird. Ich hab jetzt gedacht, wo ich sie getroffen hab, ich denk, jetzt muss ich doch fragen, wie Sie, die ja betroffen sind, dazu stehen. Ich wünsche Ihnen viel Erfolg. Dann werd ich das wahrscheinlich doch ausfüllen. Ich bedanke mich herzlich und wünsche Ihnen viel Erfolg."
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