"Foreverland" von The Divine Comedy

Klangkunst eines Exzentrikers

Neil Hannon von The Divine Comedy bei einem Solo-Auftritt in London zur Eröffnung der Greenwich Summer Sessions am 26.11.2011
Neil Hannon von The Divine Comedy bei einem Solo-Auftritt in London © imago / ZUMA Press
Von Marcel Anders · 02.09.2016
Schrullige, kleine Popsongs machten ihn zum Liebling der Kritiker: Der Ire Neil Hannon von The Divine Comedy ist ein Exzentriker, der sich zuletzt an Musicals, Opern und Orgelmusik versucht hat. Jetzt hat er nach sechs Jahren das Album "Foreverland" veröffentlicht.
Neil Hannon: "Die meisten Musicals sind eine Folter. Das wurde mir bewusst, als ich mir mit einem Freund 'Les Miserables' angeschaut habe. Da habe ich gerade mal die erste Hälfte ertragen – so schlecht war das. Trotzdem verkauft die Show Millionen von Eintrittskarten. Was ich nicht verstehe. Aber egal, ich habe daraufhin mein eigenes kleines Musical geschrieben, das sogar ziemlich gut lief – auch, wenn es kein Kassenschlager war."

Subversiver und umtriebiger Exzentriker

Gemeint ist eine subversive Produktion namens "Swallows And Amazons", die es tatsächlich ans Londoner West End geschafft hat – obwohl sie darauf aus war, das gesamte Musical-Genre ad absurdum zu führen. Ein erfolgreiches Missverständnis, das Hannon beflügelt hat, gleich noch zwei Opern, ein Stück für die restaurierte Orgel in der Royal Festival Hall und - unter dem Pseudonym "The Duckworth Lewis Method" – ein Konzeptalbum über Cricket zu schreiben. Alles Dinge, die zeigen, wie umtriebig der Mann aus dem nordirischen Provinznest Enniskillen ist:
"Ich bekomme eine Menge Angebote - und ich lehne etwa 90 Prozent davon ab. Denn wenn ich alles täte, was man mir vorschlägt, hätte ich keine Zeit mehr für ein Divine-Comedy-Album. Die einzige Herausforderung, der ich mich noch stellen würde, wäre einen Soundtrack aufzunehmen. Danach kann ich mich auf die Couch legen und bis ans Ende meiner Tage 'House Of Cards' schauen."
Bis es soweit ist, muss der 45-Jährige allein aus ökonomischen Gründen immer neue Alben veröffentlichen. Wie "Foreverland", das genauso schrullig, verquer und unterhaltsam anmutet, wie man es von ihm erwartet, und das auch etwas von einem Musical hat. Da geht es um Peter Pan, Katharina die Große und Napoleon. Figuren, die Hannon bewundert. Auch wenn der französische Kaiser einen ausgeprägten Komplex in Sachen Körpergröße hatte:
"Als ich davon gehört habe, musste ich lachen, weil ich ebenfalls klein bin – und sehr diktatorisch, wenn es um meine Musik geht. Wobei Napoleon für mich wie ein früher Ziggy Stardust ist."

Hilfe von der Lebensgefährtin und einem Esel

Doch Figuren aus Literatur und Geschichte sind nur die eine Hälfte von "Foreverland". Die andere ist eine Hommage an seine Lebensgefährtin – die irische Musikerin und Schriftstellerin Cathy Davey. Die kümmert sich nicht nur um Hannon und seine Tochter Willow aus erster Ehe, sondern übernimmt auch die Backingvocals, ist Duett-Partnerin in "Funny Peculiar" und Gegenstand von Klangkunstwerken wie "My Happy Place" und "How Can You Leave Me On My Own", das Hannon mit einem blökenden Esel garniert:
"Der Esel ist sehr wichtig für das Stück. Und er hat sich quasi dafür beworben, weil er die ganze Zeit geblökt hat, als ich die Song-Idee in mein Telefon gesungen habe. Später habe ich mir das zu Hause angehört und dachte: Eigentlich passt Wayne – so heißt der Esel – prima zu diesem stöhnenden, Angst geplagten Charakter, um den es da geht. Also bin ich noch einmal zu ihm und habe ihn richtig aufgenommen."
Neben Partnerin Cathy ist Esel Wayne die einzige Unterstützung, auf die Hannon für das Album zurückgreift. Alles andere erledigt er im Alleingang, schwelgt mal in Vaudeville, Chansons, Latino-Vibes oder 60s Pop und serviert alles mit opulenten Orchester-Arrangements. Ironischerweise bedient er sich dabei genau der Technik, die er im wahren Leben ablehnt. Denn Hannon ist ein Nostalgiker, der keinen Sinn für Mobiltelefone, Laptops und Tablets hat. Doch beim Komponieren macht er eine Ausnahme:
"Ich arrangiere am Computer, mit Pro-Tools, Samples und MIDI. Das Programm nennt sich 'Wiener Streicherensemble' und klingt so gut, dass mein Manager meint: 'Warum musst du die Samples dann noch durch echte Streicher ersetzen?' Der Grund ist einfach der, dass sie nicht echt sind. Und ich finde, dass man sehr wohl hört, wenn etwas nicht von Menschen eingespielt wurde."

Gegenpol zum Unterhaltungsallerlei

Was seine Musik betrifft, ist Hannon Künstler und Idealist. Jemand, der einen wohltuenden Gegenpol zum modernen Unterhaltungsallerlei liefert, sich den Retortenklänge und der Massenware verweigert und bewusst bescheidene Umsätze in Kauf nimmt. Das einzige, was er sich langfristig wünscht, sind bessere Anzüge als die, die er seit Jahren auf der Bühne wie privat trägt:
"Die meisten sind Second-Hand und haben jede Menge Löcher. Ich habe stellenweise das Gefühl, dass sich darin Mäuse verstecken. Und einige Exemplare, wie auf dem Cover des 'Casanova'-Albums, passen mir so gar nicht. Die wenigen guten Anzüge, die ich hatte, habe ich auf Tour ruiniert. Ich habe sie zu oft auf den Boden irgendwelcher Hotelzimmer geworfen, statt sie richtig aufzuhängen."
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