Forschungslandschaft Deutschland

Mit unsichtbaren Innovationen glänzen

Lupinensamen in der Hand
Aus Lupinensamen werden schmackhafte Fleisch- und Milchalternativen - für dieses Verfahren haben Forscher aus Bayern und Mecklenburg-Vorpommern den Deutschen Zukunftspreis 2014 bekommen © Deutscher Zukunftspreis / Ansger Pudenz
20.11.2014
Gestern wurde der "Deutsche Zukunftspreis" vergeben. Dem Jury-Vorsitzenden Ferdi Schüth ist angesichts der "Innovationshöhe" der eingereichten Projekte nicht bange um die Zukunft der deutschen Wirtschaft.
Dieter Kassel: In Berlin wurde gestern zum 18. Mal der Deutsche Zukunftspreis verliehen. Am Schluss, wie immer, gab es noch drei Forschungsprojekte, die zur Auswahl standen, und wir werden Ihnen jetzt gleich vorstellen, wer und was gewonnen hat, und werden danach über die Frage, wie innovativ Deutschland eigentlich ist, und auch über die Frage, wie man das eigentlich misst, wie innovativ ein Land ist – messen kann man es gar nicht –, aber woran man es festmachen kann, sprechen mit Ferdi Schüth, der unter anderem auch Vorsitzender der Jury war.
(Bericht)
Wir haben es gehört, das Ganze ist eigentlich schon jetzt ein Erfolgsprojekt, aber zusätzlich haben die Wissenschaftler, denen es gelungen ist, aus den Eiweißen von Lupinen quasi einen – ich sage das mal als Laie – so Fleischersatz oder auch Milchersatz herzustellen, auch noch den Deutschen Zukunftspreis bekommen. Vorsitzender der Jury dieses Preises, gleichzeitig aber auch Direktor am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr und Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft, ist Ferdi Schüth. Und der ist jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen, Herr Schüth!
Ferdi Schüth: Schönen guten Morgen!
Kassel: Die Frage, die wir uns heute stellen wollen, ist: Wie innovativ ist Deutschland? Nachdem Sie ja nicht nur den Preisträger, die Preisträger kennen, sondern auch alle anderen Einreichungen: Ist der Deutsche Zukunftspreis in diesem Jahr ein Beweis dafür, dass Deutschland innovativ ist?
Schüth: Das würde ich in jedem Falle sagen. Die drei Nominierten kamen aus ganz unterschiedlichen Gebieten, innovative Stahlherstellung, beschleunigte Medikamentenentwicklung und eben der Proteinersatz oder das Pflanzenprotein aus Lupinen. Aber es gibt eine ganze Reihe weiterer Bewerbungen und Nominierungen für den Preis, die wir alle gesehen haben, und auch da findet sich eine faszinierende Breite und eine große Innovationshöhe in den einzelnen Projekten. Wenn man dieses Spektrum sieht, dann ist mir um die Innovationsfähigkeit Deutschlands nicht bang.
Kassel: Aber wenn man sich anhört, was da gerade auch erzählt wurde über dieses Siegerprojekt: Die haben erst mal in der Privatwirtschaft niemanden gefunden, der es haben wollte. Die Fraunhofer-Gesellschaft musste dann quasi selbst ein Unternehmen gründen für etwas, was am Ende – ich glaube, da übertreibe ich nicht sehr stark – vielleicht der Ersatz für das sein kann, was wir bisher immer aus Soja gemacht haben, Fleischersatz und Ähnliches. Kann man daraus nicht schließen, erfunden wird, aber die Wirtschaft, die Industrie ist vielleicht manchmal zu vorsichtig?
Innovationen kommen nicht nur aus der Gründerszene, sondern oft auch aus etablierten Unternehmen
Schüth: Na ja, auch ein Start-up-Unternehmen ist ein Wirtschaftsunternehmen. Und wie dann der Mechanismus ist, mit dem eine Erfindung am Ende zur Innovation wird und in den Markt kommt, das ist in erster Linie gar nicht so entscheidend, Hauptsache, es passiert.
Und da gibt es den Weg, dass das aus großen Unternehmen passiert, es gibt den Weg, dass es aus Start-up-Unternehmen passiert, es gibt den Weg, dass es aus Lizenzierungen passiert. Solange es passiert, ist es gut. Und da haben wir verschiedene Mechanismen.
Was es in Deutschland im Moment relativ wenig gibt, ist die Wagniskapitalfinanzierung jenseits der allerersten, der sogenannten Seed-Runde. Wenn man also die zweite, dritte Finanzierungsrunde angeht, da sind wir in Deutschland deutlich schlechter aufgestellt, wenn es um Start-ups geht.
Aber ich glaube, man sollte nicht vergessen, dass ganz viel Innovation auch aus etablierten, bestehenden Unternehmen kommt und nicht nur über die Start-ups.
Kassel: Bevor ich da nachhake: Die erste Runde, die Seed-Runde, was ist das?
Schüth: Na ja, typischerweise muss ein Unternehmen, um überhaupt loslaufen zu können, die GmbH gründen, es müssen erste Räume angemietet werden, Maschinen gekauft werden et cetera. Dafür braucht man je nach Art des Unternehmens vielleicht in der Größenordnung einige Hunderttausend Euro bis eine Million Euro, zumindest bei Technologieunternehmen.
Und dieses Geld haben die meisten Gründer nicht und müssen sich dann entweder an sogenannte Business Angels wenden, an den High-Tech Gründerfonds, der durch ein Firmenkonsortium und des Bundeswirtschaftsministerium im Wesentlichen gespeist wird, an Frühphasenfinanzierungsfonds, um eben dieses Geld zusammenzubekommen. Und dafür werden die Fonds, die Privatmenschen, der High-Tech Gründerfonds am Unternehmen beteiligt.
Kassel: Nun haben Sie gerade gesagt, viel kommt ja auch aus den Unternehmen, aus der Wirtschaft. Richtig ist natürlich auch, dass die deutsche Wirtschaft recht erfolgreich ist, auch immer noch. Aber andererseits wird ihr ja immer wieder vorgeworfen, sie zehre doch eigentlich von einem Jahrzehnte alten Industrieerbe. Und richtig ist auch, unter den 100 größten Hightech-Unternehmen der Welt sind nur noch zwei deutsche. Kann man da nicht sagen, es gibt schon zumindest Bereiche, und zwar keine unwichtigen, in Deutschland, wo das nicht so gut aussieht mit den Innovationen?
Schüth: Na ja, wenn man sich so etwas wie unseren Innovationsindikator anschaut, steht Deutschland als Ganzes nicht schlecht da, auf Platz sechs weltweit.
Innovationen in der Chemieindustrie und im Maschinenbau sieht man nicht jeden Tag - im Gegensatz zu Produkten wie Google oder Facebook
Es gibt auch viele Bereiche in der deutschen Industrie, bei denen die Innovationen nicht so sichtbar werden. Wenn wir beispielsweise mal Google, Facebook nehmen, das sind Produkte, die jeder von uns mehrmals täglich in der Hand hat oder am Computer, Laptop, Mobiltelefon benutzt.
Produkte der Großchemie, Produkte des Maschinenbaus, klassische deutsche starke Industrien, die sieht man nicht jeden Tag, sondern die stecken irgendwo drin. Das heißt aber nicht, dass da weniger Innovation passiert, wir merken es nur nicht so.
Und insgesamt sind wir in Deutschland ja wirtschaftlich immer noch erfolgreich, und das geht nicht ohne Innovation. Eine Volkswirtschaft, die ihre Innovationskraft verliert, die wird über kurz oder lang auch ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verlieren.
Kassel: Aber wenn Sie mir jetzt schon mit Google, Facebook et cetera kommen, dann spiele ich den Ball mal zurück und sage Ihnen, wo ich ein ziemliches Problem sehe bei Erfindungen, Erforschung: Nehmen wir die mp3-Technik, die Komprimierungstechnik, die ist in Deutschland erfunden worden, von einem Fraunhofer-Institut in Thüringen. Trotzdem werden wahrscheinlich 99 Prozent aller Leute, die mp3 benutzen, auf die Frage, wer hat's erfunden, sagen: Steve Jobs! Ist nicht das Problem ein bisschen, so was wie mp3 können unsere deutschen Wissenschaftler erfinden, den iPod und iTunes aber nicht?
Manchmal ist die deutsche Industrie langsam - das ist aber Schwäche und Stärke zugleich
Schüth: An manchen Stellen sind wir in Deutschland eher langsam. Und in den Technologien, Computer, Unterhaltungstechnologien, mp3 gehört dazu, ist die Geschwindigkeit, mit der man dann zum Markt geht und das Produkt am Markt hat, was ganz Entscheidendes. Da haben wir in Deutschland gelegentlich die Tendenz, die Dinge zu perfekt, zu schön zu machen und nicht mit etwas, was vielleicht noch nicht ganz fertig ist, herauszugehen.
Auf der anderen Seite ist das eine Stärke der deutschen Industrie. Man kann nicht beides gleichzeitig haben oder es ist zumindest schwierig, beides gleichzeitig zu haben. Sodass es Bereiche gibt, in denen es Deutschland aufgrund der Tradition, der Mentalität vielleicht einfacher hat als in anderen Bereichen.
Kassel: Aber haben wir es dann aufgrund der Tradition, der Mentalität gerade in dem Bereich, über den wir jetzt gesprochen haben, schwerer? Gibt es nicht auch eine gewisse Technikfeindlichkeit in Deutschland?
Schüth: Ja, wir Deutschen sind ja häufig zunächst erst mal skeptisch bei Neuerungen. Oft werden wir als das Volk der Bedenkenträger apostrophiert. Das ist sicherlich nicht ganz falsch.
Auf der anderen Seite, im Bereich der Computertechnologie sind das keine großen Hürden, die ich da sehe. Das sieht anders aus zum Beispiel im Bereich der Gentechnologie, wo von vielen Menschen Entwicklungen aus dem Bereich ganz kritisch gesehen werden, und deswegen finden die Entwicklungen in anderen Ländern statt.
Kassel: Der Vorsitzende der Jury des Deutschen Zukunftspreises und Vizepräsident der Max-Planck-Gesellschaft Ferdi Schüth, ich danke Ihnen sehr für das Gespräch! Schönen guten Morgen noch!
Schüth: Gerne, Ihnen auch, Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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