Frankreich und die EU

Dampf abgelassen

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Demonstration von Pariser Studenten gegen den Front National nach der Wahl zum Europäischen Parlament © dpa / picture alliance / MAXPPP
Von Burkhard Birke · 31.05.2014
Frankreich, das eine tief sitzende Angst vor dem Erfolg der Rechtsextremen hat, könnte zu Europas Bremser werden. Es wird Zeit für den Präsidenten François Hollande, dringende Sozial- und Wirtschaftsreformen einzuleiten.
Packen wir es an: Wir brauchen mehr Europa und mehr Verständnis für und über Europa!
Der deutsch-französische Europa-Motor droht zu stottern: Der fulminante Sieg der rechtsextremen Front National bei der Europawahl wirkt wie eine undichte Zylinderkopfdichtung: Die Bevölkerung hat Dampf über ihre unfähigen und korrupten Eliten abgelassen, mit der Gefahr, dass die europäische Integration verlangsamt und teilweise zurückgenommen wird.
Statt das europäische Zusammenwachsen zu beschleunigen, könnte das bislang reformunwillige Frankreich zu Europas Bremser werden und befindet sich dabei in schlechter Gesellschaft: Die Briten mit der Independence Party als strahlendem Sieger, die Dänen und die Österreicher haben zu einem Viertel den Euroskeptikern bei dieser Wahl das Vertrauen ausgesprochen. Das Misstrauensvotum gegen die EU bestätigen auch Beppe Grillo mit seinen "cinque stelle" und extreme Parteien in Griechenland, den Niederlanden, Ungarn ...
Überall haben bei teils unterirdisch schlechter Wahlbeteiligung die Kritiker und Skeptiker Europas gepunktet, auch in Deutschland scheint die "Alternative für Deutschland" als Partei erst einmal etabliert. Jeder fünfte Europaabgeordnete ist künftig diesem Lager zuzurechnen. Ob es den Populisten gelingt, eine Fraktion zu bilden, bleibt angesichts starker Divergenzen und Nuancen abzuwarten.
Hinzu kommt eine Fülle an Einzelkämpfern und Exoten gerade nach dem Fall der Prozenthürde in Deutschland. Klar scheint: Eine Prozentklausel wäre auf europäischer Ebene ebenso angebracht wie die endgültige Vereinheitlichung des Wahlrechts.
Natürlich behalten die Pro-Europäer insgesamt die Mehrheit. Sie müssen jedoch Koalitionen schmieden. Und da beginnt der Ärger und Streit – etwa um das Amt des Kommissionspräsidenten.
Da treten Parteien erstmalig mit Spitzenkandidaten für diesen Posten an und einige Staats- und Regierungschefs haben nichts Besseres zu tun, als den Anspruch Jean-Claude Junckers von der stärksten, der EVP-Fraktion, in Frage zu stellen!? So viel zu mehr Demokratie und Transparenz in der EU.
Hollande schaut nach der Rechten
Da fordert ein sichtlich betroffener François Hollande ein anderes Europa für mehr Wachstum und Beschäftigung und denkt an Renationalisierung. Statt zu Hause nach dem Rechten schaut Frankreichs Präsident nach der Rechten: Ein Kommunalwahlrecht für Nicht-EU-Ausländer, als großes Reformprojekt angekündigt, wird flugs beerdigt. Die Angst vor der Front National sitzt tief.
Zeit, aus der Schockstarre aufzuwachen, und endlich dringende Sozial- und Wirtschaftsreformen im Land einzuleiten, um die Grande Nation mit derzeit zweistelligen Arbeitslosenraten wieder auf Wachstumskurs zu bringen.
Hollande sollte von Renzi in Italien lernen: Der ist noch nicht lange im Amt, hat aber einen konsequenten Reformkurs eingeleitet und ist bei der Wahl bestätigt worden.
Frankreichs Sozialisten können doch nur gewinnen: Denn die konservative UMP, die Partei von Ex-Präsident Sarkozy, dem Verkünder einer tadellosen Republik, hat nach einem Selbstzerfleischungsprozess um die Führung nun einen existenzbedrohenden Wahlkampffinanzierungsskandal an der Backe.
Da ist der steuerhinterziehende sozialistische Finanzminister ja schon fast in Vergessenheit geraten. Es ist jedoch kein Wunder, dass Frankreichs Bevölkerung von den offensichtlich unfähigen, machtverliebten Eliten enttäuscht ist und sich der Front National zuwendet.
Marine Le Pen, die die Partei vom Poltergeist ihres Vaters verbal befreit hat, lacht sich ins Fäustchen und fordert: raus aus dem Euro, zurück zu den Grenzen, Stopp der Immigration. Und genau an diesen unrealistischen Forderungen sollten die Pro-Europäer ansetzen. Dieses Europa muss besser erklärt und demokratischer werden.
Frieden ist keine Selbstverständlichkeit, wie man in der Ukraine sieht, aber ein Verdienst der EU: Und die sollte stärker und resoluter für Frieden eintreten.
Eine neue Führung mit starken Persönlichkeiten
Der Euro war nicht das Problem, sondern die hohe Schuld vieler Mitgliedsstaaten. Dank des Euro haben wir eine Solidargemeinschaft, die stabilisiert. Die Solidarität darf aber nicht bei der Rettung – leider systemrelevanter – Banken durch Abermilliarden Halt machen, sie muss auch in der Flüchtlingspolitik und vor allem bei der Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit gelten. Europa braucht ein Wachstumsprogramm und eine starke Führung. Es geht nicht an, dass sich die großen Staaten immer nur die bequemsten Jasager wie Barroso und Co. nach Brüssel setzen.
Die neuen Führungsjobs in der EU müssen das Wahlergebnis respektieren und neuen starken Persönlichkeiten die Chance geben, dieses Europa zu prägen. Weshalb kann nicht der polnische Außenminister Sikorski neuer Außenbeauftragter für die blasse Ashton werden? Weshalb nicht ein Bundesbankpräsident Weidmann Leiter der Eurogruppe?
Die EU-Kommission sollte endlich verkleinert, unnötige Bürokratie zurückgefahren werden. Und wer will, dass das Europäische Parlament ernst genommen wird, der muss nicht nur das Votum des Volkes respektieren, sondern dieser Volksvertretung endlich auch ein volles Initiativrecht bei der Gesetzgebung zusprechen. Kurzum: Die Antwort auf dieses Wahlergebnis muss lauten: Mehr Europa und ein transparenteres dazu.
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