Flüchtlingskinder suchen Hilfe

Von Doris Landwehr · 14.06.2008
Sie kommen jährlich zu Hunderten: minderjährige Flüchtlingskinder- und Jugendliche, ohne Eltern und nähere Verwandte. Sie fliehen vor Krieg, Verfolgung, Vertreibung, Hunger und Naturkatastrophen. In Deutschland hilft seit zwei Jahren die "UMF" - die Betreuung für "unbegleitete minderjährige Flüchtlinge".
"Ich heiße Mechel Ali, ich komme aus Sierra Leone, ich bin in Deutschland jetzt zwei und eine Woche – Deutschland ist nicht so, ich weiß nix, das Leben ist nicht so einfach."
"Möchtest Du in Deutschland bleiben?"
"Ja, ich hab Probleme mit meinem Land, und ich komme zu sehen meinen Papa und meinen älteren Bruder hier in Deutschland"
"Ich heiße Saher, ich bin 17 Jahre, ich komme aus dem Irak.”

"Ich habe meine Mutter in Afrika, mein Papa ist hier, aber sie ist sehr krank."

"Hast Du Kontakt zu deiner Mutter?"
"Ich weiß nicht meine Mutter, aber ich habe ein."
"Meine Mutter ist tot, mein Vater is a miner, diamonds, business man."
"Dein Vater lebt noch?"
"Ich weiß nicht, long, long time ich not sehen ihn, mein Bruder ist tot during the war time."
"Die wurden umgebracht?"
"Ja, im Krieg."

Der Deutschlehrer Jan Pracek kann als gebürtiger Tscheche die Probleme der heimatlosen Jugendlichen besonders gut verstehen.Mit Improvisation - Bücher gibt es aus Kostengründen nicht - mit Händen und Mimik versucht er ihnen in den drei Monaten wenigstens eine kleine Grundlage in der fremden Sprache zu schaffen:

"Für mich als einen Deutschlehrer ist das Positivste, wenn ich komme nach ein paar Wochen, und meine Schüler wollen sich mit mir unterhalten, und sie sich auch erfolgreich unterhalten.
Das heißt, ich habe noch nicht gefragt, wie geht es dir, und sie beantworten schon alle, gut, gut, gut. Das ist natürlich das Wichtigste, wenn man sieht, daß sie verstehen, daß sie etwas beantworten können."

Die meisten der Jugendlichen – 87 Prozent von ihnen sind männlich – sind froh, überhaupt mit jemanden im fremden Land Kontakt zu haben. Denn die meisten von ihnen sind traumatisiert, durch Krieg, Gewalt und Hunger.

"Ein Trauma ist immer, wenn ein Jugendlicher seine Familie verlassen muß, sein Land verlassen muß und dann hier in eine andere Welt gebeamt wird und hier plötzlich klar kommen soll, das ist schon mal ein Trauma an sich. Und dann haben viele das Problem, daß sie keinen Kontakt zu ihrer Familie aufnehmen können, falls sie noch eine haben. Viele kommen auch her, und wir hören dann auch immer die Geschichten, was die uns erzählen und lesen die Anhörungsprotokolle – also der Großteil hat schon harte Geschichten hinter sich und hat hier erstmal zu kämpfen mit der Situation klar zu kommen, zu sehen, wird mein Asylantrag anerkannt, wie sind Zukunftsperspektiven, und das ist bei jungen Leuten natürlich umso schwieriger – manche waren nie in der Schule, haben ein chaotisches Leben hinter sich, haben nur Krieg und Verfolgung und Mord und Totschlag erlebt."

Klaus Kickermann gehört als Sozialarbeiter zum Team von UMF. UMF ist ein Projekt der Inneren Mission München in Zusammenarbeit mit dem bayerischen Sozialministerium.
Diese Lebensgeschichten der jungen Flüchtlinge machen Elisabeth Ramzews, die Leiterin der UMF ebenso betroffen wie wütend:

"Sie kommen per Laster, werden umgeladen, neu geladen, wieder umgeladen – über Griechenland, die Schwarzafrikaner, die bevorzugen erst einmal den Seeweg, um dann auch weiter über Laster hier nach Deutschland zu kommen.
Über der ganzen Geschichte Deutschland steht immer das Damoklesschwert des s.g. "Dublinverfahrens". Wir Deutschen sind ja ein Land, was mitten in Europa ist, an uns grenzen lauter sichere Herkunftstaaten, sichere Drittstaaten im Sinne von Schengen und EU, so daß jeder, der eigentlich nach Deutschland kommt, sich die Fragen gefallen lassen muß, ob nicht ein anderer Staat in Europa zuständig für sein Asylverfahren ist. Leider gibt es dann die Fälle, wo Familien wieder auseinander gerissen werden und in zwei bis drei Ländern dann die Asylanträge laufen, weil es sich auch um Volljährige handelt, und diese Menschen leider nicht mehr in eine Familieneinheit übernommen werden können."

Nur vier Prozent aller Jugendlichen werden in einem Asylverfahren als Flüchtlinge anerkannt, über den Klageweg sind es noch einige mehr, aber 60 bis 70 % werden in der Regel abgeschoben. Das ist eines der schmerzlichsten Erlebnisse für "Mama Lisa", wie sie familiär von ihren Schützlingen genannt wird. Sie kümmert sich mit Leib und Seele um ihre Schützlinge, auch wenn es ums Essen wie bei diesem Schwarzafrikaner geht.
Fufu, ein Maisbrei, der in Schwarzafrika zu den Grundnahrungsmitteln gehört, wird mit Hilfe von Gries nachgekocht, erzählt er ihr. Dann wird er gemeinsam mit der Suppe geschlürft:

"What do you eat in your home country, are you eating Fufu all the time, are there some certains vegetables you have, that are not available here?"
"Ja, there are some vegetables - how are they called?"
"In our natural language, they are called ulubu, oha – we sometimes make Gries, which is normal food like Fufu. We take a little from the Gries and we dip into the soup, we swallow it, we dont eat."
"You swallow"

"Wir haben es normalerweise mit sehr netten jungen Leuten zu tun, die allerdings in ihrem Heimatland hart kämpfen mußten, um ihren Alltag überhaupt zu überleben. D.h., sie haben sehr große Gewalterfahrungen bereits gemacht und kommen mit diesen Erfahrungen und den daraus resultierenden traumatischen Erlebnissen kommen sie zu uns. Und dann treffen sie erst einmal hier auf unser Wetter, hier ist es kalt, hier ist es nicht warm, und sie treffen natürlich auf Leute, die eine ganz andere Kultur haben, wir sind Europäer, wir sind einfach anders, und das muß man erstmal akzeptieren, und man muß schauen, daß man zusammen kommt."

Dafür sind drei Monate eine zu kurze Zeit und die Überbelegung tut ein Übriges. 20 Plätze waren konzipiert, inzwischen sind die Zimmer mit 40 Jugendlichen belegt und es werden täglich mehr. Trotzdem gibt es auch für die Betreuer immer wieder Erfolgserlebnisse.
Klaud Kickermann:

"Das ist, wenn man Jugendliche wieder trifft, und die auch hier vorbeikommen, die einfach mal Hallo sagen wollen, die in der Jugendhilfe irgendwo untergebracht sind, und wo man dann sieht, daß die total aufblühen, daß die einen völlig anderen Gesichtsausdruck haben, und daß sie nicht mehr so gestresst sind, und daß sie Hilfe annehmen – daß sie einfach aufblühen so vom Gesichtsausdruck her – und daß sind so die Erfolgserlebnisse, wenn man sieht, o.k., der ist jetzt da und da, dem geht’s gut, und da kann man jetzt evtentuell. Zukunftsperspektiven entwickeln – das sind so die positiven Erlebnisse in der Arbeit."