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Homosexualität
"Konversionstherapien müssen verboten werden"

Bis heute sind Therapien erlaubt, mit denen die sexuelle Orientierung geändert werden soll. Ein Gesetzentwurf von Gesundheitsminister Jens Spahn soll das verbieten. Stefan Mielchen vom Verein Hamburg Pride begrüßte im Dlf die Initiative: "Umpolungsversuche machen die Menschen krank."

Stefan Mielchen im Gespräch mit Sarah Zerback | 23.02.2019
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Therapien, mit denen die sexuelle Orientierung geändert werden soll, stützten Menschen häufig noch tiefer in eine Krise, sagt Stefan Mielchen vom Verein Hamburg Pride (Westend 61 | imago)
Sarah Zerback: Homosexualität ist keine Krankheit, die man therapieren kann. Dass man das so deutlich sagen muss in Deutschland im Jahr 2019, ist eigentlich unglaublich, und doch nötig. Denn bis heute sind sogenannte "Konversionstherapien" hierzulande erlaubt, also Pseudotherapien, mit denen die sexuelle Orientierung geändert werden soll. Das will Gesundheitsminister Jens Spahn nun ändern und bis zum Sommer einen entsprechenden Gesetzentwurf erarbeiten, der das dann verbietet. Darüber können wir jetzt sprechen mit Stefan Mielchen vom Verein Hamburg Pride, der Vorurteile und Diskriminierungen gegenüber Lesben, Schwulen, Bi-, Trans- oder Intersexuellen abbauen möchte. 2019 schreiben wir. Wie verbreitet sind solche Pseudotherapien bei uns in Deutschland noch?
Stefan Mielchen: Sie sind verbreitet, ich kann Ihnen tatsächlich aber nicht mit konkreten Zahlen dienen, denn das fällt ja häufig in einen Bereich, den man schlecht erfassen oder fassen kann. Aber ich finde, es kommt gar nicht so sehr auf die Quantitäten an, sondern jeder Fall ist einer zu viel. Und insofern ist die Initiative von Jens Spahn dringend notwendig.
Zerback: Also schwer zu sagen ist das auch deshalb, weil nicht überall Konversionstherapie drauf steht, wo dann auch tatsächlich dieses Anliegen, diese Maßnahmen umgesetzt werden sollen?
Mielchen: Ganz genau. Das trifft ja häufig christliche Organisationen, evangelikale Organisationen wie "Wüstenstrom", die "Offensive junger Christen" und wie die alle heißen. Und da geht es um vermeintliche Hilfe, und da wird nicht gleich gesagt, wir müssen dich gesund machen, du bist krank, du bist nicht normal. Das macht es ganz schwierig, diesen Bereich wirklich offenzulegen.
Therapien "stürzen Menschen häufig in tiefere Krise"
Zerback: Wie genau muss man sich denn eine solche Therapie in Anführungsstrichen vorstellen? Was wird da gemacht?
Mielchen: Da gibt es ganz unterschiedliche Dinge. Man spricht von Gesprächen und Gebeten, aber es geht hin bis zu tatsächlich Exorzismen und ähnlichen Dingen. Es gibt da die absurdesten Methoden. Es hat im vergangenen oder vorvergangenen Jahr eine Reportage des NDR gegeben, wo mit versteckter Kamera ein Arzt in Hamburg zum Beispiel gefilmt wurde. Das kann man sich eigentlich nicht wirklich vorstellen. Es stürzt Menschen, die in solche vermeintliche Therapien kommen, häufig dann in eine noch tiefere Krise, als sie ohnehin schon sich befinden. Das trifft ja Menschen, die mit sich nicht im Reinen sind, die unsicher sind, die glauben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Und das wird dadurch natürlich noch extrem verstärkt.
Zerback: Das wäre jetzt auch meine Frage. Ist das der Grund, warum es tatsächlich immer noch Menschen gibt, die sich einer solchen Prozedur ja auch unterziehen, mehr oder weniger freiwillig, würde ich jetzt mal sagen?
Mielchen: Ja, freiwillig schon. Aber häufig ist es einfach so, dass sie gedrängt werden, zum Beispiel junge Menschen von ihren Eltern, oder ich sag mal, von Mitchristen in ihren Gemeinden, oder von anderen Menschen, denen sie vertrauen, die sagen, geh doch mal in eine solche Therapie. Du kommst da als besserer oder als anderer Mensch heraus. Und gerade, wenn es darum geht, in einem solchen Vertrauensverhältnis zu sein, dann ist das natürlich besonders perfide. Menschen im Coming-out sind halt in einer besonderen Situation – das trifft junge wie Alte übrigens, und nicht nur junge Menschen, sondern eben auch Erwachsenen –, und die suchen im Zweifel nach einem Strohhalm, um aus ihrer Unsicherheit befreit zu werden. Und deshalb ist es wichtig, gerade in solchen Situationen Menschen zu stärken, in ihrer Identität zu stärken, und ihnen nicht einzureden, dass sie krank oder widernatürlich seien.
"Therapien oder Umpolungsversuche machen krank"
Zerback: Und genau das wird ja in solchen Therapiesitzungen gemacht. Was bedeutet das für die Betroffenen?
Mielchen: Das ist schon eine ernsthafte Geschichte. Die Weltgesundheitsorganisation hat zum Beispiel – der Weltärtzebund, Entschuldigung, hat bereits 2013 darauf hingewiesen, dass solche Therapien ausgesprochen schädlich sein können. Das führt hin bis zu Depressionen oder erhöhter Suizidalität. Das macht krank, und das macht diese Therapien oder Umpolungsversuche auch so gefährlich.
Zerback: Wir haben jetzt schon drüber gesprochen, wie schwierig das ist, solche Therapien, solche Pseudotherapien überhaupt als solche zu identifizieren. Das hat ja letzten August auch der Gesundheitsminister gesagt, Jens Spahn auf Facebook. In einer sogenannten Sprechstunde hat er eben User aufgefordert, ihm Vorschläge zu schicken, wie man diese Konversionstherapien verbieten könnte, weil das eben so schwierig sei. Was würden Sie ihm denn da raten, was dann in diesen Gesetzentwurf rein muss, den er im Sommer vorlegen möchte?
Mielchen: Ich bin kein Jurist, um das dazuzusagen, das macht mir das Ratgeben ein bisschen schwerer. Aber es muss auf jeden Fall ein Verbot dieser Therapien geben, das ist ganz klar. Und es dieses Verbot muss auch strafbewehrt sein. Es muss ernsthafte Konsequenzen für diejenigen haben, die hier auftreten und behaupten, sie könnten jemanden von seiner sexuellen Orientierung heilen. Das ist nicht möglich, das ist wissenschaftlich belegt, dass dies nicht geht. Und deshalb müssen solche Versuche bestraft werden, und zwar ernsthaft und nicht nur mit einem kleinen Bußgeld belegt. Denn ich glaube, spätestens dann, wenn es ernsthafte Strafen gibt, wenn es auch berufsrechtliche Konsequenzen hat, dann werden sich Ärzte und Therapeuten gut überlegen, ob sie das riskieren wollen.
Malta: "katholisch aber fortschrittlich"
Zerback: Vielleicht könnte Malta da ja auch ein Vorbild sein. Das war 2016 das erste europäische Land, das diese Art der Therapie verboten hat. Da stehen Strafen bis zu 5.000 Euro oder eben auch fünf Monate Haft an für den Versuch, die sexuelle Orientierung zu ändern. Wäre das etwas, was auch Ihnen vorschweben könnte?
Mielchen: Das geht genau in diese Richtung. Malta ist in der Hinsicht, was die Rechte von Homosexuellen, Intersexuellen, Transsexuellen angeht, sowieso ein sehr fortschrittliches Land, ein übrigens auch sehr katholisches Land. Und da kann man sich vieles abschauen, und das ist ein Vorschlag, der in genau die richtige Richtung geht. Es hat sich auch das Europäische Parlament 2018 mit großer Mehrheit für ein Verbot dieser Therapien ausgesprochen, und deshalb steht das jetzt dringend an.
Zerback: Jetzt also auch Deutschland, im Sommer. Wie erklären Sie sich denn, dass noch im letzten Juli das Gesundheitsministerium unter Jens Spahn erklärt hat, dass sie kein Verbot plane?
Mielchen: Das müsste man Jens Spahn natürlich selbst fragen. Ich finde es interessant, dass es jetzt diese Wendung gibt. Wobei man sagen muss, die Ankündigung eines Gesetzentwurfs ist eben noch kein Gesetz, das ist ganz klar. Es hat zuletzt eine Onlinepetition gegeben mit über 80.000 Unterschriften. Möglicherweise hat dies das Umdenken befördert im Ministerium. Aber wie Sie sagen, es hat noch im letzten Sommer eine Anfrage im Bundestag gegeben, auf die das Gesundheitsministerium ablehnend reagiert hat und gesagt hat, das brauchen wir nicht, das wollen wir nicht, das planen wir nicht. Deshalb, es ist sehr zu begrüßen, dass hier jetzt etwas passiert. Jens Spahn sagt ja auch selbst, es hat auch etwas mit seiner Homosexualität zu tun. Das wird ihm teilweise auch vorgeworfen. Aber an der Stelle muss man einfach auch sagen, da handelt der Minister, wenn er es denn durchzieht, tatsächlich richtig, und da ist seine eigene Befindlichkeit überhaupt kein Thema.
Rhetorik trägt zu "antihomosexuellen Klima" bei
Zerback: Das war der Hashtag "Homo braucht keine Heilung", der da in dieser Petition so viele Unterschriften ja auch generiert hat. Glauben Sie denn jetzt, dass das tatsächlich, was der Minister da plant, gesellschaftlicher und eben auch politischer Konsens ist? Oder erwarten Sie da Streit um den Gesetzentwurf, wenn er in die Abstimmung kommt?
Mielchen: Dass das gesellschaftlicher Konsens ist, das glaube ich schon. Es gibt eine Mehrheit, die genauso empfindet und sagt, Homosexualität ist keine Krankheit. Das glaube ich schon. Ich glaube allerdings auch, dass es Widerstände geben wird, denn die Homo-Heiler in Anführungszeichen, die sitzen in evangelikalen Organisationen, in Freikirchen, aber auch zum Beispiel in einer Bewegung wie der "Demo für alle". Es gibt die Publizistin Birgit Kelle, die in dem Bereich sehr aktiv ist. Also, da gibt es Menschen und Organisationen, die sehr rege sind und auch tatsächlich politisch und gesellschaftlich sehr gut vernetzt sind. Zuletzt hat zum Beispiel Kardinal Müller gesagt, kein Mensch wird gottgewollt als Homosexueller geboren, sondern als Mann und Frau. Das trifft also auch die Katholiken. All dies trägt zu einem antihomosexuellen Klima bei. Das ist nicht mehrheitsfähig, aber ich kann mir vorstellen – zumal ja auch in der Union viele Menschen sehr christlich orientiert sind, dass das nicht so glatt durchgeht, ohne dass sich da nicht noch irgendwo Widerstand regt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.