Flüchtlingshelfer in Sachsen-Anhalt

Bedroht und bedrängt

Blick auf ein ehemaliges Bürogebäude in Gräfenhainichen
Dieses ehemalige Bürogebäude in Gräfenhainichen in Sachsen-Anhalt sollte 80 Flüchtlingen Platz bieten, wurde aber zum siebten Mal beschädigt. © dpa / Peter Endig
Von Ernst-Ludwig von Aster · 08.03.2016
Sachsen-Anhalt wählt am Sonntag einen neuen Landtag. Die rechtspopulistische AfD kommt in Umfragen auf 19 Prozent. Das Klima ist aufgeheizt. Das bekommen auch jene spüren, die sich für Flüchtlinge engagieren. Beobachtungen aus Gräfenhainichen.
Janine Künemund nimmt den Schlüssel von der Wand, geht zum Briefkasten. Mit einem mulmigen Gefühl. Seit einigen Wochen bekommen sie und ihr Mann Drohbriefe..
Künemund: "Ich ertappe mich gerade dabei, das ich am Tag öfter zum Briefkasten gehe, weil ich auch einfach zeitlich mehr einschränken will, wann was ankommt oder wie was ankommt."
Bei Janine und Ulf Künemund. Ihr Büro liegt in einem alten Bahnhofsgebäude in Gräfenhainichen. Messebau- und Veranstaltungs-Service, das ist ihr Geschäft. In der Freizeit helfen sie Flüchtlingen. Darum die Drohbriefe. Heute ist der Briefkasten leer.
Janine Künemund geht zurück ins Büro: Zwei Schreibtische, Computer, ein paar Bildschirme, Fotos an der Wand. Auf dem Tisch wartet ein Paket: Boulekugeln.
"Wir haben ein paar afrikanische Flüchtlinge hier, die spielen total gut Boule, weil sie das von zuhause kennen…"
Und darum hat die Bürgerinitiative "offen, bunt, anders" Boulekugeln bestellt. Damit die Fremden mit den Einheimischem spielen können.

"Wir werden Sie finden und stellen. Es wird keine Gnade geben"

150 Flüchtlinge leben in der 7000-Einwohnerstadt. Wer sich um sie kümmert, macht sich schnell Feinde in Gräfenhainichen.
"Der erste Brief war von Hand eingeworfen worden, das war so das Übliche, wir zeigen euch mal bei google maps, das wir wissen, wo ihr wohnt …"
Ihre private Wohnung markiert mit einem roten Kreis. Das war der Anfang.
"Das war der Letzte, das ist auch eigentlich der Schlimmste."
Der Brief kam vor einer Woche, wie immer anonym.
"Das endet mit den Worten: "Verstecken Sie sich dann bitte nicht. Wir werden Sie finden und stellen. Und es wird keine Gnade geben."
Es kostet sie Überwindung diese Zeilen erneut zu lesen.
(weinend) "Man bringt das wieder zur Polizei, und das ist ja nun schon das vierte Mal."
Sie wischt sich kurz über den feuchten, rechten Augenwinkel.
"Das was ich tue, ist mir wichtig, das, was wir tun, ist uns wichtig. Und das ist für ein menschliches Miteinander wichtig. Und so was soll mich einschüchtern und davon abhalten."
Janine Künemund blickt trotzig. "Ich will nicht, dass diese Menschen über meine Emotionen bestimmen", sagt sie.

"Ich finde es einfach nur feige, denn jeder der so etwas anonym schreibt, entzieht sich jeder Auseinandersetzung, jeder Argumentation."
Eine halbe Stunde später serviert Janine Künemund Getränke und Kuchen. Scherzt mit ein paar Mitstreitern der Bürgerinitiative. Uwe nimmt einen Schluck Kaffee, seine Schwiegereltern leben in der Nähe von Tröglitz, erzählt er.

40 Ehrenamtliche engagieren sich in der Bürgerinitiative für Flüchtlinge

Vor einem Jahr trat dort der Bürgermeister zurück, nachdem monatelang Rechtsextreme ihn und seine Familie terrorisiert hatten.
"Traurige Geschichte, um die es relativ schnell ruhig geworden ist, weil woanders noch schlimmere Dinge passieren."
Als in Gräfenhainichen Rechtsextreme immer lauter Stimmung gegen Flüchtlinge machen, gründen sie die Bürgerinitiative. Gut ein halbes Jahr ist das her. Janine Künemund klappt ihren Laptop auf, zeigt einen Fernsehbericht.
Gut 40 Ehrenamtliche organisieren Sport- und Deutschstunden, laden einmal die Woche zum Flüchtlingscafe.
Vor wenigen Tagen schießen Unbekannte in Gräfenhainichen auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft. Es ist inzwischen der siebte Anschlag auf das Bürogebäude am Rande der Stadt. Dreizehn Geschosse finden hinterher die Kriminaltechniker, Kaliber 9mm, abgefeuert aus einer halbautomatischen Waffe, möglicherweise einer Maschinenpistole.
"Unverständlich ist mir, wie da so oft passieren kann."

Irgendjemand muss die Täter im vorab informieren, spekuliert Flüchtlingshelfer David. Die Polizei hat keine Erklärungen. Der Staatschutz ermittelt. Sei Mitstreiter Andreas wiegt den Kopf:
"Man ist vorsichtiger geworden. Deshalb lasse ich mich aber nicht einschüchtern, im Gegenteil, jetzt erst recht."

Bloß nicht einschüchtern lassen!

Am Abend steuert Janine Künemund ihren Kleinwagen über die Landstraße, Andreas sitzt neben ihr. In Aken, 40 km entfernt, wollen sich ehrenamtliche Flüchtlingshelfer treffen.
Zum Erfahrungsaustausch. Am Ortsausgang von Gräfenhainichen taucht das Bürogebäude auf, in dem schon längst Flüchtlinge leben sollten.
"Es fühlt sich schon komisch an, auch wenn man hier nur vorbeifährt…"
Kameras filmen vom Dach des dreigeschossigen Gebäudes, drum herum ein Bauzaun. In der obersten Etage klebt eine kleine "13" neben einem Einschussloch…
Tödliche Munition gegen ein Flüchtlingsheim – das ist eine neue Dimension der Gewalt. Janine Künemund greift das Lenkrad fester.
Gut 80 Flüchtlinge und Helfer sind nach Aken gekommen. Der Verein "Wir mit Dir" berichtet über seine Flüchtlingsarbeit. Erst Erfahrungsaustausch, dann Diskussion.
"Ich habe wirklich Angst."
"Das wollen die nur."
Janine Künemund sitzt in der vierten Reihe, hört zu, schreibt mit. Zwei Stunden lang.
Diskussionsteilnehmerin: "Wenn Du zeigst, dass Du einen Arsch in der Hose hast, dass Du es Dir nicht gefallen lässt..."
Janine Künemund lächelt und nickt. Ein Blick auf die Uhr. Es ist kurz vor zehn. Jetzt muss sie zurück. Nach Gräfenhainichen.
"Das gibt auf jeden Fall Mut, das gibt auch Kraft, und das man merkt, dass es da noch ganz viele andere gibt, und dass man merkt, dass es da auch Leute mit Sorgen gibt, dass man merkt, dass man damit nicht alleine steht."
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