Förderprogramm für Begabte

Wenn die besten Schüler sich langweilen

Eine Schülerin einer zweiten Klasse schreibt am 19.10.2012 in einer Schule in Hamburg das ABC an die Tafel.
Eine Schülerin schreibt das ABC an die Tafel. © pa/dpa/Reinhardt
Von Christiane Habermalz · 29.11.2016
In den internationalen Bildungsstudien schneidet Deutschland bei den Spitzenleistungen besonders schlecht ab. Damit sich das ändert, wollen Bund und Länder über 100 Millionen Euro ausgeben - um gerade die leistungsstärksten Schülerinnen und Schüler besser zu fördern.
Begabtenförderung ist in Deutschland bekanntlich ein heißes Eisen. Lange war der Umgang mit leistungsstarken Schülern vor allem eine Kampfarena für Bildungsideologen von Links und Rechts. Die Linken hätten die Gymnasien am liebsten ganz abgeschafft, die Konservativen schwärmten von "Elitebildung" und Bestenauslese.
Jetzt haben sich Bund und Länder nach langem Streit auf ein Programm zur Förderung von leistungsstarken Schülerinnen und Schülern geinigt. Endlich, kann man sagen, denn internationale Bildungsstudien schreiben Deutschland seit Jahren ins Stammbuch, dass an deutschen Schulen viele Potentiale ungenutzt bleiben. Bundesbildungsministerin Johanna Wanka, CDU, nennt einige Zahlen:
"Wenn man es vergleicht mit anderen Ländern, wieviel sind dort in der Spitzengruppe von den Schülern, dann sind das in Dänemark und in Polen und in Portugal doppelt so viele wie in Deutschland und in Irland und in England sogar das Dreifache, die dort in der Spitzengruppe sind. Und auch aus diesem Grund ist klar, hier müssen wir etwas tun."
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka (CDU) am 29.01.2016 in Berlin bei der Pressekonferenz zur Evaluation "Wie geht es weiter mit der Exzellenz-Initiative für Wissenschaft und Forschung?"
Bundesbildungsministerin Johanna Wanka© picture alliance / dpa / Britta Pedersen

Auf der Suche nach den Talentiertesten

Für Wanka ist es eine Frage der Chancengerechtigkeit, dass nicht nur die leistungsschwachen, sondern auch die besten Schüler optimale Möglichkeiten bekommen, sich zu entwickeln. Doch allzu oft sitzen sie bislang im Unterricht und langweilen sich. 125 Millionen Euro wollen Bund und Länder nun für die nächsten zehn Jahre in die Hand nehmen, um zunächst an 300 Schulen zu erproben, wie man besonders talentierte Kinder erkennen und entsprechend unterstützen kann.
Welche Konzepte dabei zur Anwendung kommen, und wie die Schulen ausgewählt werden – ob über Bewerbungsverfahren oder einen Verteilschlüssel, bleibt dabei jedem Bundesland überlassen.
Der Bund will die Initiative parallel mit Forschung begleiten und nach fünf Jahren schauen, welche Instrumente sich bewährt haben. Ab 2022/23 sollen die Ergebnisse dann in allen Schulen Anwendung finden:
Johanna Wanka: "Die teilnehmenden Schulen müssen sich verpflichten, dass sie in ihrem Leitbild die Förderung von Leistungsstarken ausdrücklich verankern und dass sie diese Förderung in den Regelunterricht integrieren. Also nicht nur dass man nachmittags Sonderangebote macht, sondern dass sie es in den Regelunterricht integrieren."
Gerade darüber - integrativ oder nicht - gab es offenbar lange Streit unter den Ländern. Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle beharrt denn auch darauf, dass Begabtenförderung viele Konzepte haben kann. Instrumente könnten sowohl eine bessere Binnendifferenzierung im Unterricht sein, als auch Zusatzangebote für leistungsstarke Schülerinnen und Schüler oder die Einführung von Springerklassen.
Ludwig Spaenle: "In einem niederbayerischen Dorf hat der Pfarrer früher gesagt, dieser Bub ist sehr, sehr klug, der wird mal Pfarrer. Das hieß, er konnte das Gymnasium besuchen. In der Regel ist ihm dann das andere Geschlecht begegnet und er wurde weniger Pfarrer, aber die Begabtenförderung hat funktioniert. Darum geht es! Die Identifizierung von Begabung unabhängig von der sozialen Herkunft.

Bayerischer Modellversuch zur Begabtenförderung

Bayern hat mit einem Modellversuch zur Begabtenförderung ab der Grundschule bereits vorgelegt. Aber auch die rot- und grünregierten Bundesländer sehen mittlerweile Chancengleichheit nicht nur in der Förderung von Leistungsschwachen. Anfang des Jahres hatten die rot-grünen Kultusminister in Mainz eine Erklärung zur Begabtenförderung verabschiedet und Eckpunkte für eine Strategie vorgestellt. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe, SPD:
"Wir sind damals etwas überrascht gefragt worden, ob das denn eigentlich in dem Spektrum der SPD- und grünregierten Bundesländer eine richtige Initiative ist. Wir haben damals sehr klar gesagt, Deutschlands Schulen werden nicht besser, das Bildungssystem wird nicht gerechter, wenn leistungsstarke Schüler künstlich gebremst werden."
Während die Bildungsminister noch die Überwindung von ideologischen Barrieren preisen, geht diese in den ersten Reaktionen auf das Begabtenförderprogramm munter weiter. Die Gewerkschaft GEW hält es ganz für überflüssig: "Wenn Bund und Länder zusätzliches Geld ausgeben wollten, sollten sie die Mittel zur Förderung aller Schüler, insbesondere benachteiligter Kinder einsetzen", kritisierte GEW-Vorsitzende Marlies Tepe. Der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands, Heinz-Peter Meidinger, forderte dagegen, das Programm auf die ganze Fläche auszuweiten.

Schwerpunkt bei den Hauptfächern

"Jede Schule sollte einen eigenen Begabtenbeauftragten haben", forderte Meidinger. Ab Frühjahr 2017 soll es mit bundesweit 300 Schulen erst einmal losgehen, der Schwerpunkt soll zunächst auf den Hauptfächern Mathematik, Deutsch, Naturwissenschaften und Englisch liegen, im Fokus stehen die Klassen 1-10 in allen Schulformen von Grundschule bis zu Sekundarschulen und Gymnasien.
Um begabte Kinder zu fördern, müssen sie allerdings erst einmal erkannt werden. Ein Teil der Forschung soll sich daher mit besseren Diagnosemethoden für Lehrer befassen. Denn Noten sind da bekanntlich nicht unbedingt der Weisheit letzter Schluss.
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