Fotografie

Bilder aus dem Innersten der Menschen

Rund 600 Künstler, Sportler und Prominente hat Ludwig Rauch bislang fotografiert.
Rund 600 Künstler, Sportler und Prominente hat Ludwig Rauch bislang fotografiert. © privat
Von Gerhard Richter · 06.04.2014
Verschwitze Arbeiter, heruntergekommene Werkshallen: In der DDR hatte der Fotograf Ludwig Rauch wegen solcher Bilder Publikationsverbot. Eine Ausstellung in Cottbus zeigt nun Arbeiten aus 35 Jahren. Darunter auch Porträts von Künstlern, Sportlern und Prominenten.
Ein Rentner im Anzug mit weißem Gehstock – oder die Rentnerin im beigen Mantel, hellen Schuhen und Regenschirm. Ludwig Rauch spricht 1986 alte Menschen in Ostberlin auf der Straße an und bittet darum, sie fotografieren zu dürfen. Der frischgebackene Absolvent der Leipziger Journalistenschule fragt nach deren früherem Beruf: Klavierstimmer, Verkäuferin, Gouvernante, Magistratsangestellte. Das sind die Titel der Bilder von Rauchs früher Porträtreihe "Nach der Arbeit".
Ulrike Kremeier: "Das sind typische DDR-Bürger, wenn Sie so wollen, die mit einem so unglaublich präzisen Respekt und liebevollem Blick abgebildet sind, dass Sie die Differenz zwischen einer systemischen Kritik und einer Kritik am menschlichen Subjekt genau definieren können."
Die Leiterin des Kunstmuseums Dieselkraftwerk, Ulrike Kremeier, erkennt schon in den ersten Werken von Ludwig Rauch seinen präzisen Bildbegriff. Seine Bilder treffen das Innerste der Menschen. Der 1,90 Meter große Ludwig Rauch geht mit innerer Ruhe zu Werk. Das schafft Vertrauen und gestattet ihm unverfälschte Aufnahmen.
Aber seine Fotos waren dem SED-Regime zu wahrhaftig. So bekommt er Publikationsverbot in der DDR: 1986 begleitet er ein halbes Jahr lang die Brigade Karl Marx beim VEB Elektrokohle Berlin und fotografiert kantige Arbeiter mit Zigarette und dreckigen T-Shirts in einer heruntergekommenen Werkhalle. Die Fotos bringt er zum Chefredakteur der Neuen Berliner Illustrierten.
Der Werksalltag als wunderlicher Kosmos
Rauch: "Und der hat dann mit einem Filzstift die Fotos alle von links unten nach rechts oben durchgestrichen und drauf geschrieben, zur Veröffentlichung nicht freigegeben."
Eines dieser Bilder hängt schwarz-weiß und ganz unspektakulär in der Ausstellung. Das Kunstmuseum Dieselkraftwerk wird es ankaufen. Es passt hervorragend zu den Räumen des früheren Dieselkraftwerks und dessen spätexpressionistischer Industrie-Architektur. Das Bild der Arbeiter bewahrt als fotografisch überlieferter Moment den früheren Werksalltag als wunderlichen Kosmos – und ist gleichzeitig ein Dokument, das immer noch jeder Ideologie trotzt.
Rauch: "Wie man dem Bild nun ansieht, hat das nichts Denunzierendes. Ich hab auch nichts dazu beigetragen, irgendwas zu dramatisieren. Ich hab einfach die Leute so fotografiert, wie sie sind. Und die Arbeiter sind mit dem Bild sehr einverstanden gewesen."
Genauso einverstanden waren bisher rund 600 Künstler, Sportler und Prominente, die Ludwig Rauch in rund 35 Arbeitsjahren porträtierthat. In der Ausstellung zu sehen ist nur ein kleiner Ausschnitt: Muhammed Ali, Mario Adorf, Neo Rauch, Martin Walser, Heiner Müller, Rio Reiser oder Georg Baselitz und andere. Sie alle haben Ludwig Rauch ihr Gesicht, ihre Person, ihr unverfälschtes Wesen anvertraut. Besonders auch in der Reihe "Freunde", bei der immer zwei Menschen ihre gegenseitige Verbundenheit offenbaren.
Eine eigene Reihe zeigt in mehreren Großaufnahmen das Gesicht von Dora Heyke, der Großmutter von Ludwig Rauch – ihre letzten Lebenstage und ihre Leiche. Unverfälschte Bilder vom Sterben. Auch das: eine selten gesehene Realität.
Kremeier: "Daran kann man auch ganz gut ablesen, wie sehr Ludwig Rauch als Fotograf mit seiner Haltung sich selber immer treu bleibt – über einen Zeitraum von 35 Jahren. Es ist vollkommen egal, ob er auf bestimmte Phänomene im Jahr 1986 geguckt hat, oder ob er das heute tut."
Ein Meister darin, die Magie im Alltäglichen zu entdecken
Über 200 Bilder sind hier zu sehen, es ist die erste museale Ausstellung des Gesamtwerks. Rauch zeigt nicht nur Menschen – es gibt winzige Details wie Samenkapseln oder aber auch weite Blicke auf ganze Stadtansichten. Die jüngste Bildreihe im obersten Raum trägt den Titel "Triaden". Hier hat Ludwig Rauch jeweils drei Bilder miteinander kombiniert.
Rauch: "Und da ich mir beim Herstellen von Bildern eigentlich immer das Erzählen recht wichtig ist und ich immer wieder auch auf der Suche bin nach neuen Ausdrucksformen des Erzählens, hab ich hier diesen Weg gewählt, also ein Nebeneinanderstellen verschiedener Motive."
Aus drei Bildern entsteht so etwas Viertes. Ludwig Rauch ist ein Meister darin, im Alltäglichen die Magie zu entdecken.

Die Ausstellung "Noch ein Leben" ist im vom 5. bis 25. April 2014 im Dieselkraftwerk Cottbus zu sehen.

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