"Frauen töten eben ganz anders"

Stephan Harbort im Gespräch mit Klaus Pokatzky · 12.01.2009
Nach Angaben des Düsseldorfer Kriminalkommissars und -wissenschaftlers Stephan Harbort gibt es zwischen weiblichen und männlichen Mördern einige Unterschiede. Männer benutzten häufig ihre Hände, Frauen griffen zu Hilfsmitteln wie Gift, weil sie ihren meist männlichen Opfern körperlich unterlegen seien. Außerdem seien Frauen darauf bedacht, die Morde wie natürliche Tode aussehen zu lassen, "weil sie ihre Opfer eben überwiegend im eigenen sozialen Umfeld töten müssen".
Medea soll ihre Söhne getötet haben, um sich an ihrem untreuen Ehemann Jason zu rächen. Wenn wir uns die Geschichte des Mordes ansehen, von Medea in der Antike bis heute, dann sind Frauen als Täter aber die Ausnahme. Aber natürlich gibt es sie. Heute Abend beginnt in der ARD eine dreiteilige Reihe unter dem Titel "Wenn Frauen morden". Bevor wir mit dem Kriminalkommissar Stephan Harbort sprechen über die Besonderheiten des Mordes durch Frauenhand, wirft Silke Lahmann-Lammert einen Blick in die Reihe der ARD:

Ruth Blaue erlebt das Kriegsende in der zerbombten Kleinstadt Elmshorn. "Sie war ja eine sehr gut aussehende Frau, sie hatte eine gute Figur, und sie war aber auch sehr intelligent", erinnert sich eine frühere Nachbarin. "Und was sie für Schattenseiten hatte, das wusste ich ja damals noch nicht."

Ruth Blaues Mann ist aus dem Krieg noch nicht zurückgekehrt, aber die junge Frau hat gelernt, sich selbst zu versorgen. Sie betreibt einen Laden mit einer Leihbücherei, veranstaltet Lesungen und Künstlertreffs. Als ihr ein Untermieter zugewiesen werden soll, nimmt sie den Kunstschnitzer Horst Buchholz in ihre Wohnung auf, um der Amtsmaßnahme zuvorzukommen.

"In dieser Zeit gelten viele der alten Regeln nicht mehr. Man wohnt dicht gedrängt. Ehen sind auseinandergerissen, Männer sind knapp."

Die beiden verlieben sich ineinander. Das Drama nimmt seinen Lauf, als 1946 Ruth Blaues Ehemann heimkehrt. Jahre Später wird seine Frau zu Protokoll geben:

"In der Hauptsache war ich für meinen Mann fürs Bett, hatte Hausfrau, Ehefrau zu sein. Ich hatte doch wirklich nicht die ganze Zeit zu Hause gesessen und gestrickt. Mein Leben war doch inzwischen weitergegangen. Aber mein Ehemann hatte seine Rechte und fertig. Ich war verzweifelt."

John Blaues Leiche wird in einer Lehmkuhle in der Nähe von Elmshorn gefunden. Sein Mörder hat ihm ein Schlafmittel verabreicht und ihn dann mit einer Axt erschlagen. Ob Ruth Blaue allein für die Tat verantwortlich war oder ihr Liebhaber ihr geholfen hat, konnte nie geklärt werden.


Pokatzky: Silke Lahmann-Lammert über die ARD-Reihe "Wenn Frauen morden". Im Studio in Düsseldorf begrüße ich nun Stephan Harbort, Kriminalkommissar und Kriminalwissenschaftler und Autor zahlreicher Sachbücher, vor allem über Serienmörder. Guten Tag, Herr Harbort!

Stephan Harbort: Hallo, Herr Pokatzky!

Pokatzky: Ihr neuestes Buch "Wenn Frauen morden - Spektakuläre Fälle - Vom Gattenmord bis zur Serientötung" ist die Grundlage für die ARD-Reihe. Wie unterscheidet sich die Mörderin vom Mörder?

Harbort: Also auf den ersten Blick eigentlich gar nicht. Wenn wir zunächst einmal auf die Motivlage abstellen, dann stellen wir nämlich fest, dass in 80 Prozent der Fälle bei vorsätzlichen Tötungen in Deutschland eine Beziehungstat vorliegt, und die ist dann proportional gesehen bei Frauen genauso häufig vorzufinden wie bei Männern.

Aber wenn wir genauer hinschauen, sehen wir eine bedeutsame Abweichung, nämlich dass Männer töten, weil sie von ihrer Frau oder ihrer Partnerin verlassen werden wollen oder aber die Beziehung so desaströs geworden ist, dass eben für den Mann keine andere Möglichkeit mehr ist, als sich auf diese Art und Weise aus dieser Beziehung zu lösen. Und Frauen hingegen, und das ist der bedeutsame Unterschied, töten, weil sie sich aus einer solchen Beziehung förmlich befreien wollen.

Pokatzky: Das heißt aber auch, dass sie keine andere Möglichkeit mehr sehen. Der erste Teil in der ARD handelt nun ja auch in einer Zeit, die quasi noch Anarchie bedeutete direkt nach dem Krieg, auch noch mit einem ganz uralten Scheidungsrecht, wo diese Ruth Blaue ja gar keine andere Möglichkeit, wenn wir das jetzt brutal sagen will, hatte, aus dieser Beziehung auszubrechen.

Harbort: Na ja, objektiv betrachtet, muss man schon sagen, dass Ruth Blaue Möglichkeiten gehabt hätte, aber - Sie haben das schon richtig angedeutet - damals gab es noch dieses Schuldprinzip bei der Scheidung, und sie hatte damals eben offiziell einen Nebenbuhler. Für sie hätte also eine Scheidung auch dann in letzter Konsequenz einen sozialen Abstieg bedeutet. Und das gepaart mit dieser Liebe zu diesem anderen Mann war eben, gerade in den Nachkriegsjahren, ein handfestes Mordmotiv.

Pokatzky: Wenn Frauen morden, morden sie anders, was die Waffe angeht, was die Mittel angeht, um jemand anders aus dem Leben zu schaffen?

Harbort: Ja, das stimmt. Das ist schon seit Jahrhunderten so, dass Männer in erster Linie dazu neigen, die eigenen Hände zu gebrauchen, also Würgen und Drosseln, oder eben Hilfsmittel zu benutzen, Pistolen, Schlagstöcke, was gerade zur Hand ist. Und Frauen töten eben ganz anders, weil sie eben ihrem Opfer in aller Regel auch körperlich unterlegen sind, es bleibt gar nichts anderes. Und dann wird eben zu Hilfsmitteln gegriffen wie Gift oder Überdosen von Medikamenten, oder die Opfer werden eben erstickt.

Pokatzky: In Filmen sehen wir ja oft Frauen, die mit Gift dann vorgehen, gibt es auch in der Realität spektakuläre Beispiele?

Harbort: Ja, die Reihe handelt unter anderem von einer solchen Tat. Eine bis dahin wohlbeleumdete ältere Dame, 65 Jahre alt, hat über 25, 30 Jahre hinweg immer mal wieder einen Ehemann, immer mal wieder einen Lebenspartner, der dann urplötzlich verstorben ist. Und dann hat sie einen Fehler gemacht, sie hat sich nämlich ihrer Schwiegertochter gegenüber verplappert, sagte: Mensch, wenn du das nicht machst, wie ich das will, dann geht es dir so wie meinen Männern. Und die Frau hat das nicht einfach so auf sich beruhen lassen, sondern ist zum Anwalt gegangen und hat gesagt, Mensch, da kann was nicht stimmen. Und der hat dann die Polizei angerufen. Dann hat man angefangen zu ermitteln, und am Ende dieser Ermittlung standen dann fünf vollbrachte Morde und eine Vielzahl von Mordversuchen. Also so etwas kommt vor.

Pokatzky: Das war das "Blaubeer-Mariechen" aus Mönchengladbach, das am 26. Januar dann gezeigt wird in der ARD. Ich spreche mit dem Kriminalkommissar Stephan Harbort über Frauen, die morden. Herr Harbort, kriminologische Studien sagen, dass Männer häufig im Affekt morden. Planen Frauen besser?

Harbort: In gewisser Weise schon. Also der gravierendste Unterschied ist folgender, dass Männer natürlich auch darauf bedacht sind, ihre eigene Täterschaft zu kaschieren, das ist primäres Ziel. Frauen haben dieses Ziel auch, aber darüber hinaus, weil sie ihre Opfer eben überwiegend im eigenen sozialen Umfeld töten müssen, ist die Tat eben auch so angelegt, dass man sie als solche nicht erkennen soll. Das heißt, solche Taten von Frauen werden eben überproportional häufig, jedenfalls im Vergleich zu Männern, so angelegt, dass es eben so aussehen soll, als sei das eine natürliche Todesursache gewesen. Und weil man den Frauen in der Regel so etwas dann auch gar nicht zutrauen mag, funktioniert das dann auch.

Pokatzky: Heißt das auch, dass Frauen, insgesamt werden ja doch so 12 bis 14 Prozent aller Morddelikte von Frauen verübt, aber wie Sie eben sagten, werden sie viel weniger aufgeklärt. Verhalten sich Frauen geschickter auch im Verhör, oder sind die Vernehmer zurückhaltender als bei männlichen Verdächtigten, gehen sie da nicht so hart vor?

Harbort: Also das ist eigentlich eine Sache, die geschlechtsunspezifisch bleibt. Ich habe mit vielen Mördern und Mörderinnen gesprochen, ob jetzt nun als Kriminalist oder als Kriminalwissenschaftler, und es machte eigentlich keinen Unterschied. Sehr wohl macht es einen Unterschied, wenn die Taten als solche passiert sind und die Damen dann etwas längere Zeit im Vollzug sind, dann passiert so eine Art Entfremdung. Und dann ist es unglaublich schwierig, noch einmal einen Zugang zu schaffen. Männer sind da etwas offener, mit denen kann man da wesentlich besser drüber reden.

Pokatzky: Es gibt ja fast keine Amokläuferin, Sexualmörderinnen gibt es so gut wie gar nicht, Raubmörderinnen - wird das so bleiben oder ist in Zeiten der Gleichberechtigung, der Emanzipation der Frauen auch damit zu rechnen, dass in solchen Delikten Frauen mehr zum Zuge kommen?

Harbort: Das hoffe ich natürlich nicht, aber ich denke mal, was wir über viele Jahrhunderte hinweg beobachtet haben, dass Frauen eben wesentlich seltener zu tödlicher Gewalt neigen als Männer, das wird auch in den nächsten Jahrhunderten so bleiben. Aber wir haben ja auch immer wieder festgestellt, dass wenn bestimmte Entwicklungen passieren, die meinetwegen gesellschaftlicher, technischer oder anderer Natur sind, dann werden möglicherweise auch neue Konfliktmöglichkeiten geschaffen, die dann Menschen dazu bringen, tödliche Gewalt anzuwenden.

Und ich kann nicht prognostizieren, ob das nicht für Frauen in dem einen oder anderen Teilbereich auch so sein wird, wie wir es beispielsweise in den vergangenen Jahren bei Frauen erlebt haben, die vermehrt ihre eigenen Kinder oder Patienten in Serie töten. Das hat es in den Jahrzehnten davor, jedenfalls in dieser Häufigkeit, nicht gegeben.

Pokatzky: Woran liegt es, dass Frauen grundsätzlich weniger zum Töten bereit oder auch fähig sind als Männer?

Harbort: Ja, also ich denke mal, das hat damit zu tun, dass Frau und Mann sich doch in vielen Dingen grundsätzlich unterscheiden. Frauen denken, fühlen, handeln anders, haben eine andere Sexualität, haben insbesondere auch ein differenzierteres, zurückhaltenderes Verhältnis zur Macht. Und Frauen haben möglicherweise auch gar nicht diese Entfaltungsmöglichkeiten krimineller Art. Sie haben eine soziale Rolle, die in erster Linie auf Mutterpflichten und Pflichten als Ehefrau beschränkt ist. Das ändert sich jetzt sicherlich in den nächsten Jahren, hat sich auch vorher schon geändert. Aber das sind alles Rahmenbedingungen, die dazu beitragen können, dass Frauen eben weniger delinquent werden.

Aber ich muss gestehen, und da lässt uns die Wissenschaft auch so ein bisschen im Stich, warum Frauen letztlich seltener zur Gewalt neigen, ist bisher nicht vollständig erklärt worden.

Pokatzky: Danke an Stephan Harbort, Kriminalkommissar in Düsseldorf. Heute Abend also um 21 Uhr gibt es die erste Folge der ARD-Reihe "Wenn Frauen morden". Die weiteren Folgen dann am 19. Januar "Der Enzianmord" um eine Blausäurevergiftung aus dem Jahr 1967 und am 26. Januar eben das "Blaubeer-Mariechen" über eine fünffache Mörderin aus Mönchengladbach.