Fotografie

Farbe für die Republik

Martin Schmidt: Traktoristin, um 1965 Erschien 1970 als Titelfoto der Zeitschrift „Lernen und Handeln“, dem Funktionärsorgan des Demokratischen Frauenbund Deutschlands (DFD) © Stiftung Deutsches Historisches Museum
Martin Schmidt: Traktoristin, um 1965 © DHM
Von Carsten Probst · 20.03.2014
Dass die DDR ihren sozialistischen Zielen immer näher kam, sollte unter anderem auch durch Auftragsarbeiten ausgewählter Fotografen dokumentiert werden. Eine Auswahl ist nun im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.
Warmes Bad und kalte Dusche: Unter diesem Titel räkelt sich eine schaumbedeckte Blondine in einer Badewanne, man erkennt immerhin ihre nackten Arme und den Ansatz eines Knies, fast schon sensationell freizügig für eine offizielle Publikation der 60er-Jahre in der DDR. Die Zeitschrift "für dich", die sich vorwiegend an ein weibliches Publikum wandte und in der dieses Bild im August 1963 erschien, war offenkundig spezialisiert auf kleine neckische Anspielungen. Das Titelblatt verheißt "Bettgeschichten auf Seite 40/41", dazu blickt uns eine rothaarige Schönheit mit tief ausgeschnittenem Negligée aus einem Himmelbett an. Der Titel verspricht außerdem "Schnittmusterbogen", Kochrezepte und was man sonst noch so braucht als moderne DDR-Frau, die nicht wirklich auf das verzichten will, was in den Zeitschriften des Klassenfeindes im Westen auch zu haben ist. Carola Jüllig, Kuratorin am Deutschen Historischen Museum Berlin:
"Mein Bild der DDR war immer schwarz-weiß: Ich kannte Harald Hauswald, Helga Paris, diese Bilder, die uns die echte DDR zeigen, diese Bilder waren ja aber in der DDR zu ihrer Entstehungszeit unbekannt. Aber es gab eben diese andere Bildwelt, diese offizielle Bildwelt, die Zeitschriften, die Zeitungen, die Broschüren, die Werbehefte, Kochbücher, all diese Fotos wurden ja von Fotografen gemacht, und wir haben Jahrzehnte Jahrgänge von DDR-Zeitschriften durchforstet, um festzustellen: Was ist es denn, dieses Foto von der Frau in der Badewanne, mit dem Badeschwamm, halbnackt? Wie konnte so ein Foto in der DDR entstehen?"
Aufschlussreiche Bilderwelt
Die Ausstellung im Deutschen Historischen Museum tastet sich auf ein Bilder-Terrain vor, das historisch bislang ein wenig unterbelichtet zu sein scheint. Die DDR-Pressefotografie galt bislang vielleicht als zu anspruchslos, als propagandistisch zu leicht durchschaubar. Dieser erste Versuch im DHM zeigt aber das Gegenteil, am Beispiel des Lebenswerks zweier Fotografen, die in der DDR Karriere machten: Martin Schmidt und Kurt Schwarzer. Sie schufen in der Tat eine ziemlich komplexe Bilderwelt, die aus heutiger, distanzierter Sicht durchaus aufschlussreich ist: Sie versucht auf die Bedürfnisse der entstehenden Mediengesellschaft in der DDR einzugehen und sie im Geist des Sozialismus zu interpretieren. Dabei erzeugt sie ein seltsames, nicht immer eindeutig "sozialistisches" Hybrid zwischen westlichem Konsumismus und propagandistischem Zitatenschatz.
"Sie sollten Botschaften transportieren, nämlich die Botschaft einer modernen DDR, einer bunten DDR, einer schönen DDR mit zufriedenen Menschen, ein Versprechen auf die Zukunft des Sozialismus. Und (...) die Fotos sind großartig, (...) sehr beeindruckend, von zwei Fotografen, die einfach ihr Handwerk verstanden, die sich der Mittel der Farbfotografie sehr geschickt bedient haben."
Ein gewisser Luxus durfte nicht fehlen
Pärchen in einem DDR-Luxushote um 1967
Pärchen in einem DDR-Luxushotel um 1967© DHM
Walter Ulbricht lag nach Errichtung der Berliner Mauer an einer behutsamen Öffnung der DDR für westliche Konsumgüter und für die Duldung gewisser, privatwirtschaftlicher Strukturen, weil Engpässe in der DDR-eigenen Produktion seit Jahren nicht mehr zu leugnen waren. Publikumszeitschriften transportierten mithin das angestrebte Wunschbild einer offenen, jungen DDR mit quasi westlicher Lebensqualität, die dennoch ihren sozialistischen Prinzipien treu blieb. Selten zeigen diese Fotografien dabei die reine Parteipropaganda, eher idealisierte Typen aus dem realen Leben, die aber nach Möglichkeit immer Spaß haben, sprich: lebendig wirken sollen, nicht wie Kader. Auch ein gewisser Luxus darf nicht fehlen, unabhängig davon, ob ein Normalbürger je in dessen Genuss kommen würde. Modern eigerichtete Hotels, große Familienautos, reich gedeckte Tafeln. Die proletarische Arbeiter- und Bauernästhetik der frühen 50er Jahre wich einem eleganten internationalen Modestil, der dem Gefühl entgegenwirken sollte, in der DDR auf einer Insel prinzipientreuer Vergrauung zu sitzen.
"Die Ästhetik ist eine Frage, die nach meinen Recherchen überhaupt noch nicht ausgeforscht ist. Es gibt so ein Standardwerk von 1964, 'Das Bild in der Presse-Handbuch für Journalisten', vom VDJ herausgegeben, das war sozusagen die Bibel der DDR-Bildreporter, und da gibt es immer so 'Gute Fotos - Schlechte Fotos'. Gute Fotos, die sozusagen den Moment der Wahrheit festhalten, schlechte Fotos sind gestellte Fotos. Und wenn man sich aber viele Fotos von Martin Schmidt anschaut: Die haben genau dieses Gestellte, die ganzen Kollektive, die Brigaden, die im Halbkreis stehen, die über die Planerfüllung diskutieren oder gerade die Zeitschrift der DSF lesen: Die entsprechen eigentlich diesem Schlechte-Foto-Kanon, aber trotzdem haben sie eine Wirkung."
Diese Ausstellung betreibt zugleich ein wenig Feldforschung. Die Besucher können Kommentare und Erinnerungen zu einzelnen Bildern in elektronische Gästebücher hineinsprechen. Denn gern wüsste man, wie diese massenhaft vertriebene Fotografie das Selbstbild der DDR-Bevölkerung beeinflusst hat. Kam sie nur geheimen Wünschen nach einer etwas westlicheren DDR nach, oder befeuerte sie gar ungewollt ein Gefühl des Mangels angesichts der Realität, die bekanntlich so ganz anders aussah? Fast schmerzhaft wird an diesen Bildern jedenfalls der innere Spagat erfahrbar, dem sich die sozialistische Gesellschaft schon in dieser Phase ausgesetzt sah - einer immer unerträglicher werdenden Spannung zwischen Wunsch und Wirklichkeit, der der Putsch Erich Honeckers gegen Walter Ulbricht im Jahr 1971 nicht mehr wirklich entgegenwirken konnte. Und Nixen in der Badewanne gab es unter Honecker dann auch nicht mehr.
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