Wahl von Angela Merkel

Eine Amtszeit mit Dimensionen

Bundeskanzlerin Angela Merkel dankt dem Parlament nach ihrer Wahl
Bundeskanzlerin Angela Merkel dankt dem Parlament nach ihrer Wahl. © dpa / Gregor Fischer
Von Stephan Detjen · 14.03.2018
Geschichtliche Größe hat Angela Merkel bereits erreicht mit ihrer vierten Wahl zur Bundeskanzlerin. Doch die magere Stimmenmehrheit im Bundestag zeigt sehr deutlich, wie schwierig für sie die neue Amtszeit wird, meint Stephan Detjen.
Nicht nur fromme Katholiken werden versucht gewesen sein "habemus!" auszurufen: Wir haben eine Regierung. Als Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble aber am Morgen den Erfolg der Kanzlerinnenwahl verkündete, herrschte im Bundestag zunächst ein Moment eigenartiger Stille. Selbst Skeptikern hat das überraschend magere Wahlergebnis erst einmal die Sprache verschlagen.
2005 hatte die Große Koalition noch fast 90 Stimmen mehr als erforderlich erreicht, um Merkel erstmals zur Bundeskanzlerin zu wählen. 2013 demonstrierten Union und SPD mit 146 Stimmen über der nötigen Mehrheit ihre Dominanz im letzten Bundestag. Heute waren es gerade einmal neun Abgeordnete, die Merkel die nötige Mehrheit im ersten Wahlgang sicherten. Groß wird man diese Koalition nach bisherigen Maßstäben kaum noch nennen dürfen. Nicht ausgeschlossen ist es, dass auch Stimmen von Liberalen oder Grünen zur Kanzlermehrheit beitrugen. Auffällig war jedenfalls die demonstrative Vertrautheit, mit der Merkel in den Pausen des Zeremoniells auch heute wieder auf die Reihen der Grünen im Plenarsaal zuging.

Ein Ritual, das in Erinnerung bleibt

Es sind diese Gesten und Zeichen zwischen den Zeilen des streng formalisierten Wahlrituals, die an einem solchen Tag in Erinnerung bleiben. Umso bemerkenswerter waren heute die expliziten Mahnungen, die der Bundespräsident nach der Ernennung der Ministerinnen und Minister an die neue Regierung richtete. Nie zuvor hat ein Bundespräsident seine Rolle so politisch interpretiert, wie Frank Walter Steinmeier in diesen Zeiten. Ohne den öffentlichen Druck, den er nach dem Scheitern der Jamaika-Verhandlungen auf die eigene Partei ausgeübt hatte, wäre es wahrscheinlich nicht zu dieser Regierungsbildung gekommen. Mit dem Appell, sich "neu und anders" zu bewähren, kodifizierte Steinmeier heute mit höchster, staatlicher Autorität die Erwartungen, die sich in der breiten Öffentlichkeit an diese Regierung richten.
Angela Merkel und die SPD-Spitzen versuchen, sie vor allem durch äußerlich sichtbare Signale zu erfüllen. Beide Parteien lösten das Versprechen ein, ein jüngeres und weiblicheres Kabinett zu präsentieren. Ohne in Zwiespälte zu geraten, ließ sich der Anspruch indes nicht erfüllen. Die Wiederberufung Ursula von der Leyens als Verteidigungsministerin wird in der eigenen Partei hinter den Kulissen mit zum Teil ätzender Kritik begleitet. Ob ein Justizminister, der sich auf verschiedenen Bühnen galant zu bewegen verstand, deshalb auch als Außenminister in krisenhaften Zeiten geeignet ist, wurde bei der schwierigen Kandidatensuche auch in der SPD selbst gefragt.

Merkel wiederholt ein Experiment

Und eine Forschungsministerin, die mit wichtigen Themen ihres Ressorts weder biografische noch politische Berührungspunkte hatte, ist eine evident riskante Personalentscheidung. Angela Merkel aber wiederholt mit der Berufung von Anja Karliczek das Experiment, dass Helmut Kohl vor 27 Jahren mit ihr selbst wagte, als er die junge und unbekannte Abgeordnete aus dem Osten in sein Kabinett holte. Kohl hatte Merkel kurz zuvor gefragt, ob sie sich mit Frauen verstehe. Als die verdutzte Physikerin antwortete, sie habe sich mit ihrer Mutter und Schwester immer gut verstanden, genügte das dem Kanzler, Merkel zur Frauen- und Jugendministerin zu machen. Das war der Beginn einer der ungewöhnlichsten politischen Karrieren überhaupt. Sie mündet heute in eine Dimension, der Historiker schon wegen der puren Dauer ihrer Amtszeit als Bundeskanzlerin einmal geschichtliche Größe zuschreiben werden.
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