Flüchtlingspolitik

Zwischen Mut und Planlosigkeit

Bundeskanzlerin Angela Merkel (M, CDU), Dietmar Woidke (l, SPD), Ministerpräsident von Brandenburg und Reiner Haseloff (r, CDU), Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt, äußern sich bei einer Pressekonferenz am 15.09.2015 nach der Sondersitzung der Ministerpräsidenten der Länder mit Bundeskanzlerin Merkel im Bundeskanzleramt in Berlin zur Asyl- und Flüchtlingspolitik.
Bundeskanzlerin Merkel nach einem Sondertreffen mit den Ministerpräsidenten der Länder zur Flüchtlingspolitik am 15. September 2015 © picture alliance/dpa/Bernd von Jutrczenka
Von Johannes Kulms · 16.09.2015
Die Flüchtlingsheime sind voll, doch die Politik zeige sich weiter planlos, meint Johannes Kulms. Vor allem die Verteilung der Aufgaben und Kosten zwischen Bund und Ländern müsse bald geregelt werden. Die Zeit dränge.
Angela Merkels Umgang mit der Flüchtlingskrise ist erschreckend. Er ist aber auch beeindruckend.
Mit den kurzfristig anberaumten Treffen mit ihrem österreichischen Amtskollegen Faymann und den eilig nach Berlin bestellten Ministerpräsidentinnen- und Präsidenten hat die Bundeskanzlerin klargemacht, welche Bedeutung die Flüchtlingskrise mittlerweile nicht nur in Berlin hat. Zugegeben: Alles andere wäre auch erstaunlich.
Erstaunlich, oder besser gesagt erschreckend ist aber, wie planlos Merkel und die Bundesregierung in diesen Tagen wirken.
Ein Ergebnis von gestern: Die Zusammenarbeit zwischen Bund und Ländern soll neu geregelt werden, um Flüchtlinge in Deutschland besser unterzubringen und versorgen zu können. Die Bundesregierung will 40.000 Erstaufnahmeplätze schaffen. Außerdem stellt Merkel den Ländern mehr Geld in Aussicht. Das war’s dann aber auch schon. Geregelt ist noch nichts, Merkel steht gewaltig unter Druck. Immerhin: Am 24. September hat sie noch eine Chance. Dann nämlich trifft sie nochmals zusammen mit den 16 Bundesländern.
Werden die offenen Grenzen abgeschafft?
Doch die Zeit drängt, denn trotz der Grenzkontrollen machen sich weiter viele Menschen auf den Weg nach Deutschland. Aber nicht nur das: Andere Staaten führen ebenso Grenzkontrollen ein. Längst ist eine Kettenreaktion erkennbar. Vieles sieht gerade danach aus, als wenn mit den offenen Grenzen eine der Grundfreiheiten der Europäischen Union abgeschafft wird.
Dass die Bundesregierung so planlos erscheint, liegt auch daran, dass Berlin viel zu lange die immer stärker werdende Flüchtlingskrise ignoriert hat – und die restriktive Flüchtlingspolitik, die sie nun beklagt, mit forciert hat.
Gleichzeitig hat Merkel gestern eine ungewöhnlich kämpferische Seite gezeigt. Ziemlich energisch machte sie klar, dass sie weiterhin überzeugt sei, mit der Aufnahme von Flüchtlingen die richtige Entscheidung getroffen zu haben. Eben weil sie Nerven zeigte, war dies auch eine Ansage an den bayrischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer, dem lautesten Kritiker am Flüchtlingskurs der Bundesregierung.
Kanzlerin Merkel ist bereit zu kämpfen
Auch wenn diese Bundesregierung derzeit planlos wirkt, so darf doch gehofft werden, dass sie in der kommenden Woche endlich eine Einigung mit den Ländern trifft, um die Flüchtlingspolitik zumindest kurzfristig auf eine neue Grundlage zu stellen. Dass Merkel dafür bereit ist zu kämpfen, hat sie gestern gezeigt. Denn sie weiß, dass die Flüchtlingskrise längst auch über ihr politisches Schicksal entscheidet.
Viel wichtiger für Merkel wird es aber sein, die EU-Staaten davon zu überzeugen, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Ein Vorhaben, das ziemlich aussichtslos erscheint an einem Tag, an dem an der ungarisch-serbischen Grenze die Lage eskaliert. Doch es gibt auch andere Nachrichten: So hat Kroatien, das nach der ungarisch-serbischen Grenzschließung nun von vielen Flüchtlingen angesteuert wird, angekündigt, diese passieren zu lassen. Für Deutschland kann das bedeuten, dass noch mehr Menschen herkommen. Die Lage der Flüchtlinge kann sich dagegen zumindest kurzfristig etwas entspannen.
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