Fluss mit Charakter

04.07.2013
Die Konkurrenz zur Moldau in Tschechien, barocke Sinnesfreude in Sachsen, hanseatische Nüchternheit weiter nördlich. Mit "Die Elbe" nimmt der Journalist Uwe Rada die Leser auf eine lehrreiche Reise. Das geschichtsträchtige Gewässer diktiert den Textfluss.
Nein, keine Folklore, keine Naturschwelgerei, keine plätschernde Postkartenprosa. Uwe Rada nimmt die Elbe als historischen Strom ganz ernst, obwohl - oder weil - sie verglichen mit dem Rhein bloß als "Nebenfluss der Geschichte" gilt. Der "Taz"-Redakteur beginnt in einer April-Nacht 1948. Damals entfloh der tschechoslowakische Politiker Ladislav Karel Feierabend, der Minister in der Londoner Exilregierung gewesen war, auf dem Kahn des Elbschiffers Josef Novák vor der kommunistischen Verfolgung nach Lauenburg. Rada erzählt hier Familiengeschichte - und bietet zugleich Innenansichten des Kalten Kriegs. Die Elbe ist zunächst nur ein Gewässer, das praktischerweise in den Westen fließt.

Aber bald gewinnt der Strom an Charakter. Adenauer polemisierte gegen "Asien an der Elbe". Obwohl der deutsch-deutsche Abschnitt nur 94 Kilometer kurz war, wurde die Elbe für viele zum Grenzfluss. Wie schon 1000 Jahre früher, damals zwischen Franken und Slawen. Rada beleuchtet die alte Elbmetropole Magdeburg als Lieblingsstadt Otto des Großen, er befasst sich mit dem Deichhauptmann Otto von Bismarck und dem ostelbischen Junkertum. Dann, nach 60 Seiten, erstmals eine Schwärmerei. "Wahrhaftig, käme die Loreley an die Elbe zu Gast, hier ließe sie sich nieder", zitiert Rada das Lob Reinhard Höhnes auf die Elbtalauen in Mitteldeutschland. Nachdem geklärt ist, "warum Friedrich II. Dresden zerstörte", erläutert Rada den "Dualismus an der Elbe": hier die barocke Sinnesfreude Sachsens und Böhmens, dort hanseatische Nüchternheit. Als "dritten Weg", der Schönheit mit Nützlichkeit verbindet, fixiert Rada Anhalt-Dessau - von Wörlitz bis zum Bauhaus. Überhaupt unternimmt er als Flussphilosoph gern Ausflüge, die weit vom Elbufer wegführen. Das stört aber nicht, denn immer ist klar: Letztlich diktiert der Fluss den Textfluss.

Konkurrenz von Elbe und Moldau
Mit Tschechien eng vertraut beschreibt Rada die enorme Konkurrenz zwischen Elbe und Moldau. In Prag hat der Bildhauer Antonin Pavel Wagner die Elbe als alten Greis, die Moldau aber als junge, schöne Mutter dargestellt. Auch musikalisch liegt die Moldau dank Smetanas sinfonischer Dichtung vorn. Was nichts an der "geografischen Sünde" ändert, dass eben die Elbe ihren Namen zur Nordsee trägt - obwohl die Moldau beim Zusammenschluss schon länger unterwegs ist. Ausgiebige Landgänge macht Rada auch in Theresienstadt samt KZ und in dem Massaker-Ort Aussig - Asche liegt auf dem Fluss. Die lehrreiche Lesereise endet erwartungsgemäß im Hamburger Elbhafen, über den Rada in Historie und Gegenwart bestechend gut Bescheid weiß. Goethe, der die Februarflut von 1825 in "Faust II" verarbeitet hat, und Helmut Schmidt, 1963 Krisenmanager der Sturmflut: Bei Rada treffen sie sich in einem schönen Satz. Dann lässt er den Fluss hinter sich und nimmt noch einmal die "Erfindung der Elbe" als schiffbare Verknüpfung touristischer Highlights in den Blick.

Von "liquid history" sprach der Engländer Peter Ackroyd, der sein Werk über die Themse als "Biografie eines Flusses" (dt. 2008) bezeichnet hat. Rada erwähnt ihn mit Zustimmung. Auch seine "Elbe" ist eine überzeugende "Geschichte im Fluss".

Besprochen von Arno Orzessek

Uwe Rada: Die Elbe - Europas Geschichte im Fluss
Siedler Verlag, München 2013
320 Seiten, 19,99 Euro
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