Frauen auf der Flucht

Asylbewerberin mit Kind auf dem Gelände der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt
Asylbewerberin mit Kind auf dem Gelände der Zentralen Ausländerbehörde des Landes Brandenburg in Eisenhüttenstadt © picture alliance / ZB / Patrick Pleul
Heike Geisweid im Gespräch mit Frank Meyer · 19.04.2013
Der Umgang mit Frauen, die aus ihrer Heimat geflohen sind, könnte in den deutschen Behörden "deutlich sensibler" sein, sagt die Bochumer Rechtsanwältin Heike Geisweid. Bei einer Anhörung müssten die Asylbewerberinnen ausführlich berichten, was ihnen widerfahren sei. Dazu seien sie aber oft nicht in der Lage.
Frank Meyer: Viele Frauen fliehen aus den gleichen Gründen wie Männer aus ihrer Heimat, weil sie aus politischen oder rassistischen Gründen verfolgt werden. Aber bei Frauen gibt es sehr oft noch andere Gründe. Sexuelle Gewalt gegen sie oder weil sie als Frauen diskriminiert werden. Die erste Frauenflüchtlingskonferenz in Deutschland will solche Frauen ermutigen, sich hier für ihre Rechte stark zu machen. Dorothea Jung stellt Ihnen ein Beispiel vor:

Einspieler: Porträt einer Flüchtlingsfrau

Frank Meyer: Und für Frauen wie Napoli Paulonga setzt sich Heike Geisweid ein, sie ist Rechtsanwältin in Bochum mit dem Spezialgebiet Asylgesetzgebung. Heike Geisweid vertritt viele Frauen vor allem aus dem Iran und dem Irak, aus der Türkei und aus Syrien. Seien Sie uns willkommen, Frau Geisweid!

Heike Geisweid: Hallo!

Meyer: Wir haben ja gerade im Fall von Napoli Paulonga gehört, dass ihre Wahrnehmung war, dass sich die deutschen Behörden für ihre Geschichte überhaupt nicht interessieren. Was erzählen Ihnen denn die Frauen, die Sie vertreten, über den Umgang der deutschen Behörden mit ihnen.

Geisweid: Ich denke, ein Problem ist wirklich, dass der Umgang wenig sensibel ist. Also, es gibt bestimmte Verbesserungen im Rahmen der Anhörung beim Bundesamt, das ist da, wo die Asylanträge gestellt werden und die Interviews geführt werden. Es könnte aber deutlich sensibler sein für Frauen, die geflohen sind.

Viele sind traumatisiert, sexualisierte Gewalt haben die erlebt, und da passt so eine Anhörung, die irgendwie in eineinhalb Stunden über die Bühne gehen muss, passt natürlich ganz schlecht in eine Situation und dazu einer Situation, wo Frauen ausführlich erzählen müssen, was ihnen widerfahren ist, um ihr Asylanliegen glaubhaft machen zu können.

Meyer: So weit ich weiß, müssen die geflohenen Frauen ja, wenn sie als Asylgrund sexuelle Verfolgung, sexuelle Gewalt angeben, müssen sie dann beweisen, dass sie vergewaltigt wurden zum Beispiel. Wie sollen sie das eigentlich beweisen?

Geisweid: Also, es muss nicht bewiesen werden im klassischen Sinne, sondern die Aussage oder der Aussage kommt Beweiswert zu. Das heißt, eine Aussage, die glaubhaft ist, beweist den vorgetragenen Sachverhalt. Die Anforderungen an eine glaubhafte Aussage sind allerdings sehr hoch. Das heißt, sie müssen detailreich, widerspruchsfrei, sinnfällig, umfangreich sein. Und das fällt Frauen – das fällt natürlich allen Flüchtlingen schwer, über traumatisierende Erlebnisse zu sprechen – aber Frauen über sexualisierte Gewalt umso mehr. Und die meisten Frauen, die hierhin kommen, haben in einer Form, nicht zwangsweise Vergewaltigung, aber auf jeden Fall sexualisierte Übergriffe erlebt.

Meyer: Und wie muss man sich dann die Umgebung dafür vorstellen, für eine solche Aussage? Wie viele Menschen sind da dabei? Weil Sie auch von einer mangelnden Sensibilität gesprochen haben.

Geisweid: Das ist eine kleine Gruppe. Das ist ein Anhörer, eine Anhörerin, und ein Dolmetscher, Dolmetscherin, und eventuell noch ein Vertrauensdolmetscher oder eine Anwältin oder ein Anwalt, die dabeisitzen. Das Problem ist nur, die Entscheider haben verschiedene Fälle, die müssen die abarbeiten, und dann müssen auf die Frage Was ist Ihnen denn passiert? müssen Antworten kommen. Und wenn Frauen sich schwer tun, und es ist – den meisten fällt es sehr schwer, darüber zu reden – die machen Andeutungen. Und dann müsste eigentlich nachgefragt werden oder müsste geguckt werden, gibt es bestimmte Verhaltensweisen oder treten irgendwelche psychosomatische Krankheiten auf, die darauf hindeuten könnten. Es müsste nachgefragt werden, und das passiert oft leider nicht.

Meyer: Wie können Sie als Rechtsanwältin da helfen?

Geisweid: Indem wir die Frauen vorbereiten. Das heißt, wir besprechen das Asylverfahren vor, versuchen auch, auf solche Hinweise zu achten, weil natürlich Frauen uns auch nicht von vornherein erzählen, was alles passiert ist. Aber es gibt bestimmte Begrifflichkeiten, jetzt bei den Frauen aus dem türkisch-kurdischen Kulturkreis, wenn die von In-Ohnmacht-Fallen sprechen, dann ist in der Regel irgendwie ein Ereignis, das meistens in die sexualisierte Gewalt hineingeht, der Vorgänger, und das wird dann nicht erzählt, wenn man nicht drüber sprechen will, und dann kann nachgefragt werden, vorsichtig.

Das kann dem Bundesamt im Vorfeld mitgeteilt werden, sodass darauf bestanden wird, dass weiblich Dolmetscher herangezogen werden und auch weibliche Entscheiderinnen, sodass schon mal eine andere Situation vorherrscht vor Ort. Weil bei männlichen Dolmetschern ist ganz klar, die meisten Frauen werden auf gar keinen Fall darüber reden. Und das Bundesamt kann insofern vorbereitet werden, als dass gesagt wird, sexualisierte Gewalt steht im Vordergrund. Mit den Frauen kann vereinbart werden, sie sprechen, so weit es geht und brechen dann ab, wenn es nicht mehr weitergeht. Es kann vereinbart werden, dass das Protokoll von mir nicht herausgegeben wird, sodass nicht Verwandte, die des Deutschen mächtig sind, das vielleicht lesen können, oder das Protokoll so zusammengestückelt wird, dass man über diese traumatisierenden und Vergewaltigungsszenen nichts lesen kann und trotzdem nicht auffällt, dass es da fehlt. Das kann man alles ein bisschen vorbereiten, dass die Frauen sich ein bisschen sicherer fühlen und sich in der Lage sehen, darüber zu sprechen.

Meyer: Es ist ja – seit 2005 wird in Deutschland eine frauenspezifische Verfolgung als Fluchtgrund anerkannt. Was verstehen unsere Behörden denn überhaupt darunter, frauenspezifische Verfolgung?

Geisweid: Das ist jegliche Form von Verfolgung, die am Geschlecht Frau anknüpft. Das sind alles diese klassischen Ehrenmorde, das sind Diskriminierung aufgrund des Frauseins, das Bestrafen mit frauenspezifischen Verhaltenskodexen, sicherlich auch sexualisierte Gewalt – das ist sozusagen alles, was damals nicht in die klassische politische Verfolgung passte, weil das Anknüpfen am Geschlecht ist nicht zwangsläufig politische Verfolgung. Und was früher nur mit Abschiebeverboten, wo man nur Abschiebeverbote bekommen konnte, und jetzt ist das mit einer Stufe von politischer Verfolgung gerückt worden, was ein wichtiger Schritt war damals. Ändert aber nichts daran, dass natürlich jede Betroffene Frau auch diese Form der Verfolgung glaubhaft machen muss im Rahmen der Aussage.

Meyer: Ja, würden Sie eben sagen, dass bisher im Prinzip bisher nur auf dem Papier steht diese Anerkennung von frauenspezifischer Verfolgung oder wird das in größerem Maß tatsächlich umgesetzt und dann tatsächlich dieser Fluchtgrund anerkannt?

Geisweid: Ich sag mal so: Wenn früher Frauen glaubhaft machen konnten, dass sie sexualisierter Gewalt ausgesetzt waren, dann haben sie Abschiebeschutz bekommen. Das war nicht der Flüchtlingspass. Das war im Heimatpass ein Abschiebeverbot. Der Status – also damals ist es anerkannt worden, heute ist es anerkannt worden, der Status ist eindeutig ein besserer, der heute aufgrund der Anerkennung passiert. Und der ist auch richtig. Also dass es auf der Ebene, nämlich Flüchtlingspass mit der entsprechenden Aufenthaltserlaubnis, Arbeitserlaubnis, Möglichkeit, Kinder im Rahmen des Familienabschiebeschutzes oder Familienasyl hierhin zu holen und so weiter. Das ist eine deutliche Verbesserung.

Meyer: Wir haben hier im Deutschlandradio Kultur immer wieder auch berichtet auch über den Widerstand von Flüchtlingen, unter anderem in letzter Zeit über den Protestmarsch nach Berlin. Und da fiel auf, dass unter den Protestierenden, dass das fast alles Männer waren. Das ist ja auch ein Thema bei der Frauenflüchtlingskonferenz in Hamburg, die heute begonnen hat, die Frauen ermutigen will, sich auch als Flüchtlinge hier in Deutschland einzusetzen für ihre eigenen Rechte. Woran liegt das denn Ihrer Meinung nach, dass Frauen da so wenig hörbar sind bei diesem Protest von Flüchtlingen?

Geisweid: Ja, zum einen kommen weniger Frauen in die westlichen, westeuropäischen Länder. Die meisten Frauen fliehen in die Nachbarländer der Verfolgerländer. Das heißt, wir haben mehr Männer hier unter den Flüchtlingen. Und dann sind Frauen einfach aufgrund ihrer gesellschaftlichen Stellung, wenn sie hier mit Familie sind, natürlich auch mit der Versorgung der Kinder und mit Familienaufgaben betraut, was sie so ein bisschen hindert, sich aktiv zu betätigen.

Die Frau Paulonga ist allein hierhin gekommen und war schon vorher aktiv. Die hat also viel mehr Möglichkeiten, sich zu betätigen. Dazu kommt, dass viele Frauen, die ich jetzt auch vertrete, einen niedrigeren Bildungsstand haben als die Männer, das heißt, denen fällt es auch noch mal schwerer. Die Sprachbarriere ist für alle da, aber es ist natürlich leichter, eine fremde Sprache zu erlernen, wenn ich schon mal eine Sprache gelernt habe. Ja, und viele sind eingebunden in Familie. Also nicht allein lebend, und das heißt, sie müssen sich gegen die Familie und die Vorstellung, wie haben Frauen sich zu verhalten, dem entgegensetzen und sich dann noch die Interessen als eigene Interessen wahrnehmen und das zu artikulieren. Das fällt vielen Frauen schwer, weil sie aufgrund ihres bisherigen Lebens da auch immer eine andere Position hatten in der Gesellschaft.

Meyer: Und diese Frauen will die Frauenflüchtlingskonferenz trotz allem ermutigen, sich für ihre Rechte einzusetzen. Über die Lage von geflohenen Frauen in Deutschland haben wir mit Heike Geisweid gesprochen. Sie ist Rechtsanwältin in Bochum mit dem Spezialgebiet Asylrecht. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Geisweid: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Links auf dradio.de:
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