Frankreich

Politiker aus Überzeugung

Bruno Le Maire, französischer Politiker
Bruno Le Maire, französischer Politiker © picture alliance / dpa / Foto: ©francois Lafite/Wostok Press
Von Burkhard Birke · 18.04.2014
In seinem Buch "Zeiten der Macht" schreibt der französische Ex-Minister Bruno Le Maire über Liebe, Verrat und andere Dramen der Weltpolitik. Ganz nebenbei erfährt man auch noch, wie Ex-Präsident Sarkozy kokett mit Angela Merkel flirtete.
Dieser Mann hätte auch als Schriftsteller eine Zukunft: Mit akribischer Beobachtungsgabe, viel Liebe zum Detail für Anekdoten und literarische Parallelen bringen Bruno Le Maires Tagebuchschilderungen Farbe in den ohne jeden Zweifel drögen und stressigen Alltag eines Ministers. Berufen fühlt sich der vierfache Familienvater jedoch zur Politik und dazu das öffentliche Image seines letzten Chefs ein wenig gerade zu rücken.
Bruno Le Maire: "Ich glaube Nicolas Sarkozy war ein guter Präsident, der einen guten Job gemacht hat und während all der Jahre seiner Amtszeit zu Unrecht karikiert wurde. Das Bild, das ich von ihm als Minister hatte, wich stark von dem ab, das ich in der Presse fand. Mit dem Buch wollte ich den Alltag eines Ministers bei Sarkozy schildern, damit die Bürger ihn aus einer anderen Perspektive kennenlernen."
Unterliegt nicht der Versuchung
Die Betonung liegt auf "andere Perspektive": Denn bei aller Loyalität zu seinem früheren Chef unterliegt Le Maire nicht der Versuchung, eine Sinfonie der Lobhudelei auf Sarkozy anzustimmen. Vielleicht schon allein, weil dieser der größte Kontrahent seines ursprünglichen Förderers und Mentors, Dominique de Villepin, war – des Premierministers unter Präsident Jacques Chirac.
Und über ihn, seinen Vorgänger, urteilte Nicolas Sarkozy vernichtend.
"Wie kann man dreißig Jahre Politik machen ohne Überzeugungen? Bösartig, dieser Chirac. Bösartig. Das liegt nicht an der Krankheit, das ist alles, das ist er, das ist Chirac."
Sarkozy mit dem Elefantengedächtnis, der die Demütigungen Chiracs nicht vergessen hat, die Rache dafür, dass er sich einst für den Präsidentschaftskandidaten Balladur und gegen Chirac entschieden hatte.
"In der Politik gibt es einen Hass wie in der Liebe, er hält das ganze Leben, nichts kann ihn ausrotten, er wuchert im Unbewussten und wirkt wie ein schlummernder Schmerz: Ein bitteres Wort genügt, um ihn zu wecken. Wie in der Liebe erholt man sich nie von seinem Schmerz, aber man geht anders damit um, in der Politik tut man nichts gegen seinen Groll, man lebt damit."
Details aus der französischen Präsidialmonarchie
Dem deutschen Leser mögen da und auch an anderen Stellen im Buch wichtige Details aus den Verwinkelungen der französischen Präsidialmonarchie fehlen. Entschädigt wird er von dem erklärten Freund der Deutschen und der deutschsprachigen Literatur durch Zitate von Thomas Bernhard, Ingeborg Bachmann, Ernst Jünger, durch Hinweise auf Günter Grass und Anekdoten über Merkoszy: Merkel und Sarkozy, das so unterschiedliche deutsch-französische Gespann aus der Abwartenden und dem Macher, das gelegentlich mit Sturheit und brachialer Macht die Europäische Union durch die Krise lenkte.
"Der Präsident fährt fort:
'Du bist eben doch ganz schön kokett, Angela!'
'Kokett?'
Schweißperlen bilden sich auf der Stirn des Übersetzers.
'Aber ja, kokett! Glaubst Du die Sache mit deinem Ausschnitt wäre mir entgangen? Ah! Angelas Ausschnitt! Ganz Frankreich hat darüber geredet!'
Alain Juppé (der damalige Außenminister), kommt dem Übersetzer zu Hilfe:
'Na jetzt wird’s aber wirklich intim, ich glaube, wir lassen Euch besser allein.'
Der Präsident lacht. Angela Merkel wendet sich zum Couchtisch und nimmt sich einen Keks.
Cover des Buches "Zeiten der Macht" von Bruno Le Maire
Cover des Buches "Zeiten der Macht" von Bruno Le Maire© Rowohlt
Es menschelt bei allem Krisenmanagement und der klaren Botschaft Le Maire‘s: Allein Deutschland und Frankreich können und müssen dieses Europa nach vorne bringen. Kein leichtes Unterfangen: Der frühere Landwirtschaftsminister nimmt die Leser mit auf seine zähen Verhandlungsreisen zur früheren Agrarministerin Ilse Aigner in Berlin, aber auch nach Moskau, Addis Abeba, Washington, Brüssel. Schließlich hat er den G 20 Deal gegen Nahrungsmittelspekulation auf den Weg gebracht.
Die Reise führt aber auch in die Kuhställe, zu den Getreidebauern, zu den Menschen in der Provinz Frankreichs, häufig in Begleitung des Präsidenten: Das war schließlich sein Job als Agrarminister und auf dem Land hoffte Nicolas Sarkozy, wichtige Stimmen zu holen. Dass dies am Ende nicht so gelungen und die Wiederwahl gescheitert ist, kam natürlich nicht unerwartet für Le Maire, der das Wahlprogramm mitgestaltet und bis zuletzt für eine zweite Amtszeit Sarkozy’s gekämpft hatte.
"Wie soll man Wirtschaftsreformen verteidigen, die wir 2007 versprochen, aber größtenteils nicht verwirklicht haben, weil die Krise dazwischenkam, weil uns der Mut fehlte, weil das Reformkonzept nicht schlüssig war, weil man den politischen Bruch 2010 vermeiden wollte?
Man spricht von einem Rechtsruck. Aber wer könnte uns denn eigentlich verübeln, wenn wir über Themen sprechen, die unsere Wählerschaft beunruhigen? Warum sollten wir eine strengere Migrationspolitik ablehnen? Warum nicht Ungerechtigkeiten im Zusammenhang mit Sozialleistungen anprangern, die den Anreiz zum Arbeiten aushöhlen?
Nein, es sind unsere Ausdrucksweisen, die unnötig verletzen, es ist die Rhetorik der Spaltung und der Denunziation, die unser Lager schwächt. Tatsächlich fürchte ich weniger einen Rechtsruck als eine zunehmende Abschottung:
Die große politische Familie, die sich ängstlich zurückzieht, die Frankreich kein eroberungslustiges Gesicht mehr zeigt, sondern eine verkniffene Miene. Wir wissen nicht mehr, wer wir sind, und in dieser maßlosen Verwirrung weigern wir uns, unseren Teil an Verantwortung zu übernehmen."
Ein gradliniger Familienmensch
Das mag apologetisch klingen, entspringt aber der tiefen Überzeugung eines Mannes der sich als gradliniger Familienmensch präsentiert und beispielsweise auch erzählt wie er seinen neugeborenen Sohn endlich Mal nach Wochen wickelt. Das ist Bruno Le Maires einziges Bedauern: Dass er nicht genügend Zeit für Frau und seine vier Jungen hatte. Ansonsten ist dieser Enarch, dieser Absolvent der Eliteuniversität ENA, Politiker aus Überzeugung mit Überzeugung:
"Was vor allem zählt ist doch das, was man zum Wohl seiner Mitbürger tut.
Natürlich gibt es Enttäuschungen. Man hofft auf einen Posten, den man nicht bekommt. Man sagt Dir, du könntest Premierminister werden, und dann wirst du es doch nicht. Das ist nicht weiter schlimm. Das ist die persönliche Ebene.
Man muss die Liebe zu sich selbst etwas zurückstellen und an diejenigen denken, denen man dienen soll. Die Zukunft ist weit. Es gibt noch tausend wunderbare Dinge anzupacken und mein Blick ist stets nach vorne und nicht nach hinten gerichtet."
Was noch nicht war, kann ja noch werden: Angesichts der Enttäuschung der Franzosen über die Sozialisten und Präsident Francois Hollande muss man mit Bruno Le Maire an einer der großen Schaltstellen der Macht in Frankreich rechnen. Das Zeug und die Überzeugung hat er dazu.

Bruno Le Maire: "Zeiten der Macht. Hinter den Kulissen internationaler Politik"
Aus dem Französischen von Grete Osterwald
Rowohlt Verlag Reinbek, März 2014
352 Seiten, 22,95 Euro, auch als ebook

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