Flüchtlingspolitk

Neuer Ton, keine Taten

Ein überfülltes großes Schlauchboot mit mehreren Dutzend Menschen treibt auf dem Wasser.
Die bisherige Bewertung der Fluchtursachen von Asylbewerbern muss aufhören, fordert Peter Lange. © picture alliance / dpa / Italian Navy Press Office
Von Peter Lange · 18.10.2014
Diskriminierende Asylgründe und eine absurd hohe Ablehnungsquote: Unsere Flüchtlingspolitik ist verantwortungslos, meint Peter Lange. Und trotz politischer Lippenbekenntnisse ist noch immer keine Wende in Sicht.
Man würde so gerne glauben, dass Deutschland und die ganze Europäische Union mit dem Problem der weltweiten Flüchtlingsströme anders umgehen wollen – verantwortlich, engagiert, vernünftig, human und glaubwürdig. Denn im Konjunktiv gibt es viele Bekenntnisse in diesen Tagen. Man müsste die Fluchtursachen bekämpfen, man müsste die Flüchtlinge möglichst nahe der Heimat unterbringen. Man müsste diejenigen, die es hier her schaffen, schnell integrieren - Deutschkurse ab dem zweiten Tag und Arbeit, auch damit die Traumatisierten besser über ihre Erlebnisse hinwegkommen.
Man müsste, man sollte. Immerhin: Die Tonlage hat sich geändert. Die Abwehr- und Abschottungsrhetorik hat nachgelassen. Dafür gibt es als Vorbehaltsklausel die gesamteuropäische Lösung, die nicht in Sicht ist. Es lassen sich vollmundig Konzepte und Reformideen gefahrlos formulieren, weil die Ablehnung auf europäischer Ebene gesichert ist. Und deshalb mag man es nicht glauben.
Wenn sich wirklich etwas ändern soll, dann ist das allererste, dass die Bewertung der Fluchtursachen aufhören muss. Sie drückt sich aus in den Etiketten, die denjenigen angehängt werden, welche ihre Heimat verlassen: Der politisch Verfolgte als oberste und nobelste Kategorie – wobei die deutschen Verwaltungsgerichte über die Jahrzehnte den Tatbestand der politischen Verfolgung absichtsvoll extrem eng definiert haben.
Die Angst vor politischer Verfolgung reicht nicht als Asylgrund
Folter allein zum Beispiel gilt nicht, der Gefolterte muss nachweisen, dass der Folterer ein politisches Motiv hatte. Die Angst vor politischer Verfolgung reicht nicht; es muss eine begründete Angst sein. Um in Deutschland politisches Asyl zu bekommen, muss man fast schon mit dem Kopf unter dem Arm erscheinen.
Deshalb auch die niedrige Anerkennungsquote. Dann folgen Kriegs- und Bürgerkriegsflüchtlinge – kein Asyl, aber geduldet. Danach diejenigen, die als Wirtschaftsflüchtlinge, illegale Einwanderer oder Scheinasylanten bezeichnet werden.
Aber es gibt keine guten und keine verwerflichen Fluchtgründe. Wer sich aufmacht in eine ferne Fremde und ungewisse Zukunft, der tut es aus Furcht vor Verfolgung und Diskriminierung, vor Krieg und Bürgerkrieg, vor Hunger und Seuchen, oder weil er zu Hause keine Zukunftsperspektive sieht.
All diese Gründe sind triftig und ernst zu nehmen. Dass man alle, die bei uns Zuflucht suchen, in ein dafür nicht gemachtes bürokratisches Asylverfahren treibt und hinterher auf die hohe Ablehnungsquote verweist, welche die Antragsteller diskreditiert, dieser Irrsinn muss aufhören.
Es gibt eine große Hilfsbereitschaft, sie kann aktiviert werden
Die Kasernierung viel zu vieler Flüchtlinge aus unterschiedlichen Kulturen und noch dazu in kleinen Ortschaften ohne Beteiligung der Bürger erzeugt sozialen Stress unter den Flüchtlingen und bei der einheimischen Bevölkerung. Das muss anders organisiert werden. Es gibt eine große Hilfsbereitschaft, sie kann aktiviert werden. Sie wird aber blockiert, wenn die Bürger vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Und für diejenigen, die eigentlich nur saisonweise nach Europa kommen wollen, um zum Beispiel in der Landwirtschaft Geld zu verdienen, braucht es einen sicheren Rechtsstatus, richtige Arbeitsverträge mitsamt Ein- und Ausreiseregeln. Dann muss sich niemand mehr in die Abhängigkeit krimineller Schlepper begeben und sein Leben in altersschwachen Nussschalen auf dem Mittelmeer in Gefahr bringen.
Nun ist das alles überhaupt nichts Neues. Was es für eine verantwortungsvolle Flüchtlingspolitik braucht, liegt seit Jahrzehnten auf dem Tisch. Umgesetzt wurde so gut wie nichts. Und auch wenn sich die Rhetorik geändert hat. So wie sich Länder und Kommunen anstellen bei der Unterbringung und Integration von Flüchtlingen, mit den sattsam bekannten gegenseitigen Schuldzuweisungen, verspricht das nichts Gutes.
Und wenn sich die Konjunktur weiter abkühlt, wird sich zeigen, ob wenigstens der rhetorische Klimawechsel Bestand hat. Die Versuchung, das Flüchtlingsthema politisch auszuschlachten, wenn es einem in den Kram passt, indem die alten Ängste wieder geschürt werden – vor Überfremdung, vor der Konkurrenz am Arbeitsmarkt – diese Versuchung ist einfach zu groß. Und deswegen kann man an eine Wende in der Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik nicht glauben.
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