Franz Marcs "Der Turm der blauen Pferde"

Der Mythos um ein verschollenes Gemälde

Eine Besucherin schaut sich im März 2017 in der Ausstellung "Vermisst. Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc" im Haus Waldsee in in Berlin die Installation und Zeichnungenserie "High Mountains, a Rainbow, the Moon and Stars" aus dem Jahr 2016 von Marcel van Eeden an.
Ausstellung "Vermisst. Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc" im Haus am Waldsee in Berlin © picture alliance / dpa / Maurizio Gambarini
Von Claudia Wheeler · 02.03.2017
"Der Turm der blauen Pferde" von Franz Marc ist eines der Schlüsselwerke des Expressionismus. Unter den Nazis galt es als "entartet", in der Nachkriegszeit verlieren sich seine Spuren. Den Mythen, die sich darum ranken, widmet sich eine Ausstellung in Berlin und München.
Ausschnitt Hörspiel von Remy Markowitsch: "Aber eben, vielleicht sind wir aus dem Rahmen geschritten?" - "Der Herrmann war so sweet, wenn der allein war mit uns und seine Tränchen vergoss, weil er uns so mochte, …"
Die Pferde auf dem Bild von Franz Marc unterhalten sich. In der Audio-Installation von Remy Markowitsch reden sie über ihre unfreiwillige Teilnahme an der Ausstellung "Entartete Kunst" 1937 in München. Sie versuchen zu rekonstruieren, wem sie alles begegnet sind – an Hermann Göring können sie sich noch ganz genau erinnern, der hatte sie doch nach der Münchner Ausstellung beiseitegeschafft. Na klar, er wollte sie gegen Devisen ins Ausland verkaufen. Hat aber nicht geklappt.
Dann verschwimmen die Erinnerungen, es wird wild herumdiskutiert, Gerüchte werden geschürt und dann wieder in Zweifel gezogen. Die Geschichte um das Verschwinden eines der Schlüsselwerke des Expressionismus bleibt verworren. Drei Zeugen wollen das Bild zwischen 1945 und '49 in Berlin gesehen haben. Zuletzt im Bezirk Zehlendorf, wo sich auch das Haus am Waldsee befindet. Das waren nicht irgendwelche Zeugen, sondern Menschen aus dem Kulturbetrieb, teilweise in hohen Ämtern. Doch nirgends findet sich eine Notiz. Katja Blomberg, Leiterin des Hauses am Waldsee:
"Es ist für uns ein Rätsel, warum die Zeugen, die das Gemälde nach dem Krieg gesehen haben wollen, dieses nicht verschriftlicht haben. Unter Fachleuten ist das wie eine stille Post weitergegeben worden. Und Heinz Ohff, der Kulturredakteur des Tagesspiegels, schreibt 1977 in einem Artikel, dass Fachleute darüber sehr ungerne sprechen, weil die Angst haben, dass der jetzige Besitzer sich vielleicht nicht meldet, wenn man da zu viel Wind drum macht."
Für Katja Blomberg ist das eine fadenscheinige Erklärung.
"Dieses Schweigen betrifft ja eine ganze Generation. Und jeder war vielleicht irgendwie doch involviert, um in der Nazizeit zu überleben. Und man hat sich gegenseitig nicht belasten. Man hat gesagt, lass Gras drüber wachsen, wir wollen jetzt ein fröhliches neues Leben anfangen, in den 60er- Jahren."

Das Bild ist in seiner Abwesenheit immer anwesend

Diese ganzen Geschichten und Mythen geben den Künstlern natürlich viel Stoff. Norbert Bisky hat das Gemälde von Franz Marc eins zu eins in Öl auf Leinwand kopiert und dann zerstört. Nun liegt eine in sich zusammengebrochene, angekokelte Leinwand im Ausstellungsraum – auch ein Symbol für den Umgang der Nationalsozialisten mit avantgardistischer Kunst. Via Lewandowsky fragt sich, was wohl geschehen würde, wenn das Bild plötzlich wieder auftaucht. Er konfrontiert den Besucher mit einem ausgestopften Pferd, durchbohrt von vier Pfeilen.
Blomberg: "Es ist ja auch ein Schock. Auch mit diesen Martyriumspfeilen im Leib. Also, es ist tot und lebendig zugleich - also die Erinnerung lebt, das Bild ist nicht da, es hat sowas Ambivalentes und auch was Erschreckendes. Ich denke, wenn die Besucher hier in den Raum kommen, werden sie ein bisschen erschrecken, und ich glaube, das wäre die Reaktion, wenn wir das Bild sehen würden."
Das Bild selbst ist in seiner Abwesenheit natürlich immer anwesend. Um diesen doppelten Boden geht es in der Arbeit von Christian Jankowski. Er ließ durch das Haus am Waldsee eine Leihanfrage an die Staatlichen Museen zu Berlin stellen.
Jankowski: "Das war natürlich auch einige Überzeugungsarbeit, erst wurde uns der Vogel gezeigt von der Nationalgalerie. Die meinten: Wisst ihr denn nicht, dass das Ding schon lange verschollen ist? Aber wie geht man mit dem verloren gegangenen Gemälde um? Wie geht man mit einem Meisterwerk oder überhaupt mit Kultur um, die verloren geht? Darum geht es."

Kann ein Kunstwerk überhaupt verschwinden?

Schließlich spielte die Nationalgalerie mit und alles nahm seinen gewohnten Gang, den der Künstler in einem Video dokumentiert. Ein Leihvertrag wurde geschlossen, Versicherungsfragen geklärt. Das imaginäre Bild wurde durch Restauratoren begutachtet, von Fachpersonal verpackt und transportiert - und schließlich im Haus am Waldsee an die Wand gehängt. Zwei Dübel ragen aus der Wand. Was bleibt, ist eine Leerstelle. Christian Jankowski geht es um den Mythos, der um verlorene Kunst entsteht und vielleicht gerade deshalb weiterlebt, weil die Wenigsten das verschollene Bild je im Original gesehen haben.
"Man lebt ja auch so mit Reproduktionen und seiner Erinnerung von Gemälden und auch das Verschollene hat ja einen gewissen Reiz. Irgendwas, was nicht mehr erreichbar ist, da richtet sich die Sehnsucht hin; und das was nicht da ist wird viel stärker vermisst als das, was neben einem steht."
Und so stellt die Ausstellung auch die Frage, ob ein Kunstwerk im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit überhaupt verschwinden kann? Ist der "Turm der blauen Pferde" nicht gerade durch sein Verschwinden so extrem aufgeladen? Vielleicht werden eines Tages die blauen Pferde selbst das Geheimnis lüften.
Ausschnitt Hörspiel von Remy Markowitsch:
"Er ist tot und wir sind frei, frei, frei zu behaupten was wir wollen." - "Aber komm mal näher. Ja du. Dir verrat ich es." - "Denen?" - "Wo wir sind." - "Schnauze!" -"Der kommt doch eh nicht mehr rein." -"Ach so…"

Die Ausstellung "Vermisst. Der Turm der blauen Pferde von Franz Marc" ist zu sehen vom 3.3. bis 5.6.2017 im Haus am Waldsee in Berlin und vom 9.3. bis 5.6. in der Pinakothek der Moderne in München.

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