Flughafen

"Achtung, bitte Anschnallen!"

Nichts los hier: Check-In-Bereich im Flughafen Kassel-Calden
Nichts los hier: Check-In-Bereich im Flughafen Kassel-Calden © picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Von Anke Petermann · 19.02.2014
"Piste ohne Perspektive", "Millionengrab" und "Zombie-Flughafen" - Kassel-Calden ist wohl Deutschlands meist verspotteter Flughafen. Doch nun will Kassel-Calden richtig durchstarten. Also: "Achtung, bitte Anschnallen!"
Dieser Winter ohne Schnee ist wie ein Hafen ohne Flug. Und genau so einen trifft man hinter den nordhessischen Bergen an. Kein einziger dreckiger Fußabdruck auf dem blitzblank gewienerten Terminal-Boden von Kassel-Calden. Ein halbes Jahr pausieren die Airlines mit ihren Angeboten. Nordhessen wissen das. Und suchen bei seltenen Ausflügen zum Airport vor allem eines: Ruhe. Und die finden sie hier, sommers an manchen Tagen unterbrochen von Ferienfliegern, winters bis aufs zarte Säuseln einiger Propellermaschinchen nahezu komplett, total, rundum.
"Und es ist wunderbar hier. Ich empfinde es als sehr schön. Auch zum Kaffeetrinken."
"Zum Gucken zum Kaffeetrinken, wir gehen hier mal spazieren."
"Glücklich, dass der Fluchhafen hier ist …"
"Ja, sind wir."
"Tut unsere Region ein bisschen aufwerten. Ne?!"
Der Betrieb wird simuliert
Von November bis März steht das bis auf wenige Kaffeetrinker leere Terminal-Gebäude am Rande des weitgehend leeren Vorfeldes. Einzige Funktion: die Region ein bisschen aufzuwerten. Über allem erhebt sich der Tower, in dem beiden die Lotsen von Austro-Control einen weitgehend leeren Luftraum überwachen. Ein Job für Ösis eben. Nach Hause gehen dürfen sie nicht, denn der Flughafen mit dem Kürzel KSF hat Betriebspflicht. Das heißt, rund um die Uhr müssen alle so tun, als herrsche Betrieb. Auch die Feuerwehrleute haben die ganze Zeit aufzupassen, dass auf dem fast unbenutzten Rollfeld nichts anbrennt. Und die Passagier-Abfertigung ohne Passagiere nicht plötzlich entflammt. Tut sie aber nicht. Trotz Holzdecke. Holzdecke?
"Also, es ist mit einer der höchsten Brandklassen-Standards, und von daher sieht das echt toll aus. Es gibt auch keinen Flughafen Deutschlands, der ne Holzdecke drin hat."
Hält Airport-Testleiter Thomas Uilein fest.
Immerhin: Der Brandschutz funktioniert
"Brandmeldeanlagen in Ordnung"war Uileins letzte Durchsage, bevor er den perfekt durchgecheckten Airport Calden im vergangenen Jahr dem Dornröschenschlaf überließ. Berliner, schaut auf diese Stadt! In Kassel-Calden funktioniert der Brandschutz. Von Anfang an. Wir sind beruhigt. Zum Glück ist der Caldener Feuerwehrmann als solcher Multitasking. Weshalb er mehr leistet, als tagelang zu beobachten, wie nichts anbrennt.
"In erster Linie ist Feuerwehr, aber wir machen auch Winterdienst hier, dann Werkstattarbeit, die Werkstatt ist ja bei uns im Feuerwehr-Gebäude Werkstatt. Arbeit haben wir jede Menge."
"Im Sommer Abfertigung, Koffer ein- ausladen, sind wir mit dabei."
"Wir haben ja dann eh’ unsere Sachen meistens an. Das Auto kommt mit dazu, dass man, wenn dann der Einsatz käme, für Gebäude oder irgendwas, dass man dann auch - also das ist alles gewährleistet, dass das funktioniert. Wie gesagt, der Winterdienst, gut, Winter hatten wir jetzt noch nicht so in dem Sinne, den wirklichen, mit Schneefall."
"Funk-Durchsage."
"Stress pur."
Stress pur, grinst der Feuerwehrmann. Das gilt auch fürs Flughafen-Marketing. Wenn schon kaum Verkehr in der Luft, dann wenigstens den Boden beleben, denken sich die PR-Spezialisten an Deutschlands meist verspottetem Flughafen. Schon kurz nach der Eröffnung hatte man Passagiere zum 70 Kilometer entfernten Konkurrenzflughafen Paderborn karren müssen, weil Flüge nicht auslastet waren. Eine Maschine verfuhr sich in den nordhessischen Bergen. Die Republik johlte. "Piste ohne Perspektive" höhnte die Presse. Ab November dann: Winterpause. Doch schon im Dezember rockte der Nikolausmarkt das Terminal. Und kaum ist der Weihnachtsstress vorbei, lassen sich die Marketing-Experten schon wieder was einfallen. Maßgeschneidert für diesen Winter ohne Schnee.
Ein Mann transportiert am Flughafen Kassel-Calden (Hessen) Kisten auf einem Trolley. Nach rund 15 Jahren des Planens, Prüfens und Bauens wird am Donnerstag (04.04.2013) der neue Flughafen Kassel-Calden eröffnet.
Gäste am Flughafen Kassel-Calden?© picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
"Im Rahmen des Erlebnis-Winterdienst-Tags werden die speziellen Maschinen, die den Airport in Nordhessen schnee- und eisfrei halten, auf dem Vorfeld der Allgemeinen Luftfahrtvorgestellt. Von einem 18 Meter langen Kehr-Blas-Zug über eine Schneefräse bis hin zu einem Flugzeugenteiser mit ausfahrbarem Korb bis in zehn Meter Höhe ist alles vertreten."
Kasseläner, Kasselaner und Kasseler, Eingeborene und Zugezogene - auf zum Flughafen! Hier ist richtig was los: kein Flug, aber Schnee-(p)flug. Bloß ohne Schnee. An einem Samstagmorgen um elf geht’s los, der Ansturm der Interessierten ist umwerfend: Klein-Yannick und sein Opa sind pünktlich gekommen. Mit Handschlag werden sie in der Flugschule am Rande des Vorfelds begrüßt:
"Hallo!"
"Hallo - Sie sind die ersten, schön."
"Ja, gut. Ich bin mit meinem Enkel hier, der ist neugierig."
"Sehr Schön! Ja, es geht gleich los."
"Uiuiui, das ist ja toll! Hast du gehört Yannick, es geht bald los, ja."
Die Spannung steigt ins Unermessliche.
Yannick: "Und welcher Hubschrauber startet als erschtesch?"
Yannick! Falsche Frage! Hubschrauber starten nur auf dem alten Gelände nebenan. Hat Opa dir vorher nicht erklärt, dass du das mit dem Flug-Hafen nicht wörtlich nehmen darfst?! Was erzählt der Mann da eigentlich?
"Als Kasseler ist das besonders angenehm zu erfahren, dass wir einen neuen Flughafen haben, und keiner geht hin."
So’n Quatsch! Er ist doch da - und Enkel Yannick auch.
"Möchtest du n paar Gummibärchen? Ja?"
Dem hat die nette Frau vom Empfang erstmal den Mund gestopft. Mit Süßkram. Damit der Kleine nicht weiter mit der Frage nervt, wo denn das Fluggerät bleibt. Nein, Opa Jürgen hat’s doch gar nicht ernst gemeint, also: dass keiner kommt zum neuen Flughafen. Es kommen ja Leute, zum Weihnachtsmarkt und zum Winterdienst-Erlebnistag. Es fliegen eben nur nicht so viele ab. Zahlen muss Opa Jürgen aber trotzdem. Nicht fürs Ticket, denn er fliegt auch nicht von hier. Sondern Steuergeld, unter anderem, damit die 750 leeren Parkplätze vorm Flughafen ohne Flug nachts auch schön beleuchtet werden können.
"Ja, aber natürlich, nicht nur, dass der 270 Millionen gekostet hat, sondern jedes Jahr, was weiß ich, zehn Millionen, das kann ich nicht so genau sagen, an Folgekosten hat, ja, die natürlich getragen werden müssen, ne."
Der "Roland-Koch-Flughafen"
Den Verlustausgleich für den Mini-Airport hinter den sieben Bergen teilen sich die örtlichen Kommunen und das Land Hessen als Mehrheitseigner. Besonders Calden mit seinen 7000 Zwergen ächzt unter der Last. Ab Mitternacht müssen die Caldener jetzt durchs Dunkle tappen. Straßenbeleuchtung abgeschaltet. Damit die leeren Parkplätze am Airport umso gründlicher ausgeleuchtet werden können. Rund sieben Millionen Euro "Betriebsdefizit" erwartet Hessens schwarz-grüne Koalition fürs abgelaufene Geschäftsjahr. Blöd nur, dass diese grünen Anti-Fluglärm-Aktivisten mangels Fluglärm nicht ausgelastet sind. Vor der Regierungsbeteiligung rechneten sie deshalb unablässig und kamen zu dem Schluss, dass es sogar noch schlimmer kommt.
"Einfach, allein wenn man die Zinsen berechnet, sind es acht Millionen, plus die 3,6 kalkulierten, plus unkalkulierte - kommt man fast auf 20 Millionen, und dann muss man irgendwann sagen - so geht es nicht weiter."
Schimpfte die nordhessische Abgeordnete Karin Müller vor der Landtagswahl 2013. Jetzt aber gehört die Grüne zur kleineren Koalitionsfraktion und muss mit dafür sorgen, dass es mit dem "Roland-Koch-Flughafen" irgendwie weitergeht. Denn Regierungschef Volker Bouffier will nicht einfach platt machen, was sein Vorgänger und CDU-Parteifreund hoffnungsfroh einstielte. "Nordhessen bekommt Flügel" hatte de Buffi bei der Flughafen-Eröffnung so hübsch gedichtet. Da kann er doch nicht schon ein Jahr später den Pleitegeier bauchlanden lassen. Doch nicht wegen der paar Miesen! Da sind die Eingeborenen glücklicherweise hart im Nehmen.
"Wenn man sich die ganzen Bausünden in der Stadt anguckt, ist das n Klacks."
"Bei den anderen Flughäfen isses ja auch nicht viel anders. Da müssen sie auch überall draufzahlen. Is ja nit nur der hier, der wird jetzt als niedergemacht, ja."

Ein Flughafenmitarbeiter reinigt am 30.04.2013 den Boden im Terminal des neuen Flughafens Kassel-Calden.
Wenig Betrieb - wenig zu tun.© picture alliance / dpa / Uwe Zucchi
Die schwarz-grüne Koalition hat dem Airport einen jährlichen Defizitabbau verordnet und will den Verlustausgleich zunehmend auf andere abwälzen. Vielleicht auf die Wirtschaftsbosse, die den Airport vor der Haustür unbedingt wollten? Erst 2017 wollen Bündnis 90/Die Schwarzen die Entwicklung neu bewerten und notfalls einschreiten. Aber erst mal heißt es: "Give Calden a chance". Das singt frei nach John Lennon der neuerdings koalitionsfriedensbewegte Tarek Al-Wazir als Bouffiers grüner Stellvertreter im Amt des Ministerpräsidenten. Dabei scheint er vergessen zu haben, was er als Oppositionspolitiker schon mal messerscharf erkannt hatte. Nämlich:
"Dieser Flughafen wird sich niemals, aus meiner Sicht, niemals rechnen, sondern er wird ein dauerhaftes Zuschussgeschäft bleiben, und er ist am Bedarf völlig vorbei gebaut. Dieser Flughafen bringt nix, sondern kostet nur noch was. Und das ist schon wirklich schlimm, weil es am Ende auch Nordhessen nicht helfen wird, sondern - aus meiner Sicht - dauerhaft schaden. Wenn man sich anschaut, wie wir in Deutschland insgesamt mit diesen ganzen Regionalflughäfen bestückt sind, da fällt dann schon auf, dass da wirkliche Wahnsinnsentscheidungen immer getroffen werden, von übergeschnappten Landesregierungen, wenn ich das mal so sagen darf."
Darf er, denn ab jetzt gehört er ja als grüner Wirtschaftsminister selbst einer an. Mit Calden habe Schwarz-Gelb den "letzten Wahnsinns-Domino-Stein" in der Reihe der verlustbringenden Regionalflughäfen gesetzt, hatte Al-Wazir als Oppositionspolitiker gewettert. Als Koalitionär will er jetzt noch drei Jahre weiter Domino mit Buffi spielen: Obwohl er doch vor einem Jahr schon wusste, dass die neue Runde "Schubs-den-Mini-Airport" auf Kosten einer Spezies geht.
"Das ist ne schlechte Nachricht für die Steuerzahler."
Opa Jürgen zahlt als Rentner ja nicht mehr so viel an den Fiskus, gibt aber trotzdem den Spielverderber.
"Da unsere Landesregierung ja immer Geld mehr ausgibt, als sie einnimmt, haben meine Enkel dann umso mehr Schulden."
Mitleidig schaut der Senior auf seinen Enkel runter. Heute aber ist Winterdienst-Erlebnistag auf dem Flughafen. Und da soll der kleine Steuerzahler in spe was haben von den Schulden, die er später abtragen muss. Deshalb hebt ein freundlicher Feuerwehr-Winterdienstler den Jungen ins Führerhaus vom Kehr-Blas-Zug. Der allerdings mangels Schnee weder kehrt noch bläst. Yannick ist trotzdem begeistert. Nicht so die Lokal-Reporterin von der "Hessisch-Niedersächsischen Allgemeinen". Tanja Temme soll ein Filmchen für HNA Online drehen. Nur, wie soll sie einen Winterdienst ohne Winter mit einer Schneefräse ohne Schnee auf einem Flughafen ohne Flug filmen?
"Für so’n kleinen Clip ist (es) immer schön, wenn sich was bewegt, ne."
Eine echte journalistische Herausforderung: Kehr-Blas-Zug, Schneefräse und Flugzeugenteiser in Szene setzen, die weder kehren noch blasen, weder fräsen noch enteisen.
"Nur die Maschinen filmen, ich weiß gar nicht, was das für’n Unsinn sein soll."
Aus Temmes Frage an den freundlichen, nur theoretisch enteisenden Flugzeug-Enteisungs-Experten spricht schlecht getarnte Verzweiflung:
"Äh, Bewegung, also in Bewegung wird hier nichts gebracht, dass ne Maschine mal fährt, oder so?"
"Nee, das wär’ zu gefährlich. Innerhalb des abgesperrten Bereichs jetzt Maschinen in Dreh-Bewegung versetzen, wenn da jemand durch den Besen marschiert, den erkennen wir ja nicht wieder. "
Stefan Damm wendet sich einer Besuchergruppe zu. Ist doch egal, dass der Enteiser da nur so rum steht. Warum eine Fluggesellschaft auf so eine Maschine angewiesen ist, lässt sich trotzdem plausibel erklären.
"Wenn das Luftfahrzeug gelandet ist, und es ist mit Schnee und Eis bedeckt und wir hätten kein Enteisungsfahrzeug, würde das für die Gesellschaft bedeuten, sie muss hier bleiben."
"Jede Menge Flugbewegungen"
Am Flughafen Calden allerdings ein ehr hypothetischer Fall, weil derzeit gar keine Airline von hier abheben will. Die Besucherinnen rund um den smarten Enteiser nicken trotzdem heftig.
"Ja! - Ja, ja."
"Und das kann sich ja nu gar keiner leisten, nee, niemand: Da müsste man noch Ausfallgelder hinterher bezahlen."
"Aber jetzt übern Winter is ja nix los, sacht man immer, ne."
"Bitte?"
"Übern Winter ist ja auch erstmal nix groß los, ne:"
"Am Wochenendehaben wir durchaus 280 - 320 Flugbewegungen."
"Ach ja."
"Aber jetzt von den kleinen."
"Ja."
"Na, ja, das sind aber trotzdem Flugbewegungen."
Genau, bekräftigt Geschäftsführerin Maria-Anna Muller.
"Wir haben jede Menge Flugbewegungen. Das sind kleine Maschinen, einmotorige Maschinen, zweimotorige Maschinen oder dann natürlich die sogenannten Business Jets."
Ultra-Leichtflugzeuge, Ballonfahrten, Fallschirmspringer - alles Flugbewegungen - jede Menge eben.
Da - schon wieder eine Flugbewegung: Die Geschäftsführerin besteigt den ausfahrbaren Metall-Korb des Flugzeugenteisers. Per Knopfdruck lässt Stefan Damm sie abheben, gemeinsam mit einer Nachwuchs-Touristin bringt er die Airport-Chefin in die sagenhafte Höhe von: drei, vier Metern. Bitte anschnallen.
"Guten Morgen, mein Name ist Maria Muller, und ich bin die Geschäftsführerin vom Flughafen Kassel-Calden. Und wer bist du?"
"Ich bin Michelle."
"Und warum bist du heute da?"
"Um alles anzugucken."
"Und was denkst du, was ist das Spannendste?"
"Die Flugzeuge."
Dummes Kind. Haben deine Eltern dir nicht erklärt, dass ein Hafen auch mal ohne Flug sein kann?! Dass ein Hafen auch mal viele Monate ohne Flug sein kann??!! Noch mal. Doch das Mädel bleibt verbohrt. Fixiert auf:
"Flugzeuge"
"Gut, die Flugzeuge. Kichern. Ähm, hast du gerade eins gesehen? Da ist gerade der Dr. Sauer mit seinem Flugzeug weggeflogen, genau."
Berliner, Frankfurter, Münchner - schaut auf diese Stadt! Kassel-Calden, einziger Weltflughafen, an dem jeder Pilot mit Namen und Titel bekannt ist. Und, Berlin, wir erwähnten es bereits: der Brandschutz in Calden funktioniert, und zwar pünktlich seit Einweihung. Michelle ist beeindruckt. Wir sind’s auch. Und halten fest: an Flugbewegung mangelt es nicht in Kassel-Calden. An diesem sibirisch-kalten Samstagvormittag haben wir zwei Starts selbst mit angesehen. Erstens: Flughafen-Chefin mit Michelle im Enteisungskorb abgehoben, drei von zehn möglichen Höhenmetern zurückgelegt. Zweitens: Dr. Sauer mit Propellermaschine in unbekannter Mission in ungekannte Weiten aufgestiegen.
"Millionengrab" und "Zombie-Flughafen"
Bei all dieser entfesselten Bewegung: Keine Verspätungen, keine unerwartete Hitze-Entwicklung, kein plötzlicher Flammenschlag. Feuerwehr kann in aller Ruhe Winterdienst spielen. Was läuft dennoch falsch mit Kassel-Calden? Warum gelingt es dem Airport nicht, das Image der teuersten Imbissbude der Republik abzustreifen? "Millionengrab" und "Zombie-Flughafen" lauten die Schlagzeilen. Stefan Damm weiß etwas, beschränkt sich aber auf düstere Andeutungen, baut sich bedrohlich vor seinem Enteiser auf, fasst dabei die beiden Reporterinnen von HNA und Deutschlandradio streng ins Auge.
"Es gibt da eine Fakultät, die is immer gerne so am Negativ-Reden. Näheres sag’ ich dazu nicht."
"Ja - aber das ist ja bekannt."
Die Journalisten-Fakultät - lästig, da sind sich Calden-Fans einig. Einen Flugplatz gab’s in den Kasseler Bergen schon seit 1970. Da flogen Wirtschaftsbosse und Hobby-Piloten. Alles funktionierte, das interessierte die Journaille natürlich nicht. Dann beschloss der ehemalige Ministerpräsident Koch in seltener großkoalitionärer Einigkeit mit örtlichen Kommunalfürsten, auf grüner Wiese direkt daneben einen echten Flughafen zu bauen. Den brauchte angeblich die florierende Geschäftswelt. Und jetzt nerven die Presse-Fuzzis mit unverschämten Nachfragen, wo denn die Charter- und Linien-Maschinen bleiben. Dabei ist manchen Reportern sogar vergönnt, welche anzutreffen. In knallharter Recherche deckte Spiegel-TV auf, dass einer der letzte Flieger des Sommerflugplans im Oktober eine Stunde zu früh landen würde. Reporterglück: Begegnung mit Fluggästen in Calden! Es gibt sie, sie sind echt, sie sprechen!
"Das is perfekt, is wie Busreisen, ne. Völlig übersichtlich, kein Stress, ne. Aber, ob das Sinn und Zweck des Fughafens ist, is natürlich die Frage."
"Soo’n kleinen Fluchhafen hab’ ich noch gar nicht gesehen in meinem Leben! Ich dachte, Erfurt wär’ klein, aber das is ja noch kleiner. Und so 'viele" Maschinen, die da fliegen - ob sich das lohnt? Aber es is ja angenehm, von hier zu reisen."
"Wir kommen hier aus’m Sauerland, ungefähr noch ne Stunde, aber wir könnten genauso gut nach Paderborn oder Dortmund fliegen. Wir sollten auch eigentlich erst ab Dortmund fliegen, und jetzt isses wohl irgendwie umgebucht worden hierhin, aber: absolut kein Sinn, Steuergeld verprassen, sonst nix."
Sauerländer, ein bisschen mehr Dankbarkeit wäre schon angebracht, wenn Hessen, Kasseler und Caldener Steuerknete blechen, damit du hier sicher und Sauerland-nah landen darfst! Über die Rückflüge am Saisonende berichtete übrigens HNA Online.
Reine Leer- oder Überführungsflüge
"Ohne Nachtanken startete die Boeing 734 kurz darauf wieder Richtung Antalya. Diesmal allerdings ohne Fluggäste an Bord. Anders als beim Saisonstart gab es diesmal nur wenige Schaulustige. Es war auch nicht die letzte Maschine, die in Calden abhob."
Ui, da sind wir aber erleichtert. Warum nur klingt der Reporter so nach Beerdigung?
"Abends traf noch eine Boeing 737 aus Italien ein. Am Mittwoch wird noch eine weitere Maschine aus der Türkei erwartet und ebenso am Freitag dieser Woche. Passagiere werden aber nicht mehr einsteigen, die Rückflüge sind reine Leer- oder Überführungsflüge."
Au Mann, und jetzt?!
"Danach bleibt der Flughafen bis zum nächsten Saisonstart im April voraussichtlich allein den Geschäfts- und Privatfliegern vorbehalten. Überraschende Flugplan-Änderungen ausgenommen."
Direktflug Kassel - Istanbul- nicht ohne VIP-Lounge
Hat es bisher bis auf das Abheben der Flughafenchefin im Enteisungskorb nicht gegeben. Dennoch sehen Calden-Fans ein Lichtstreif am düsteren nordhessischen Winter-Himmel.
"Ja, und jetzt hoffen wir, dass ja die Türken kommen."
Merkel, schau auf deine nordhessischen Untertanen: wie sie Willkommenskultur aus jeder Pore verströmen! Von wegen "ergebnisoffene Beitrittsverhandlungen"! Calden hat den Türken den roten Teppich ausgerollt, Flughafenchefin Muller vorn dran. Mit Erfolg:
"Also, die Turkish Airlines wird den Flugbetrieb ab Kassel-Calden aufnehmen. Das ist ganz klar eine Entscheidung des Aufsichtsrates der Turkish Airlines. Diese Nachricht haben wir natürlich mit großer Freude entgegen genommen, und jetzt warten alle, auch wir, auf den Flugplan. Die letzte Auskunft, die ich von Turkish Airlines habe, die ist ganz neu, dass man sich jetzt mit dem Flugplan beschäftigt. Es gibt sehr viele neue Strecken weltweit, die aufgenommen werden müssen."
Kassel - Paderborn gehört wohl eher nicht dazu. Aber Kassel - Istanbul das wär’ doch was.
"Istanbul - von da aus is ja n Riesen-Drehkreuz, und somit is dann hier auch wahrscheinlich richtig was los, denk ich mal."
"Sie können also Kassel - Istanbul - Peking fliegen, Kassel - Istanbul - Bangkok."
Dumm nur, dass Turkish Airlines eine VIP-Lounge am Airport verlangt und Kassel keine hat. Dumm nur, dass Turkisch Airlines zeitgleich eine Verbindung nach Münster-Osnabrück ins Auge fasst. Eine VIP-Lounge haben die norddeutschen Pinkel ihrem Weltflughafen vermutlich schon verpasst, noch bevor das Rollfeld fertig war. Wo gehen die Türken dann wohl zuerst hin? Und wer guckt dann wohl noch ne Weile in die Röhre? Na? Ach Nordhessen, gut, dass ihr trotzdem den Humor nicht verliert!
"Sollte das nicht klappen, dann machen wir ne schöne Rollschuhbahn."
"Ja! Lachen."
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