Francois Hollande

Nobody's Darling

Der französische Staatspräsident Francois Hollande
Der französische Staatspräsident Francois Hollande © afp / Philippe Wojazer
Von Ursula Welter  · 04.11.2014
Nie war ein französischer Präsident so unbeliebt wie er: Francois Hollande. Am 6. November ist seine Amtszeit zur Hälfte vorüber. Angesichts seiner desolaten Bilanz zweifeln Kritiker, ob er die zweite Halbzeit überstehen wird.
Paul: "Ich glaube fest daran, dass alle Menschen auf dieser Erde Brüder sind, gleich welcher Farbe, welcher Herkunft, welcher Religion ..."
Paul Drezet sitzt in einer kleinen Runde. Ein Mann mit Idealen.
Paul: "Ich bin schon lange dabei, das sehen Sie an meinen grauen Haaren ..."
Schon lange in der Sozialistischen Partei Frankreichs. Die gerade alle Mitglieder zur internen Diskussion über Inhalte und Ziele aufgerufen hat. Bis Dezember darf sich jeder melden, ob einzeln oder als Gruppe, wer will darf aufschreiben, was aus der Partei, den Institutionen, dem Land werden soll.
Der Ortsverein von Issy-les-Moulineaux debattiert an diesem Abend auf hohem Niveau und auf hartem Untergrund: Holzklappstühle, ein karger Raum, ein paar Aktenordner, eine Kaffeemaschine. Basisarbeit vor den Toren von Paris. Viele, die hier im Stuhlkreis sitzen, standen im März auf der der Wahlliste.
Aber die Sozialisten haben die Kommunalwahlen auch hier verloren. Die Jubelstimmung nach dem Wahlsieg im Mai 2012 liegt weit zurück.
Jetzt, zur Halbzeit des Mandats von Francois Hollande, halten viele Sozialisten die nächsten Präsidentschaftswahlen 2017 bereits für verloren Der Niedergang setzte früh ein.
Fourquet: "Ab Sommer 2012 beginnen die Umfragewerte von Francois Hollande zu sinken."
Jerôme Fourquet sitzt am anderen Ende der Hauptstadt in seinem Büro - der Blick aus der sechsten Etage des futuristischen Neubaus fällt auf ein modernes Viertel, das an die sozial schwachen Vorstädte von Paris grenzt Fourquet ist leitender Meinungsforscher beim Institut IFOP.
Fourquet: "Noch nie seit 1958 war ein Präsident Frankreichs so unpopulär."
Seit Bestehen der Fünfte Republik. 13, höchstens 14 Prozent der Franzosen setzen noch auf Francois Hollande. Der Rest wendet sich ab und möchte nicht, dass der frühere Parteichef der Sozialisten und Regionalfürst der Corréze noch einmal antritt für das höchste Staatsamt.
"Da geht es gar nicht mehr um Wut"
Hollande wurde 2012 gewählt, aber vor allem wurde Nicolas Sarkozy abgewählt.
Fourquet: "Nicolas Sarkozy nervte die Franzosen, verärgerte sie, brachte sie gegeneinander auf, aber seine Wähler folgten ihm immerhin weiter. Für Francois Hollande ist die Lage viel schlimmer, da geht es gar nicht mehr um Wut, nicht um 'genervt sein', da geht es inzwischen um Desinteresse."
"So recht hört keiner mehr hin, wenn der Präsident das Wort ergreift" - meint der Meinungsforscher Fourquet.
Fourquet: "Die Franzosen haben diese Seite bereits umgeblättert. Erwarten nichts mehr."
Im Ortsverein der Sozialistischen Partei sitzen inzwischen zwölf Personen im Halbkreis. Neun Männer, drei Frauen. Alle Altersgruppen. An der Wand Plakate, Erinnerungen an politische Großtaten der Sozialisten: Abschaffung der Todesstrafe, Rente mit 60, 35-Stunden-Woche. Unter einem der Plakate, das von besseren Zeiten handelt, sitzt Kathy Similowski.
Kathy: "Wie sie sicher festgestellt haben, wirft die Regierungslinie gerade heftige Fragen auf."
„Links sein", was bedeutet das ?" Fragte das Meinungsforschungsinstitut IFOP im September. 57 Prozent der Befragten verbanden mit "Linkssein" durchaus "Stolz". Genauso viele waren jedoch überzeugt, linke Werte ließen sich nur noch in Gesellschaftsfragen umsetzten, nicht mehr in der Wirtschaftspolitik. Und nur eine kleine Minderheit meinte, die Politik des Sozialisten Francois Hollande sei "links". Neben Kathy sitzt Damien.
Damien: "Ich zähle zu denen, die finden, dass die Regierungspolitik ausgesprochen besessen ist von 'Reduktion der Arbeitskosten' und von 'Schuldenabbau'. Die Politik sollte ausgeglichener, stärker auf die Umverteilung des Reichtums ausgerichtet sein, auf eine neue Orientierung der europäischen Politik bis hin zu einem Schuldenabbau, der das Wachstum nicht abwürgt."
Welche Republik, welche Institutionen wollen wir? Wie viel Einfluss sollen Präsident und Parlament künftig haben? Wie umgehen mit der Gefahr des Extremismus, dem Aufstieg des Front National? Was heißt "reformieren"?
Kathy: "Es gibt hier bei uns so viele Meinungen wie Personen dazu, verschiedene Tendenzen. Ich selbst, um Klartext zu reden, bin auf der Linie von Arnaud Montebourg."
Sagt Kathy.
Arnaud Montebourg wurde gefeiert, als die Sozialisten im Sommer ihre traditionelle "Universität" abhielten. Eine Art Parteitag ohne Beschlüsse. Montebourg war da gerade als Wirtschaftsminister aus dem Kabinett geflogen. Hatte die Regierungslinie zu laut kritisiert, und das nicht zum ersten Mal.
Mit ihm verließen der Bildungs- und die Kulturministerin die Regierung. Montebourg, steht für das Projekt "Sechste Republik": Stärkung des Parlaments, dafür Einschränkung der präsidialen Macht. Manche in der Partei, wenn auch nicht alle, halten das französische Verfassungskonstrukt aus Zeiten de Gaulles für nicht mehr zeitgemäß.
Kathy: "Das heißt andere Antworten auf die Globalisierung, Reindustrialisierung, aber es gibt eben auch andere Meinungen, als die von Montebourg, und das macht ja schließlich den Reichtum einer Partei aus, dass sie Debatten dieser Art führt."
Vor allem die Parteilinke hat ein Problem mit Hollande, der im Wahlkampf die Finanzwelt zu seinem Feind ausgerufen: "Mein Feind ist die Finanzwelt" und dem europäischen Fiskalpakt den Kampf angesagt hatte - ohne seine Versprechen einzulösen. Den Geist seiner Rede von "Le Bourget" bekam der Wahlkämpfer Hollande als Präsident aber nicht mehr zurück in die Flasche.
"Der Protest in seinem eigenen politischen Lager nimmt zu"
Fourquet: "Der König ist nackt, steht ohne Kleider da. Der Protest in seinem eigenen politischen Lager nimmt zu. Zunächst aus ideologischen Gründen, sie sagen, das hat nichts mehr mit Hollandes Versprechen in seiner Rede von 'Le Bourget' zu tun, das ist nicht links genug. Das sind die sogenannten Frondeure, die Freunde von Martine Aubry. Und dann gibt es die anderen, die nicht unbedingt aus ideologischen Gründen protestieren, sondern die sagen, der Mann ist das Problem.
'Hollande hatte aber im Wahlkampf gesagt: Sarkozy hat klein beigegeben gegenüber Merkel', und ich werde das nachverhandeln. Das war für die Linke wichtig, die von 'Merkozy' sprach und die Politik in Europa für zu liberal hielt. Aber: Es gab ein 'Nein!' in Berlin und Hollande musste zurück in seine Ecke."
Zu schwach, zu sozialliberal, ein lautstarker Teil der sozialistischen Partei folgt der Regierung und dem Präsidenten nicht mehr:

"Es lebe die Linke", riefen die "Frondeure", die Abweichler, am Rande des Parteitages im Sommer. Revolutionsstimmung hing über der Szene, der Aufstand wurde geprobt, "Verrat" gerufen. Denn der Staatspräsident, der im sozialistischen Namen angetreten war, vollzog, nachdem die Wirtschaftsdaten immer schlechter wurden, die sozialdemokratische Wende: überraschte seine Parteifreunde mit einem "Pakt zur Entlastung der Unternehmen", einem Bekenntnis zur Angebotspolitik und einem Sparpaket.
Der linke Parteiflügel möchte hingegen die Nachfrage ankurbeln, die Kaufkraft der Haushalte befördern, sieht mit dem Sparkurs die Prioritäten falsch gesetzt. Bei der wichtigen Haushaltsabstimmung im Parlament , Ende Oktober, verweigerten 39 Abgeordnete aus der Regierungsmehrheit ihre Zustimmung. Darunter der Wortführer der „Frondeure" , Ex-Minister Hamon. Der meinte, die Regierung Hollande/Valls gefährde mit ihrem wirtschaftspolitischen Kurs die Republik.
Regierungschef Valls nannte die Partei-Linken daraufhin "Ewiggestrige". Und Staatspräsident Hollande nutzte die Einweihung des Picasso-Museums, um in dasselbe Horn zu stoßen, wenn auch im Ton freundlicher als sein Premier:
Hollande: "Auf Nostalgie lasse sich nicht aufbauen. Emotionen, Hoffnung, Entschlossenheit, Kampf - das führe in die Zukunft, das mache die Avantgarde aus. Und das kreative, das kulturreiche Frankreich sei schließlich ein Land der Avantgarde."
Zu der sich Hollande selbst rechnen möchte, weil er wichtige Reformen angestoßen hat, die jedoch teils zu zögerlich sind, teils zu spät eingeleitet wurden – jedenfalls sind die wirtschaftlichen Früchte nicht oder noch nicht greifbar. Deshalb liege die Nerven in der Regierungspartei zur Hälfte des Mandats von Francois Hollande blank.
Fourquet: "Es wirkt ein wenig als säße Francois Hollande am Steuer eines Autos im Aquaplaning. Fehlende Autorität, fehlende Vision, Fehleinschätzungen und ein amateurhaftes Regierungsteam."
"Frankreichs Linke war nicht auf das Regieren vorbereitet"
Hollande sei in den ersten Monaten zu zögerlich gewesen, habe die Richtung nicht gefunden, sei den Krisenphänomenen hinterher gelaufen. Sagt nicht nur Meinungsforscher Fourquet.
Fourquet: "Frankreichs Linke war nicht auf das Regieren vorbereitet."
Ein Präsident Hollande und ein Premier Ayrault ohne Regierungserfahrung und das in wirtschaftlich schwerem Fahrwasser. Rekordarbeitslosigkeit, Sozialplan reihte sich an Sozialplan, die Schulden explodierten – Francois Hollande verteilte dennoch erst einmal Wahlgeschenke, pumpte Geld in staatlich subventionierte Arbeitsplätze, reagierte dann mit Steuererhöhungen, weil die Schulden aus dem Ruder liefen. So fühlen sich heute nicht nur seine Parteifreunde getäuscht, sondern auch die Mehrheit der Bevölkerung:
Ursula Welter
Ursula Welter ist Frankreich-Korrespondentin von Deutschlandradio.© Deutschlandradio - Bettina Fürst-Fastré
Fourquet: "Es hieß, wir haben die Ausgaben wie nie gesenkt, haben mutig die Steuern erhöht und alles wird gut, aber 'bauz' : das Defizit steigt und gerät außer Kontrolle."
Francois Hollande versprach die Einhaltung des europäischen Schuldenziels bis 2015, konnte das Versprechen aber nicht halten. Er versprach eine Änderung des Trends am Arbeitsmarkt bis Ende 2013, musste passen.
Inzwischen zieht der Präsident die Zügel straffer an, gab gerade grünes Licht für schmerzhafte Kürzungen in den Sozialkassen. Aber es trifft vor allem die bürgerliche Mittelschicht, die ohnehin durch die gesellschaftspolitischen Reformen der Sozialisten (das Recht auf gleich-geschlechtliche Ehe, die Justizreform) auf den Barrikaden ist. Aber auch die Linke sieht die jüngsten Sparbeschlüsse der Regierung als keineswegs sinnvolle Verzweiflungstaten an.
Im Ortsverein von Issy-les-Moulineaux klagt Kathy, wir reden viel zu viel von Wirt-schaft, wir sind doch die Sozialistische Partei, nicht die "Wirtschaftspartei".
Kathy: "Was gerade passiert ist, dass wir einen schrecklichen Vertrauensverlust in die Regierung erleben. Und zwar nicht, weil sie sozialistisch ist, sondern weil sie nur Krisenmanager ist."
In der kleinen Diskussionsrunde im sozialistischen Ortsverein von Issy, meldet sich Patrick zu Wort. Er sitzt neben Kathy und gleich unter dem Plakat mit den Etappen der sozialistischen Reformen aus früheren Zeiten.

Patrick: "Gerechtigkeit, die Rechte der Individuen, die sozialen Fortschritte, all das ist mit Hilfe der Linken in diesem Land in Gang gekommen. Sicher, ökonomisch ist die Lage gerade extrem schwierig. Aber egal ich würde trotzdem niemals für einen rechten Präsidenten stimmen, voilà..."
Patrick will den Kopf nicht in den Sand stecken. Nach drei Stunden geht die Runde auseinander, es ist spät geworden im sozialistischen Ortsverein. Mancher wirkt resigniert, aber keineswegs alle, die nach der freiwilligen Parteiarbeit nach Feierabend ihrer Wege ziehen.
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