Fotografien von Viktor Kolár

Verdichtet wie ein Brühwürfel

Zwei Frauen betrachten im Sprengelmuseum in Hannover Fotografien des Fotografen Viktor Kolář. Der tschechische Fotograf wird erstmals in einem deutschen Museum vorgestellt (2015).
Der tschechische Fotograf Viktor Kolář wird mit der Ausstellung im Sprengelmuseum in Hannover erstmals in einem deutschen Museum vorgestellt. © picture alliance / dpa / Ole Spata
Von Anette Schneider · 23.02.2015
Viktor Kolář gehört zu den wichtigsten zeitgenössischen tschechischen Fotografen, doch hierzulande ist er völlig unbekannt. Jetzt zeigt das Sprengel Museum Hannover 50 seiner Schwarz-Weiß-Fotografien aus 50 Jahren.
Auf dem Foto: Zwei gewaltige Berge ragen in den Himmel, ebenmäßig wie der Fujijama. Davor fährt eine Eisenbahn quer durchs Bild und zieht eine gewaltige Rauchwolke hinter sich her. Als ob diese grandiose Szenerie noch nicht genug wäre, spiegelt sie sich im Vordergrund noch einmal in einem See.
Was wie ein Bild aus Japan anmutet, fotografierte Viktor Kolář 1963 in Ostrava – und zeigt Kohlehalden, die sich in Brackwasser spiegeln. Kuratorin Inka Schube:
"Er ist wirklich ein Phänomen. Also in Ostrava, einer Industriestadt fast an der Grenze zu Polen in der Tschechei, 'Stahlherz der Republik' genannt, also ein Ort, der von Stahl und Kohle dominiert wird, ein Ort der starken Zuzug nach 1945 hatte, enorm gewachsen ist, der starke Umweltschäden hat, in dem die Landschaft völlig zerstört wurde, dort hat er nach Schönheit gesucht. Nach Bildern, die Zeitzeugenschaft abgeben über diese Situation dort, aber gleichzeitig immer auch eine Spur Hoffnung tragen."
Vikor Kolář zeigt nicht die laute, boomende, dreckige Industriestadt Ostrava. Die kennen seine Landsleute zur Genüge. Er hält surreale oder verzauberte Momente fest, die stets etwas zutiefst Menschliches spiegeln – und die damit nach Krieg und Faschismus auch von einem neuen, gesellschaftlichen Miteinander erzählen:
Da steht ein kleiner Junge mit großem Geigenkoffer und geschlossenen Augen auf einem Bürgersteig, als sei er noch ganz in der Musik, während eine Passantin sich fürsorglich zu ihm hinabbeugt. Oder: Grubenarbeiter strömen verdreckt und erschöpft aus einem Werkstor auf die Straße, wo Folkloretänzer für ein Fest proben, das selbstverständlich für alle sein wird.
Kein erhebender Blick auf das Gegenüber
"In der Art und Weise, wie er Menschen fotografiert, gibt es eben diesen stark emphatischen Moment, den man eigentlich schon noch aus der osteuropäischen Fotografie auch kennt. Diese Gleichheit der Menschen. Also nicht ein sich erhebenden Blick auf das Gegenüber, sondern einfach ein Gegenüber, das im Bild auch ablesbar ist."
Inka Schube entdeckte Viktor Kolářs vor zwei Jahren in Prag, wo er eine große Retrospektive hatte. Und es ist ein Glück, dass sie ihn nun erstmals hierzulande zeigen kann. Denn die chronologisch gehängten Schwarz-Weiß-Aufnahmen zeigen auf so ungewöhnliche Weise verdichtete Wirklichkeit, dass man immer wieder Neues entdeckt.
"Das sind sehr konzentrierte Substrate. Bilder, von denen man annimmt, dass darin Geschichte und Erfahrung und auch sehr sehr viel subjektives Erleben konzentriert – wie in so in kleinen Brühwürfeln sozusagen."
Viktor Kolář, der 1941 in Ostrava geboren wurde, arbeitete als Lehrer, lernte im Laien-Club fotografieren, und hatte bereits 1964 seine erste Ausstellung mit Alltagsszenen aus Ostrava. Doch 1968, nach dem Einmarsch von Truppen des Warschauer Pakts, ging er aus Protest nach Kanada und in die USA.
Inka Schube: "Er arbeitet als erstes tatsächlich wieder als Stahlarbeiter. Er hat dann irgendwann Kontakte zur Fotografie-Szene, und hat dann mit Kollegen wie Cornell Cappa zu tun, bekommt ein Stipendium für eine Arbeit über Shopping-Malls in Kanada, hat auch große Ausstellungen, wird wahr genommen."
Menschliches Miteinander in sozialistischer Heimat
Dennoch kehrt Kolář 1973 zurück. Zwar erhält er die offizielle Arbeitserlaubnis als Fotograf erst 1984, doch er beginnt umgehend weiter an seiner Zeugenschaft über den Alltag in Ostrava zu arbeiten. Und es scheint, als hätte sich durch die Erfahrungen im Kapitalismus, sein Blick geklärt:
"Er hält vermehrt heitere Szenen in Parks und Grünanlagen fest, die eine faszinierende Ruhe verströmen. Eine Ruhe, die aus den gesellschaftlichen Gegebenheiten resultiert: Sorgen um den Arbeitsplatz sind unbekannt. Die Menschen haben ihre Arbeit, sie freuen sich auf ihren Feierabend, man gehört zusammen."
1990 dann der große Bruch: Ostravas Industrie gilt den westlichen Konzernen als Konkurrenz – und wird geschlossen. Hunderttausende Menschen werden arbeitslos.
"Diese Arbeit hat plötzlich keinen Wert mehr. Das ist ein großer Einschnitt, dass die Leute nichts mehr haben, worauf sie sich verlassen können. Nicht einmal mehr ihre Arbeit. Eindrucksvoll zeigt Kolářs nun, wie die einst solidarische Gemeinschaft in dem Maß zerfällt, in dem die soziale Not zunimmt."
Plötzlich sieht man einsame Menschen: Ein Mann hockt allein zwischen Spielautomaten. Ein anderer schiebt einen Kinderwagen vor sich her, in dem kein Baby liegt sondern – Altpapier. Die verzauberten und surrealen Momente, in denen Kolář das menschliche Miteinander seiner sozialistischen Heimat festhielt, gibt es nicht mehr. Die gesellschaftlichen Voraussetzungen dafür existieren nicht mehr. Seine zutiefst humane Fotografie aber bewahrt das Wissen darum.