Frank Gehry

Zerknüllte Papiertüte aus Ziegeln

Der kanadische Architekt Frank Gehry stellt seinen Bau für die australische Stadt Sydney vor: eine Business School für die Technische Universität, die einer zerknüllten Papiertüte ähnelt, Dezember 2010
Frank Gehry stellt seinen Bau für Sydney vor. © Thorsten Blackwood / AFP
Von Andreas Stummer · 29.08.2014
Hier muss jeder Ziegel sitzen. Erfahrene Maurermeister werden für Frank Gehrys Neubau in Sydney aus der Rente geholt. Die Business School in Form einer zerknüllten Tüte soll das neue Wahrzeichen der Stadt werden und der berühmten Oper der Stadt architektonisch Konkurrenz machen.
Der Hauptbahnhof Sydney, ein paar Gehminuten von der Innenstadt. Jeden Tag strömen dort tausende Studenten aus der Ankunftshalle über den sechsspurigen Broadway direkt gegenüber in das Hauptgebäude der Technischen Universität. Seit jetzt zwei Jahren führt sie ihr Weg an einer Baustelle vorbei: Die Uni bekommt Zuwachs. Auf dem Papier ist es nur die neue Wirtschaftsschule, inoffiziell aber Sydneys jüngste Attraktion: Ein elfstöckiges Gebäude, das wie eine riesige, braune, zerknüllte Papiertüte aussehen soll. Die Idee und das Design des amerikanischen Star-Architekten Frank Gehry.
Frank Gehry: "Das Schwierigste in der modernen Architektur ist etwas Menschliches, mit Charakter und Gefühl zu entwerfen. Historisch waren die größten Künstler von Falten fasziniert. Ich will mit diesem relativ kleinen Gebäude 'Falten' ein Denkmal setzen. Heutzutage wird viel Mittelmäßiges in Großstädten gebaut, aber ich verspreche, dass ich Sydney damit nicht verhunzen werde."
Als Fan des Opernhauses in Sydney wollte Gehry seit mehr als 20 Jahren in Australien arbeiten. Nicht mit geschwungenem, silber-glänzendem Titanium wie bei seinem berühmten Guggenheim-Museum in Bilbao, sondern mit dem wohl gewöhnlichsten aller Baumaterialien. Gehrys überdimensionale Papiertüte in Sydney ist eine Verbeugung vor dem einfachen Ziegelstein.
"Ein Ziegelstein liegt für gewöhnlich über dem anderen in schön geraden Linien", erklärt Steven Giblett, der Leitende Bauingenieur, „nicht so bei Gehry's Gebäude. Die Fassade sieht aus als hätte man ein Kleid über eine Garderobe geworfen und sieht alle Falten und Kurven des Stoffs. Es gibt weltweit kein anderes Gebäude, das diese Illusion mit Ziegeln erreicht."
Beim Betonsegel der Oper verzweifelten die Bauingenieure
Vor gut 50 Jahren verzweifelten die australischen Bauingenieure am Errichten der Beton-Segel für die Oper – diesmal musste Steve Giblett das Bauen mit herkömmlichen Ziegeln neu erfinden, um Frank Gehrys Vision zu verwirklichen.
Steven Giblett: "Das Neue war, dass wir handelsübliche Ziegel mit einer durchgehenden Rille versehen haben. Dadurch konnten wir jeden einzelnen Stein mit einem eigenen Stahlbolzen an einem dahinterliegenden Gerüst verankern und sichern. So war es uns möglich mit den Ziegeln jede beliebige Kurvenform nachzubauen. Es war eine simple Idee, aber ein großes Risiko."
Gehrys dramatische Schrumpel-Fassade hat vertikale und horizontale Kurven, geschwungene Krümmungen und runde Mauervorsprünge aus viereckigen Ziegeln. Damit bei einem Winkel von oft 25 Grad ein Stein auch auf dem anderen blieb, entwickelten die australischen Bauingenieure eigens einen stärkeren Spezialmörtel. Maurermeister Gus Galati und sein Team müssen insgesamt 380.000 Ziegel legen – jeden einzelnen von Hand und in Zeitlupe.
"Als Maurer legst du am Tag normalerweise zwischen 400 und 600 Ziegel, bei diesem Gebäude aber waren es oft nur 70 oder 80 – bei einem geraderen Abschnitt vielleicht 120. Am Anfang schämten sich meine Leute, dass sie nur 100 Ziegel am Tag schafften. Aber das war nunmal der Job."
Maurermeister, die schon in Rente gegangen waren, wurden für das Projekt wieder aus dem Ruhestand geholt. Für die ungewöhnliche Fassade des Gehry-Hauses, in die drei Dutzend großflächige, schachtelgleiche Aluminiumfenster eingemauert werden, wurde kein Stein auf dem anderen gelassen.
"Es ist eine einmalige Gelegenheit an einem Gebäude zu arbeiten, das nicht nur in Sydney sondern in der ganzen Welt berühmt sein wird", sagt Maurer Paul Simmons. Auch für Gus Galati, seinen Chef, ist das Gehry-Projekt viel mehr als nur ein Job: "In 20, 40 Jahren werde ich meinen Enkeln zeigen, was ich hier gebaut habe. Dieses Gebäude ist der Höhepunkt meiner Laufbahn."
Noch ist das Gehry-Haus hinter Baugerüsten und blickdichten, moosgrünen Planen verborgen, wann genau es feierlich enthüllt wird, will niemand verraten. Warten ist in Sydney nichts Neues: Es dauerte geschlagene 14 Jahre, bis das Opernhaus unten am Hafen eröffnet wurde. Heute ist es die größte Sehenswürdigkeit der Stadt. Weshalb insgeheim ganz Sydney hofft, dass Frank Gehrys zerknüllte, braune Papiertüte aus Ziegel sogar die Oper in die Tasche steckt.