Französische Bestsellerautorin Benoîte Groult ist tot

Die befreite Frau

Die französische Schriftstellerin Benoite Groult ist im Alter von 96 Jahren verstorben.
Die französische Schriftstellerin Benoîte Groult ist im Alter von 96 Jahren gestorben. © dpa/picture-alliance/Hubert Link
Von Tobias Wenzel · 21.06.2016
Die Franzosen nahmen sie vor allem als Feministin wahr, die Deutschen zuallererst als Autorin des Bestseller-Romans "Salz auf unserer Haut": Benoîte Groult. Die Schriftstellerin ist jetzt im Alter von 96 Jahren gestorben.
Doëlan, ein malerisches Hafenstädtchen in der Bretagne. Hier, in einem Feldsteinhaus, umgeben von einem üppigen, aber gepflegten Garten, vom Hafen nur durch eine Mauer getrennt, mit Aussicht auf Segelboote, auf einen Leuchtturm und das Meer, verbrachte die französische Schriftstellerin und Feministin Benoîte Groult die schönsten Tage des Jahres. Im Blick immer ihre Blumen:
"Die da heißt Vittadinia. Sie wächst auf Stein. Sie vertrocknet nicht, scheint kein Wasser zu brauchen, keine Sonne, ist sehr robust. Einfach wunderbar! Ein Gärtner hat mir gesagt: 'Dieses Unkraut da mache ich Ihnen weg.' Und ich: 'Nein! Das lassen Sie! Das wächst so schön von allein.' Und da unten wächst Fenchel."
Da unten, am Wasser. Das Wasser, das Meer war bis zuletzt Benoîte Groults große Leidenschaft. Noch im hohen Alter war sie mit ihrem dritten und letzten Ehemann, dem Schriftsteller Paul Guimard, aufs Meer hinausgefahren, um zu fischen.
Über die Liebe zum Meer schrieb sie auch in ihrer 2010 veröffentlichten Autobiographie "Meine Befreiung". Gemeint war: die Befreiung als Frau.
Am 31. Januar 1920 wurde Benoîte Groult in Paris geboren. Erst mit 25 Jahren durfte sie zum ersten Mal zur Wahlurne gehen, denn vor 1944 waren Französinnen nicht wahlberechtigt. Und erst 1988 wurde in Frankreich das Versprechen, dem Mann zu gehorchen, aus dem Ehegelübde gestrichen.
Über diese Dinge sprach die Feministin oft, unerbittlich in der Sache. Ansonsten aber war sie, noch im hohen Alter eine herzliche, wenn auch sehr bestimmte Person und strahlte einen mit ihren hellblauen Augen an und lächelte mit diesen wohlgeformten Lippen. Wohlgeformt war der Mund, in den Augen ihrer Mutter, nicht immer:
"Ich hatte den Mund immer etwas geöffnet. Und da ich einen recht dicken Mund für ein kleines Mädchen hatte, forderte mich meine Mutter unaufhörlich auf, in den Salons, überall, die Wörter 'pomme, prune, pouce' zu sagen, weil so die Lippen einen Mund mit Herzform bilden, wie es damals ein Mädchen haben sollte, um den Männern zu gefallen und sich zu verheiraten. Das hat mich sehr verletzt. Denn wenn meine Mutter 'pomme, prune, pouce' sagte, sahen mich die umher stehenden Leute an, als wäre ich zurückgeblieben oder seltsam."
Damals tat Benoîte Groult alles, was ihre Eltern - der Vater ein Innenarchitekt, die Mutter eine erfolgreiche Modedesignerin - von ihr verlangten, war ein geradezu willenloses Mädchen, das sich für alte Sprachen interessierte und bei den Männern nicht ankam.
Das sollte sich aber bald ändern. Sie arbeitete als Radiojournalistin, entdeckte Anfang der 1970er-Jahre den Feminismus als ihre Sache, schrieb gemeinsam mit ihrer Schwester Bücher, darunter 1963 das "Tagebuch vierhändig", das in Frankreich Aufsehen erregte.

Freizügige Liebesgeschichte wird zum Bestseller

1988 dann veröffentlichte Benoîte Groult jenen Roman, der zum Überraschungsbestseller wurde: "Salz auf unserer Haut", eine freizügig erzählte Liebesgeschichte zwischen einem gebildeten Pariser Mädchen und einem Fischer aus der Bretagne:
"Ich wollte diese Liebesgeschichte erzählen, ohne auf Metaphern zurückzugreifen, deren sich die Frauen bedienen, wenn sie über ihre Sexualorgane und ihre Lust sprechen. Ich wollte die Dinge beim Namen nennen. Nun wirken die Namen für die weiblichen Sexualorgane aber irgendwie obszön, unappetitlich, gerade nicht poetisch, wie ich es wollte. Nehmen Sie das unerträgliche Wort 'Vagina'. In der Metro habe ich eine Werbung für das Theaterstück 'Vagina-Monologe' gesehen und war schockiert. Zu Hause habe ich meinen Töchtern davon erzählt. 'Aber Mama, du bist doch Feministin! Hätte da Phallus-Monologe gestanden, hättest du gedacht: Mensch, das klingt aber interessant!'"
Der Roman "Salz auf unserer Haut" ist, wie auch die anderen Romane der Autorin, seichte Kost und literarisch unbedeutend. Es ist klischeebehaftete Unterhaltungsliteratur, in der sich unstimmige und schwülstige Metaphern finden, obwohl Groult ja genau das hatte vermeiden wollen. Aber die Geschichte einer Liebe, die auf sexuellem Verlangen fußt und an Moralvorstellungen rührt, hatte allein in Deutschland vier Millionen Leser, vor allem Leserinnen.

Sexuelle Freiheit war ihr sehr wichtig

Anspruchsvoller und hochinteressant waren dagegen Benoîte Groults Sachbücher. Das gilt auch für ihre Autobiografie "Meine Befreiung". Darin lüftet sie das Geheimnis, wer das Vorbild für jenen bretonischen Fischer abgab, in den sich ihre Romanfigur verliebte. Der Geliebte der Autorin war kein Fischer gewesen, sondern ein jüdischer Pilot, der aus dem Nazi-Deutschland in die USA floh. Bis zu dessen Tod hielt die Liebe, obwohl beide verheiratet waren. Aber Benoîte Groult und ihr letzter Ehemann hatten sich ohnehin auf eine offene Ehe geeinigt.
Auch die sexuelle Freiheit war Benoîte Groult sehr wichtig. Gern erzählte sie von ihren Liebesabenteuern, suchte in der Erinnerung das, was ihr als Frau in ihren 90ern nicht mehr möglich war:
"Jeden Tag erlebe ich etwas Neues, aber nie etwas Gutes. Wenn mir jemand am Flughafen oder im Zug mit meinem Koffer hilft, dann eine Frau. Für Männer ist man in meinem Alter Luft, man ist keine Frau mehr, nicht mal mehr ein Mensch. Anderseits habe ich Glück: Ich kann immer noch mit dem Fahrrad durch Paris fahren, um meine Töchter zu besuchen. Ich laufe, ich sehe klar, ich gehe nicht am Stock. Deshalb sage ich gern: Solange ich lebe, kriegt mich der Tod nicht."
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