Fotos im "Life"-Magazin

Bilder des ungeborenen Lebens

Dr. h.c. Lennart Nilsson (Fotograf, Wissenschaftsjournalist) mit einer Endoskopkamera - er machte als erster Aufnahmen von Embryos im Mutterleib
Der schwedische Fotograf Lennart Nilsson machte 1965 die ersten Farbbilder von menschlichen Embryos. © imago / teutopress
Von Irene Meichsner · 30.04.2015
Vor 50 Jahren zeigte das amerikanische Magazin "Life" erstmals Fotos menschlicher Embryos. Bis heute hinterlassen die Bilder einen nachhaltigen Eindruck: Weil der schwedische Fotograf Lennart Nilsson das ungeborene Leben ästhetisch inszenierte.
"Wie soll man nicht an die Existenz Gottes und die Allmacht des Schöpfers glauben, wenn man Lennart Nilssons betörend schöne Fotos gesehen hat?"
So wie dieser Mann aus Chicago reagierten viele Leser auf die ersten Farbbilder von menschlichen Embryos, die das amerikanische Magazin "Life" am 30. April 1965 veröffentlichte. Nur wenige waren so schockiert wie diese Leserin aus Philadelphia:
"Jede amerikanische Frau, die noch einen Rest von Anstand oder Gefühl für ihre persönliche Intimsphäre besitzt, sollte Sie verklagen!"
Gestochen scharfe Aufnahmen
"Life" hatte die Geschichte als "Drama des Lebens vor der Geburt" inszeniert, die gesamte Auflage von acht Millionen Exemplaren war binnen weniger Tage ausverkauft. Das Titelbild zeigte einen 18 Wochen alten Fötus in seiner Fruchtblase - gestochen scharf, fast transparent, vor einem dunklen Hintergrund, der an einen Sternenhimmel erinnerte.
"Ganz allein schwebt er im Raum, ausgetopft aus dem Inneren einer Frau", schrieb die Medizinhistorikerin Barbara Duden, für die dieser ans Licht der Öffentlichkeit gezerrte Fötus den "Prototyp des beziehungslosen Individuums" und damit auch eine neue Form der "Weltdeutung" repräsentierte.
"Wie ein Astronaut hängt er in seiner Kapsel und ist nur durch die Nabelschnur am Versorgungssystem der Plazenta angeschlossen. So verkörpert er nicht nur ein hilfsbedürftiges, sondern vor allem ein belieferungs- und versorgungsbedürftiges Menschenwesen."
Föten aus legalen Abtreibungen
Was viele heute nicht mehr wissen, obwohl es "Life" seinerzeit gar nicht verschwieg: Die meisten dieser hoch ästhetischen Fotografien täuschten "Leben" nur vor. Die abgebildeten Föten stammten aus legalen Abtreibungen oder sogenannten extrauterinen Schwangerschaften, bei denen sich die befruchtete Eizelle außerhalb der Gebärmutterschleimhaut einnistet und die deswegen abgebrochen werden mussten.
"Wenn wir eine Eileiterschwangerschaft hatten und wir das Herz noch im Ultraschallbild schlagen sahen, dann haben wir Lennart angerufen. Vielleicht in einem von zehn Fällen sah der Fötus gut aus, was die äußere Gestalt angeht. Und dann fotografierte Lennart den Fötus im Operationssaal, wenn er gerade frisch herausgenommen worden war", erzählte der schwedische Gynäkologe Lars Hamberger.
Er schrieb auch den Text zu dem Bildband "Ein Kind entsteht", den Nilsson ebenfalls 1965 veröffentlichte. Das Buch - inzwischen mehrfach überarbeitet und in über 20 Sprachen übersetzt - hat unzählige Frauen durch die Schwangerschaft begleitet. Aber wie war Nilsson auf die Idee gekommen, Embryos zu fotografieren? Hintergrund war eine Liberalisierung des schwedischen Abtreibungsrechts Anfang der 50er-Jahre. Nilsson, damals schon ein bekannter Pressefotograf, wurde für einen Artikel über Abtreibungsgegner unter Ärzten und Wissenschaftlern engagiert.
"Wir besuchten Professor Axel Ingelmann-Sundberg, damals Chefarzt im Sabbatsbergs-Hospital. Er lieh uns einen Embryo, der zu Lehrzwecken verwendet wurde. Er hatte jahrelang in Formaldehyd gelegen. Ich machte Großaufnahmen und war überrascht, dass Embryos in einem so frühen Entwicklungsstadium schon so menschlich, so weit entwickelt waren. 1964 machte ich auch als erster auf der ganzen Welt im Danderyds-Hospital ein endoskopisches Porträt eines Fötus, lebendig im Uterus der Mutter."
Als Leichenschau kritisiert
Tatsächlich hatte die hohe Kunst aber vor allem darin bestanden, tote oder sterbende Embryos so lebendig wie möglich aussehen zu lassen.
"Ich lernte, wie sich das Licht in Wasser bewegt. Das meiste Licht kommt von oben."
Barbara Duden sprach von einer "Hochglanzleichenschau". Nilssons Bilder von menschlichen Embryos wurden zum allgemeinen Kulturgut. Das Wissen um ihre Herkunft habe selbst Abtreibungsgegner nicht daran gehindert, sich ihrer Symbolkraft zu bedienen, schreibt die schwedische Kultur- und Medienwissenschaftlerin Solveig Jülich.
Stanley Kubrick ließ am Ende seines Films "2001 - Odyssee im Weltraum" einen Embryo in seiner Fruchtblase auf die Erde zurückblicken. Zwei der legendären Fotografien, denen der heute 92-jährige Nilsson seinen Weltruhm verdankt, erreichten an Bord der Raumsonden Voyager 1 und 2 inzwischen den Rand unseres Sonnensystems. Sie wurden auf Speicherplatten mit Informationen über die Menschheit verewigt - ein Gruß von der Erde an extraterrestrisches Leben.
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