Frankreich

Der letzte deutsche Buchladen in Paris

Eiffelturm in Paris
Eifelturm in Paris © imago stock&people
Von Anne Raith  · 27.03.2015
Jahrzehnte hat Gisela Kaufmann in ihrem "Librairie Buchladen" deutsche Klassiker wie Goethe oder Stefan Zweig im Original verkauft. Jetzt machen ihr das Internet zu schaffen. Sie will bald aufhören und dann ist wohl Schluss mit ihrer "Librairie".
"Ich hab’s nicht gelesen", sagt Gisela Kaufmann, was ungewöhnlich ist. Doch seit vor einigen Wochen auch noch "Marissal" zugemacht hat, kommt sie kaum noch zum Lesen. Morgens arbeitet sie die recht aufwändigen Bestellungen der älteren Kundschaft aus der Provinz ab, tagsüber steht sie im Laden, abends wartet der Papierkram. Giesela Kaufmann reicht dem distinguierten älteren Herrn das gewünschte Buch über die schmale Verkaufstheke. "Ich werd’s lesen und Ihnen dann berichten", erwidert der und verstaut die Abhandlung über Goethe in seiner Tasche. Er sei sehr oft hier, erzählt er, bevor er sich verabschiedet:
"Diese Buchhandlung ist ganz anders als die anderen. Sie ist intellektuell interessanter, weil sie eine ganz besondere Auswahl hat."
Denn Gisela Kaufmann verkauft fremd-, und in erster Linie deutschsprachige Autoren. Im Original oder in französischer Übersetzung. Etwa 10.000 Titel, die sie in den Regalen links und rechts und auf dem Verkaufstisch in der Mitte ihres 30 Quadratmeter großen Ladenlokals verstaut hat. Nicht das, was gerade neu erschienen ist, sondern das, was ihre Kunden interessiert oder sie selbst gerne liest. Vor allem um literaturinteressierten Franzosen die Vielfalt deutschsprachiger Literatur näherzubringen und Lesegewohnheiten zu brechen.
"Nach dem allgemeinen Publikum ist Stefan Zweig der einzige deutschsprachige Autor, der lesenswert ist… Gucken Sie mal, das sind alles die Übersetzungen… unwahrscheinlich…"
"Grüß Gott."
Wie zum Beweis tritt der nächste Kunde ein. Sein Blick fällt auf das Regal neben der Theke.
"Ich lese Stefan Zweig auf Deutsch, immer wieder. Zum ersten Mal mit 18, 1960 war das. Und er fesselt mich noch immer."
Heute aber ist ihm, einem pensionierten Diplomaten, nach etwas anderem zumute:
"Wilhelm Schmidt, Gelassenheit…"
Online und die Bequemlichkeit der Leute
Im Internet habe er davon gelesen und sich auf den Weg in die "Librairie Buchladen" gemacht. Eine Ausnahme, die meisten Kunden wählen den umgekehrten Weg: vom Laden ins Netz. Ein bisschen könne sie sie verstehen, die Bequemlichkeit der Leute, sagt Gisela Kaufmann. Ihr aber mache das mehr und mehr zu schaffen. Genau wie die hohen Versandgebühren und das E-Book, auch wenn dessen Marktanteile in Frankreich noch verhältnismäßig gering sind. Ihr Blick schweift nach draußen. Durch das große Schaufenster hat sie in den vergangenen Jahrzehnten gut beobachten können, wie sich nicht nur die Kaufgewohnheit ihrer Kunden, sondern auch das Viertel verändert hat.
"Ich hatte an der Laufkundschaft im Laden dreimal so viel Leutchen. Die Leute sind hier ausgezogen, haben für sehr viel Geld ihre kleinen Wohnungen verkaufen können. Diese Leute, die hier gelebt haben, die ganz normalen Leute, sind nicht mehr da. Und auch keine alten Leute mehr."
Auch sie möchte gerne in Rente gehen, am liebsten gleich, sagt sie. Doch sie findet keinen Käufer für ihren Pachtvertrag. 190.000 Euro möchte sie dafür haben, das sei noch günstig für Montmartre und müsse, mit ihrer monatlichen Rente von 670 Euro, bis an ihr Lebensende reichen. Elf ernsthafte Interessenten habe sie gehabt, keiner habe bei der Bank einen entsprechenden Kredit bekommen.
"Es ist ja nicht nur die Miete. Sie dürfen nicht vergessen, die Bücher, die wir kaufen im Buchhandel, die zahlen wir. Amazon bezahlt erst, wenn’s verkauft ist. Ich hab ja jetzt ein bisschen abgebaut, weil wenn ich hier zumache, kann ich die Bücher wegschmeißen praktisch…"
Auch französische Buchläden schließen viele. Andere wagen trotzdem den Schritt und eröffnen neu oder tun sich zusammen. Aber eine Spezialbuchhandlung nur mit deutschen Büchern?
Der Ärger über mediale Nachrufe und die Beileidsbekundungen
Natürlich sei es schade, wenn mit ihrer "Librairie" bald der letzte deutsche Buchladen schließt. In erster Linie aber ärgert sich Gisela Kaufmann. Über die medialen Nachrufe und die Beileidsbekundungen all jener, die sie vorher noch nie im Laden gesehen habe. Deutschlehrer, Uniprofessoren oder Germanistikstudenten seien kaum gekommen und auch die deutschsprachigen Kulturinstitute in Paris kauften selten bei ihr ein. Dabei wäre es für Deutschland, Österreich und die Schweiz so einfach zu handeln und einen Verein zu gründen, findet Kaufmann:
"Dieser Verein könnte mit Hilfe vom Centre National du Livre, mit Hilfe der Stadt Paris, könnte ein großes Lokal mieten, dann vielleicht selbst ihre eigenen Bücher dort einkaufen, dadurch wäre schon ein Umsatz gewährleistet. Die ganzen Autoren, die ja wirklich häufig nach Paris kommen, könnten auch mal was unterzeichnen da, und vor allem, was ich finde, durch einen Buchhandel kommt man auch mehr an die Franzosen ran."
Um die deutsche Kultur zu vermitteln. Für Gisela Kaufmann ist das aber ohnehin keine Option mehr. Sobald sie einen Käufer für ihren Pachtvertrag gefunden habe, sei sie weg, sagt sie. Und mit ihr der letzte deutsche Buchladen in Paris.
"Auf Wiederschauen!"