"Freedom of Speech Award" für Sedat Ergin

"Ein klares Zeichen für Pressefreiheit"

Eine Ausgabe der türkischen Tageszeitung Hürriyet steckt in einem Zeitungsständer.
"Hürriyet" ist die auflagenstärkste unabhängige Zeitung in der Türkei © dpa/picture-alliance/Wolfgang Moucha
Peter Limbourg im Gespräch mit Dieter Kassel · 21.04.2016
Der Chefredakteur der türkischen Zeitung "Hürriyet", Sedat Ergin, wird von der Deutschen Welle mit dem "Freedom of Speech Award" ausgezeichnet. Damit wolle man türkische Journalisten in schweren Zeiten unterstützen, so DW-Intendant Peter Limbourg.
Sedat Ergin sei "ein profilierter und kenntnisreicher" Journalist, der auch in der Vergangenheit immer wieder für die Presse- und Meinungsfreiheit eingestanden sei, begründet DW-Intendant Peter Limbourg im Deutschlandradio Kultur die Entscheidung. "Sie müssen wissen, dass kürzlich auch sein Verlagsgebäude, das 'Hürriyet'-Gebäude, von einem Mob der AKP gestürmt wurde, demoliert wurde und er dort versucht hat, gegenzuhalten mit Worten", so Limbourg.
Der Chefredakteur der Zeitung Hürriyet, Sedat Ergin, steht am 16.09.2015 in Istanbul (Türkei) vor dem Redaktionsgebäude der Zeitung. Die Staatsanwaltschaft hatte am Dienstag (15.09.2015) wegen angeblicher Verbreitung «terroristischer Propaganda» Ermittlungen gegen den Medienkonzern Dogan eingeleitet. Die «Hürriyet» gehört zur Dogan-Gruppe und ist eine der größten Zeitungen in der Türkei. Ihre Redaktion wurde vergangene Woche zwei Mal von einem Mob von Anhängern der islamisch-konservativen Regierungspartei AKP angegriffen. «Hürriyet»-Chefredakteur Sedat Ergin nannte die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft am Mittwoch haltlos. Foto Can Merey/dpa
Sedat Ergin, Chefredakteur der Zeitung "Hürriyet"© picture alliance / dpa / Can Merey

"Ein ausgezeichneter Deutschlandkenner"

Ergin sei außerdem ein ausgezeichneter Deutschlandkenner und dem Land verbunden. Man solle ihn unterstützen, "wie man überhaupt viele Journalisten in der Türkei unterstützen sollte, denn sie haben es enorm schwer", betont der DW-Intendant. "Gerade in diesen Tagen und in diesen Zeiten, wo die Journalisten in der Türkei so schwer unter Druck geraten sind und der Journalismus überhaupt und die Pressefreiheit, wollen wir eben ein klares Zeichen für Pressefreiheit setzen und nicht auf politische Rücksichtnahme."
Die Deutsche Welle vergibt den "Freedom of Speech Award" zum zweiten Mal. Im vergangenen Jahr war der inhaftierte saudische Blogger Raif Badawi ausgezeichnet worden.

Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Zum zweiten Mal vergibt die Deutsche Welle, der Auslandsrundfunk der Bundesrepublik Deutschland, in diesem Jahr den Freedom of Speech Award. Und im letzten Jahr, beim ersten Preisträger hat man gemerkt, dass der Sender dabei nicht unbedingt und übertrieben diplomatisch ist, sondern eher mutig.
Raif Badawi hat im letzten Preis bekommen, der saudi-arabische Blogger, der wegen seiner öffentlichen Äußerungen in seinem Land im Gefängnis sitzt und mit einer Strafe, auch Prügelstrafe belegt wurde. Das hat natürlich zu großer Unzufriedenheit in Saudi-Arabien geführt im vergangenen Jahr und diesmal wird wohl auch jemand unzufrieden sein, ein anderer Staat, eine andere Regierung, denn diesmal geht der Freedom of Speech Award an den türkischen Journalisten Sedat Ergin. Wir wollen darüber jetzt mit dem Intendanten der Deutschen Welle Peter Limbourg reden, guten Morgen, Herr Limbourg!
Peter Limbourg: Morgen, Herr Kassel, grüße Sie!

Solidarität mit türkischen Journalisten

Kassel: Warum diese Entscheidung für Sedat Ergin?
Limbourg: Also, ich glaube einmal, weil Sedat Ergin ein profilierter und kenntnisreicher und sehr ausgesprochener Journalist, der auch in der Vergangenheit immer wieder für die Presse- und Meinungsfreiheit eingestanden ist. Sie müssen wissen, dass kürzlich auch sein Verlagsgebäude, das "Hürriyet"-Gebäude von einem Mob der AKP gestürmt wurde, demoliert wurde und er dort versucht hat gegenzuhalten mit Worten. Er ist ein ausgezeichneter Deutschland-Kenner, der ist jemand, der auch unserem Land verbunden ist und den man unterstützen sollte – wie man überhaupt viele Journalisten in der Türkei unterstützen sollte, denn sie haben es enorm schwer.
Und das ist das Anliegen auch der Deutschen Welle, dass wir gerade in diesen Tagen und in diesen Zeiten, wo die Journalisten in der Türkei so schwer unter Druck geraten sind und der Journalismus überhaupt und die Pressefreiheit, wollen wir eben ein klares Zeichen für Pressefreiheit setzen und nicht auf politische Rücksichtnahme.

Eine unabhängige Entscheidung der Deutschen Welle

Kassel: Politische Rücksichtnahme ist natürlich das Stichwort mitten in dieser Debatte um die Causa Böhmermann. Eine solche Entscheidung … Die Deutsche Welle ist inhaltlich unabhängig, aber wird ja von der Bundesregierung finanziert. Müssen Sie sich bei solchen Entscheidungen irgendwie absichern?
Limbourg: Nein, das müssen wir nicht und das ist auch gut so. Das unterscheidet uns von anderen Regionen, anderen Ländern, wir sind tatsächlich unabhängig. Und wir sehen es als unsere Aufgabe an, natürlich Deutschland insgesamt darzustellen, dazu gehört aber eben auch, dass man Kritik üben kann an befreundeten Regierungen. Und das ist sicherlich auch eine Form der Kritik an den jetzigen Zuständen in der Türkei. Und wir fühlen uns da aber gut aufgehoben und sind sehr zuversichtlich, dass wir damit eben auch das richtige Signal aussenden.
Kassel: Nicht nur für Journalisten in der Türkei wird es immer schwieriger, dort frei zu berichten, sondern auch für ausländische Journalisten, die von dort aus berichten wollen für ihre jeweiligen Länder. Viele haben keine Presseakkreditierung mehr bekommen, wir haben den Fall des ARD-Korrespondenten, der vorgestern nicht einreisen durfte. Ist das auch für die Deutsche Welle immer schwieriger, aus der Türkei zu berichten?

Mehr als 2.000 Klagen gegen Journalisten, Künstler und Wissenschaftler

Limbourg: Wir haben im Moment keine Vorkommnisse wie jetzt gerade mit dem Kollegen von der ARD, vom SWR. Aber wir wissen natürlich, dass insgesamt der Druck erhöht worden ist, der "Spiegel"-Kollege hat keine Akkreditierung bekommen. Das sind Vorkommnisse, die sind nicht hinnehmbar zwischen Ländern, die sich gemeinsamen eigentlich Werten verpflichtet fühlen, und wir sollten, denke ich, da weiter Druck drauf machen, dass so was nicht vorkommt.
Uns ist allerdings wichtig, die Kollegen… So misslich das ist, wenn sie nicht in die Türkei einreisen dürfen, sie riskieren letztendlich nur ein Flugticket, während die Kollegen, die Journalisten, die in der Türkei sind, riskieren teilweise ihre Freiheit und sitzen in Gefängnissen. Es sind über 2.000 Klagen anhängig gegen Journalisten, Wissenschaftler, Künstler, und das ist etwas, was wir dauerhaft anprangern müssen.
Kassel: Die Deutsche Welle hat ja schon seit über 50 Jahren Angebote auch auf Türkisch, am Anfang natürlich im Radioprogramm der DW, inzwischen im Internet vor allem. Wie wichtig sind denn Informationen auch in türkischer Sprache von ausländischen Sendern, auch von Ihrem, für die Menschen in der Türkei?

Angebote der DW in der Türkei werden wichtiger

Limbourg: Ich glaube, sie werden zunehmend wichtiger. Es ist natürlich immer, ein ausländisches Programm ist in der Regel ein Nischenprogramm und die Türkei hat ja auch eine lebendige Presselandschaft. Aber je mehr natürlich der Druck steigt auf Verlage, auf Presselandschaften, je mehr auch ganze Zeitungen und Verlagshäuser gedreht werden von der Regierung in Richtung Unterstützung von Erdogan, desto wichtiger, denke ich, werden in Zukunft eben auch ausländische Angebote.
Und die Deutsche Welle ist eben auch sehr erfahren in der Türkei-Berichterstattung, Sie sagten es, über 50 Jahre. Und vor allen Dingen, wir fühlen uns natürlich auch den Türken sehr nahe, wir fühlen uns als Freunde und wir haben ja eine große türkische Gemeinschaft in Deutschland. Und ich glaube, diese Brücke ist wichtig und wir werden in Zukunft, denke ich, auch noch viel stärker berichten müssen, was ist. Und das ist die Aufgabe der Deutschen Welle schon seit Langem.
Kassel: Der Freedom of Speech Award der Deutschen Welle geht in diesem Jahr an den türkischen Journalisten Sedat Ergin, den Chefredakteur der Tageszeitung "Hürriyet". Und wir haben darüber mit dem Intendanten der Deutschen Welle Peter Limbourg gesprochen. Herr Limbourg, vielen Dank und schönen Tag noch!
Limbourg: Danke, gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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