Frage des Tages

Kann Kunst stillhalten?

Ein Statist ist am 06.05.2014 am Eingang des Städel-Museums in Frankfurt am Main (Hessen) bei der Vorführung von Erwin Wurms "einmal Hund sein" mit einem Hundehalsband angeleint.
"einmal Hund sein" - aus der Serie "One Minute Sculptures" von Erwin Wurm am Städel-Museum in Frankfurt am Main © dpa / Arne Dedert
Barbara Gronau im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 05.06.2015
Malerei und Fotografie halten einen einzelnen Moment fest - die Zeit steht still. Ansonsten geht es in der Kunst oft um Beschleunigung, um Bewegung und Tempo, vor allem auf der Bühne. Aber lässt sich die Kunst dort auch still stellen? Ein Symposium sucht nach Antworten.
Wenn Kunst mit der Zeit umgeht, geht es dabei oft um Beschleunigung, um Bewegung, um Tempo. Die Berliner Theaterwissenschaftlerin Barbara Gronau möchte nun herausfinden, wie sich umgekehrt die Kunst still stellen lässt. Die Professorin für Theorie und Geschichte des Theaters an der Universität der Künste Berlin hat dafür ein Symposium konzipiert mit dem Titel "Künste des Anhaltens – Verfahren des Stillstellens in Theater, Tanz und Performance Art".

Wir fragen Barbara Gronau heute: Was genau interessiert Sie denn am Stillstand auf der Bühne? Ihre Antwort lautet:
„Also zunächst einmal ist interessant, dass der Stillstand auf der Bühne als ästhetische Figur immer dann brisant wird, wenn er eigentlich als das Andere der Zeit inszeniert wird. Wenn Sie davon ausgehen, und das ist mittlerweile Konsens in Geschichte und Sozialwissenschaften, dass die Moderne sich dadurch auszeichnet, dass sie beschleunigt ist, und zwar beschleunigt auf allen Ebenen, nicht nur in der Fortbewegung und der Kommunikation und der Ökonomie und den Liebesbeziehungen, sondern sozusagen den ganzen Menschen erfasst, dann ist Stillstellen eine Figur, die eine ganz große Ambivalenz entfaltet. [...]
In der Stagnation, in der Vorstellung, dass sich etwas nicht mehr fortentwickelt, ist sie das Krisenbild für politischen und ökonomischen Fortschritt sozusagen. Im Streik ist sie geradezu eine Erlösungsform, eine Sehnsucht, eine Formel für Befreiung und Loslösung, Unterbrechung von herrschenden Zuständen, und in der Muße ist sie vielleicht so etwas wie unser Sehnsuchtsbild in einer durchtakteten Gesellschaft.
Auf der Bühne - und das ist jetzt genau die Frage: Was haben die Künste damit zu tun? – auf der Bühne ist interessant, dass gerade die Künste versuchen, das Stillstellen als Wahrnehmbarmachung von Zeit und als kritischen Impuls und als kritischen Blick auf die Zeit zu inszenieren."
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